6. Februar

Internationaler Tag gegen die weibliche Genitalverstümmelung (engl. "female genital mutilation" - FGM)

 

Die sog. weibliche Beschneidung ist eine mindestens 5000 Jahre alte Tradition. Da bereits weibliche altägyptische Mumien gefunden wurden, die Anzeichen für eine genitale Verstümmelung aufwiesen, wurde diese Tradition auch – verharmlosend – „pharaonische Beschneidung“ genannt.

 

Die Befürworter der „Beschneidung“ rechtfertigen die Praxis mit der Tradition als Teil weiblicher Initiationsriten, sie diene der Vervollkommnung der weiblichen Schönheit und garantiere die sexuelle Treue der Frauen. Z.B. wird in Evans-Pritchard ausdrücklich betont, die weibliche „Beschneidung“ habe den Zweck, „… das sexuelle Vergnügen der Frau zu mindern und so die Treue zu fördern“ (Evans-Pritchard, Bd. V, S. 134, a.a.O.).  

Oft herrscht auch Vorstellung, eine unbeschnittene Frau finde keinen Ehemann. Nach einer sehr umstrittenen Hadith soll der Prophet Muhammad zur Praxis der weiblichen „Beschneidung“ geäußert haben: „Schneide, aber schneide nicht zu tief“ (vgl. „Spiegel“, H. 24/1977).

 

Bei dem Volk der Kabre (ca. 15 % der ca. 40 ethnischen Gruppen in Togo) durchwandern Mädchen nach ihrer Initiation die Felder des Dorfes: „Die Fruchtbarkeit, die sie nun verkörpern, soll sich auf die Nutzpflanzen übertragen“ (Haberland, S. 45, a.a.O.). 

Traditionell werden bei den Manja (im Tschad und der Zentralafrikanischen Republik) während der Initiation die Mädchen „beschnitten“, d.h. eine ältere Frau entfernt mit einem Messer die Klitoris (vgl. Abb. unten): „Während der Operation steht jedem Mädchen eine ‚Patin‘ zur Seite, die es beruhigt, pflegt und aufmuntert … Später sitzen die Mädchen im Kreis im Schatten eines großen Baumes. Um Staub und Insekten von der Wunde fernzuhalten, sind ihre Körper mit Blättern bedeckt“ (Haberland, S. 45, a.a.O.). 

 

Bei der Genitalverstümmelung …  

-          werden die Klitoris und die Schamlippen ganz oder teilweise entfernt

 

-          werden in schweren Fällen sogar die gesamten äußeren Genitalien abgeschnitten und bis auf ein kleines streichholzgroßes Loch wieder zugenäht, eine „Infibulation(vom lat. fibula  „Spange“).  Die betroffenen Frauen quälen sich ihr Leben lang mit körperlichen und seelischen Schmerzen. 

 In manchen Regionen Ostafrikas war und ist die „Beschneidung“ der Mädchen im Kindesalter oft verbunden mit der „Infibulation“, dem partiellen Zunähen (bzw. Zuklammern mit Dornen) der Vaginalöffnung, zur Sicherung/Erhaltung der Jungfräulichkeit (vgl. Tischler, S. 169, a.a.O.). Vielfach ist sie sogar Vorbedingung zu Eintritt in die Altersklasse sowie zu einer Heirat.

Die Infibulation wird häufig unter nicht-hygienischen Bedingungen, ohne Betäubung, von nicht-geschulten Personen sowie oft mit Rasierklingen und sogar Glasscherben durchgeführt. Sie ist in der Regel mit starken, traumatisierenden Schmerzen verbunden, führt zu körperlichen und psychischen Schäden und führt nicht selten zum Tod. Zudem ist vielfach jeder Gang zur Toilette, erst recht jeder Geschlechtsverkehr mit Schmerzen verbunden.  

 

Die eine UN-Resolution von Dezember 2012 werden die Mitgliedsstaaten zum gesetzlichen Verbot der Genitalverstümmelung verpflichtet, sowie zu unterstützenden Maßnahmen für „beschnittene“ Frauen und Mädchen (einschließlich Migrantinnen und Flüchtlingen).

  Die Rechtslage ist ziemlich klar: In Deutschland galt die Genitalbeschneidung als gefährliche Körperverletzung. Eltern, die ihre Töchter z.B. im Herkunftsland „beschneiden“ lassen, können dadurch ihr Sorgerecht verlieren.

 Seit einer Gesetzesänderung 2013 ist die Genitalverstümmelung nun eine „schwere Körperverletzung“:

§ 226a StGB: Verstümmelung weiblicher Genitalien

(1) Wer die äußeren Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

 

Auch viele afrikanische Staaten haben Gesetze gegen die traditionelle Genitalverstümmelung erlassen. Die Gesetzgebung allein nützt aber wenig, aber die (theoretische) strafrechtliche Verfolgung ist eine basale Voraussetzung für das Ende dieser traditionellen Praxis.

In Guinea z.B. wurde die Genitalverstümmelung schon 1969 gesetzlich verboten, aber dennoch sind wohl mehr als 90% aller dortigen Frauen „beschnitten“. Im Jahre 2011 kam in der ost-guineischen Stadt Kankan – der drittgrößten Stadt des Landes - das Gerücht auf, ein kleines Mädchen sei gestorben, weil sie nicht beschnitten war – es sei „unrein“ gewesen. In der Folge kam es in der Region zu einer Welle neuer „Beschneidungen“, von immer jüngeren Mädchen (vgl. „Tagesspiegel“, 8. September 2013, S. 32). Durch Aufklärungskampagnen ist die Zahl der Beschneidungen in der Region nun aber wieder rückläufig, auch haben einige Beschneiderinnen ihren Beruf gewechselt (http://www.mama-afrika.org/de/projekte/erfolge).

 

In Kenia wurde 2011 die Genitalverstümmelung offiziell verboten. Dennoch sind nach UNO-Angaben im Jahre 2019 noch immer ca. 20 % der kenianischen Frauen und Mädchen zwischen 15 und 40 Jahren „beschnitten“: „Die Verstümmelung wird in privaten Kliniken oder zu hause vorgenommen“. Viele Frauen in Kenia (und anderswo) sind zudem bis heute davon überzeugt, „… dass beschnittene Frauen bessere Heiratschancen haben, besser in die Gemeinschaft integriert sind“ (vgl. „Tagesspiegel“, 8. März 2020, S. 32).

 

Die kenianische Organisation „Safe Engage Foundation“ (SEF) versucht seit Jahren die Öffentlichkeit über die Grausamkeit der Verstümmelung aufzuklären und informiert u.a. Lehrer*innen und Schüler*innen.  

  

In der Zeit der „Islamisierung“ des Sudan unter dem Diktator al-Bashir galt z.B. das Tragen von Hosen durch Frauen als Tragen von „obszöner Kleidung“. Jährlich sollen dort nach Angaben des Gesellschaft für Bedrohte Völker bis zu 40 000 Frauen deshalb von der sudanesichen Sittenpolizei mit Auspeitschung bestraft worden sein (vgl.  https://www.presseportal.de/pm/29402/4456887).

Auch im Sudan war (und ist) die weibliche „Beschneidung“ weit verbreitet. Ihsan Fagini [1], eine sudanesische emeritierte Medizinprofessorin, engagiert sich bis heute u.a. an Kampagnen gegen die Verstümmelung der weiblichen Genitalien. Auch prangerte Ihsan Fagini den systematischen Einsatz von Vergewaltigungen von Frauen im Bürgerkrieg in Darfur öffentlich an. Mehrfach war sie deshalb auch inhaftiert. General Hemeti, dessen Milizionäre für diese Verbrechen an zehntausenden Frauen verantwortlich waren,  ist jetzt stellvertretender Vorsitzender des Souveränen Rates, der sudanesischen Übergangsregierung. Ihsan Fagini lebt gefährlich.

 Von sich selbst berichtete sie, dass sie erst als junge Medizinstudentin in Prag „… vor einem anatomischen Modell der weiblichen Geschlechtsorgane … ihre eigene genitale Verstümmelung“ realisierte (Wiedemann,  2020, S. 14, a.a.O.).

 

Weltweit sind 2019, v.a. in Afrika, Asien und im Nahen Osten, mindestens 200 Mio. Frauen genitalverstümmelt, „… weitere Millionen Mädchen jedes Jahr gefährdet“ (vgl. „Tagesspiegel“, 8. März 2020, S. 32). 

 

Täglich sterben etwa 500 Mädchen und  Frauen an den  Folgen der  Genitalverstümmelung (vgl. http://www.mama-afrika.org/de/projekte/erfolge)

 

Zur männlichen Beschneidung - Zirkumzision

 

„Zirkumzision“ (von lat. „circumcisio“  „Beschneidung“) ist der Fachbegriff für die männliche Beschneidung, ein Eingriff, der aus religiösen, medizinischen oder kosmetisch-hygienischen  Gründen erfolgt. Dabei wird die Vorhaut des Penis gekürzt oder entfernt. 

Die Beschneidung von Männern bzw. von männlichen Kindern ist deutlich weiter verbreitet als die Verstümmelung von Mädchen und Frauen. 

 

Sie ist auf der ganzen Welt in den verschiedensten Kulturen, von Polynesien, über Australien (vgl. z.B. Evans-Pritchard,  Bd. I, S. 44/45 & 63, a.a.O.), den Vorderen Orient, in verschiedene Regionen Afrikas bis in die Amazonas-Region.verbreitet und ein typischer Bestandteil von Initiationsriten.  

Die Beschneidung von Männern bzw. von männlichen Kindern ist deutlich weiter verbreitet als die Verstümmelung von Mädchen und Frauen. 

 

Durch die Initiation wir der entsprechende Jugendliche vollwertiges Mitglied der jeweiligen Erwachsenengruppe. Die Beschneidung innerhalb der Initiation wird als Zeichen für Gehorsam und Treue gegenüber den  Traditionen und Riten der Kultur angesehen.

Erklärt wird die Beschneidung vielfach als ein ursprünglicher Opferritus; Das Opfer der Vorhaut sollte die Fruchtbarkeit des Mannes sichern (vgl. Koch, S. 72, a.a.O.). 

 

Schon im antiken Ägypten wurde sie praktiziert (vgl. Abbn. unter).Mit einem Steinmesser wurde das vordere Stück der Vorhaut entfernt (vgl. Freydank, S. 74, a.a.O.). 

 

Die Ursprünge der altägyptischen Beschneidung könnten u.a. mit dem dortigen Schlangenkult zusammenhängen. Verehrt wurden z.B. Mehen (benannt nach dem altägyptischen Verb für „einrollen“, „umwickeln“ oder „umzingeln“), ein Jenseitsgott, einer der zahlreichen Beschützer des Sonnengottes Re und ein Verteidiger der Sonnenbarke.

Eine altägyptische Schlangengöttin war ebenfalls die aus Unterägypten stammende Wadjet (auch WadjitUtoEdjo), deren Hauptkultstätte Buto im Nildelta war. Dargestellt wurde sie oft als aufgerichtete Kobra. Gleichgesetzt wurde Wadjet zudem mit der Uräusschlange, dem ägyptischen Herrschafts- und Schutzzeichen an der Stirn des Pharao. Auch den alten Ägyptern galt die Schlange als unsterblich, weil sie ihre Haut abwerfen und sich so immer wieder zu erneuern schien. 

Verschiedene Kulturhistoriker nahmen an, die männliche Beschneidung könne symbolisch die Häutung von Schlangen nachvollziehen und die menschliche Seele schlangengleich unsterblich machen. 

 

Nach der Genesis, befahl Gott dem 99jährigen Abraham sich selbst und seinen gesamten männlichen Haushalt einschließlich der Sklaven zu beschneiden, als Zeichen des Bundes mit Gott (1. Mose 17, 10-14). Dafür wurde ihm und seinen Nachkommen der Erwerb des verheißenen Landes zugesichert.

Bündnisse, Verträge wurden in der biblischen Zeit oft besiegelt durch das Opfer eines Tieres, wobei impliziert war: Wer den Vertrag bricht, soll das gleiche Schicksal erleiden wie das Opfertier.

Im Hebräischen bedeutet  „karat berit  (vgl. 1. Mose 15,18) "einen Bund besiegeln", wörtlich aber heißt es, einen „Bund schneiden“. Traditionell gehen fromme Juden davon aus, dass die Beschneidung der Vorhaut eine symbolische Besiegelung des Bundes mit Gott darstelle.

Nach der biblischen Überlieferung ist es unklar, ob Mose beschnitten war. Sein Sohn Gerschom war zumindest jahrelang unbeschnitten. Mehrfach wurde vermutet, Mose selbst sei gar kein Hebräer gewesen und unbeschnitten. Max I. Dimont vermutet sogar (ketzerisch), Gott habe nachträglich bemerkt, dass er einem unbeschnittenen Mann den Exodus anvertraut habe (vgl. Dimont, S. 42, a.a.O.). Deshalb habe Gott Mose töten wollen: Nach 2. Mose 4 kam Mose unterwegs zurück nach Ägypten „… der Herr entgegen und wollte ihn töten. Da nahm Zippora einen Stein und beschnitt ihrem Sohn die Vorhaut und rührte ihm seine Füße an und sprach: Du bist mir ein Blutbräutigam. Da ließ er (der Herr, C.M.) von ihm (Mose, C.M.) ab. Sie sprach aber Blutbräutigam um der Beschneidung willen“ (2. Mose 4, 24-26). Moses Frau Zippora hatte so sein Leben gerettet (vgl. auch Botticelli).   

 

Bei dem Propheten Jeremia findet sich ein Beleg dafür, dass zu seiner Zeit die Beschneidung keineswegs nur ein Ritus der Juden war. Er zählte zu den Beschnittenen „Ägypten, Juda, Edom, die Kinder Ammon, Moab und alle, die das Haar nicht abschneiden, die in der Wüste wohnen.“ Des weiteren führte der Prophet aus: „Denn alle Heiden haben unbeschnittene Vorhaut“ (Jeremia 9, 25/26). Belegt ist, dass die Philister, die Assyrer und die Babylonier die Beschneidung nicht praktizierten (vgl. Koch, S. 72, a.a.O.), genauso wie die antiken Phönizier. 

 

Erst im babylonischen Exil wurde anscheinend die Beschneidung der jüdischen Knaben zur religiösen Pflicht., vielleicht als deutliches Unterscheidungsmerkmal zur „heidnischen“ Umwelt. Juden beschneiden seither männliche Kleinkinder bereits 8 Tage nach der Geburt.

Allerdings legt 1 Mose 17, 9-14 diese Vorschrift nachträglich zurück in die Patriarchenzeit, um der Vorschrift höchste, ehrwürdige Weihen zu verleihen. Gott selbst habe Abraham die Beschneidung der Seinen befohlen, was bis heute zu spöttisch-abwertenden Kommentaren über den “alten Vorhautsammler” führt.

 

In der hellenistischen Zeit ließ der seleukidische König Antiochus IV, Epiphanes (215 – 164 v. Chr.) den JHWE-Kult unterdrücken und die Beschneidung bei Todesstrafe verbieten (vgl. Dimont, S. 89, a.a.O.). Eine größere Anzahl von Juden ließ daraufhin – der Überlieferung nach -  die Vorhaut auf medizinischem Wege wieder herstellen.    

Die Entfernung der Vorhaut nach jüdischem Ritus wird Brit Mila (auch: Berit Mila; hebr. ברית מילה, . „Bund der Beschneidung“) genannt.  

 

In der Zeit des entstehenden Christentums kam es zu einem heftigen Streit, ob die „Heidenchristen“ auch beschnitten werden müssten. Paulus kämpfte leidenschaftlich und erfolgreich gegen die Verpflichtung einer Beschneidung (vgl. Phil 3,3 oder Kol 2,11) und forderte stattdessen eine „geistliche“ Beschneidung der „Herzen“, im Sinne von 5  Mose 10, 16). Die Taufe sei das Zeichen des neuen Bundes anstelle der Beschneidung.  

 

In den Jahren 397 - 402 schrieb Augustinus das 33-bändige Werk „Contra Faustum Manichaeum“, Wider den Manichäer Faustus. Auslöser war eine Schrift des ihm persönlich bekannten Manichäers Faustus von Mileve (ca. 350 – ca. 400), der eine Apologie des Manichäismus geschrieben hatte, in der er sich kritisch mit dem Christentum auseinandersetzte: So dem  Alten Testament, der Geburt Jesu und z.B. die Auferstehung Jesu alllegorisch deutete. Die Apologie ist nicht erhalten geblieben, aber Augustinus zitierte aus ihr, um sie auch hinsichtlich der Frage der Beschneidung zu kritisieren.  Faustus hatte angeführt, dass die Christen eine Reihe traditioneller jüdischer Gebote nicht übernommen hätten und nicht beachteten. Augustinus stimmte ihm darin zu und meinte, er selbst hielte die Beschneidung für widerlich [2], die Beachtung des Sabbat für überflüssig und Opfer für Götzendienst (vgl. Augustinus, Faust. 6.1)

 

Im Christentum wurde und wird z.T. das Fest „Beschneidung des Herrn (Circumcisio Domini - Beschneidungsfest) am 1. Januar, am 8. Tag nach der Geburt gefeiert. Auch erhielt das Kind nach Lukas 2 an diesem Tag seinen Namen, der ja schon von Gabriel zur Verkündigung bestimmt worden war. Die katholische Kirche feiert den Tag nicht mehr. Verschiedene Legenden behandeln die Reliquie der „Heiligen Vorhaut“ Jesu, von der es im Verlaufe der Geschichte gleich mehrere gab. Die letzte erhaltene verschwand auf unklare Weise erst 1983 aus der Pfarrkirche in Calcata (im Latium, 43 km nördlich von Rom).   

 

Nach der Genesis wurde auch Ismail, der mythische Stammvater der Araber, von seinem Vater Abraham/Ibrahim im Alter von 13 Jahren beschnitten (1 Mose 17, 25). 

Im vorislamischen Arabien war die Beschneidung männlicher Kinder zumindest weit verbreitet. Hinsichtlich der Person der Propheten Muhammad ist die Überlieferung uneindeutig.  Nach einigen Traditionen sei   er schon  ohne oder mit einer sehr kurzen Vorhaut  geboren worden. Nach einer anderen Überlieferung wurde er von seinem Großvater ʿAbd al-Muttalib ibn Hāschim nach arabischer Tradition beschnitten.  

Auch im Islam wird das Beschneidungsritual für männliche Kinder auf den hochverehrten Propheten Abraham/Ibrahim zurückgeführt.  

 

Jedoch wird die Beschneidung im Koran nicht erwähnt und ist keine der unbedingten religiösen Pflichten eines Muslim. Jedoch fordert der Koran die Gläubigen auf, dem Vorbild Abrahams zu folgen: "Folge dem Weg Abrahams, des Lautern im Glauben, der kein Götzendiener war" (Sure 16,123). Zudem wird die Beschneidung in einigen Hadithen empfohlen.

Dennoch ist sie für vermutlich die allermeisten Muslime als unverzichtbar. Man weiß, dass z.B. auch die Spitzenfunktionäre im sowjetischen Mittelasien beschnitten waren und ihre Söhne beschneiden ließen.   

Die Entfernung der Vorhaut nach islamischem Ritus wird Chitan (auch: Khitan, arab. Beschneidung) genannt. .

 

Die Portugiesen, die am 22. April 1500 mit der für Indien bestimmten Flotte des Pedro Alvares Cabral (ca. 1468 – 1520) vermutlich nicht zufällig an der Küste Brasiliens, im heutigen Bundessaat Bahia, landeten, wurden dort freundlich von den Bewohnern begrüßt. Sofort wurde das Land für Portugal „in Besitz genommen“.

Der Chronist der Expedition, Pedro Vaz de Caminha (1445 – 1500, in Calicut), war begeistert, ihm eröffnete sich eine neue, paradiesisch anmutende Welt: Begegnet waren ihm nackte, am Strand spazierende Frauen, völlig gleichgültig gegenüber den begehrenden Blicken der portugiesischen Matrosen und Soldaten. „Süße Mädchen", führte Caminha aus. "Wie wilde Vögel und Tiere. Sie könnten nicht sauberer und schöner gewachsen sein" (vgl. Caminha, a.a.O.).  

Wie sein enthusiastischen Bericht an den König (Manuel I., den „Gewürzkönig“) festhielt, waren die „Eingeborenen“ nicht beschnitten, konnten also weder Muslime noch Juden sein. Die Christianisierung – verbunden mit einem Völkermord - sollte bald beginnen (vgl. Prutsch, S. 66 f.,  a.a.O.) .

 

Lange Zeit später stellte man fest, dass Beschneidungen in der Amazonas-Region weit verbreitet waren. Zuweilen waren die Initiationen auch mit allerlei Mutproben, wahren Peinigungen verbunden.

Berühmt sind die Initiationen bei den Aparei-Indios (auch: Aparai bzw. Wayana) in der Grenzregion Brasilien/Guayana; Bei diesen „maraké" genannten Ritualen sind die Beschneidungen verbunden mit langen, aufwendigen Festen, Rezitationen, Gesängen und Tänzen.

 

Dabei spielt ein Flechtwerk – kunana- eine besondere Rolle (vgl. Abb. unten). Für die Bewerberinnen ist es ein viereckiges Flechtwerk, für die Bewerber ein zoomorphes Flechtwerk (in Form von Fischen, Vögeln, Tieren, mythischen Tieren etc.). Das Geflecht ist mit farbigen Federn geschmückt. In der Mitte ist das Geflecht so gestaltet, dass es einen Käfig für Ameisen oder Wespen aufnehmen kann. Auf der Haut der heranwachsenden Mädchen oder Jungen wird das Geflecht appliziert, der Käfig geöffnet; die Insekten quälen die oft auf einem Bänkchen sitzenden Initianden äußerst schmerzhaft; zuweilen tragen sie auch das Flechtwerk wie eine Rüstung (vgl. Prat, a.a.O.). Mehrere Stunden lang müssen die Heranwachsenden umgeben von ihren Angehörigen die Schmerzen klaglos erdulden.  

Im Jahre 2011 wurde die zumindest seit dem 18. Jhdt. praktizierte maraké-Zeremonie durch das französische Kulturministerium zum immateriellen Kulturerbe erklärt, die Aufnahme ins UNESCO-Weltkulturerbe ist beantragt.  

 

Auch z.B. im heutigen Italien ist die rituelle Beschneidung männlicher Kinder ein Problem.

Unter den im Jahre 2018 ca.  60 Mio. Einwohnern Italiens waren – seit dem Völkermord - nur noch knapp 45 000 (d.h. weniger als 0,1%) Juden. Bei ihnen stellt die rituelle Beschnei - dank ihrer günstigen sozialen Lage - keinerlei Problem dar.

Ganz anders ist es bei den mehr als 2,2 Mio. Muslimen (ca. 3,7 % der Gesamtbevölkerung) Italiens, v.a. Immigranten aus Afrika und Asien. 99% der muslimischen Eltern wünschen die rituelle Beschneidung ihrer Söhne, und zwar in den ersten Lebensmonaten.

Da diese Beschneidungen in der Regel nicht aus medizinischen, sondern aus rituellen Gründen erfolgt, bezahlt das staatliche italienische Gesundheitssystem sie nicht, und eine privat bezahlte Beschneidung durch Ärzte kostet zwischen 2000 und 4000,- €, was die oft armen Immigranten nicht bezahlen können.

Deshalb verbinden jährlich ca. 6000 muslimische Migranten in Italien die Beschneidung des kleinen Sohnes mit einem Aufenthalt im jeweiligen Heimatland, wo die Beschneidung billiger und nach traditioneller Art erfolgt. Natürlich können sich – schon der Reisekosten wegen – nur besser gestellte und legal in Italien lebende Muslime einen solchen „Beschneidungsurlaub“ leisten (vgl. FASZ, 21. April 2019, S. 16).

Weitere ca. 5000 muslimische Säuglinge werden jährlich in Italien vielfach illegal beschnitten, z.T. in Privatwohnungen, sogar in Flüchtlingsheimen. Die Beschneider sind teilweise nicht medizinisch ausgebildet, stammen oft aus der jeweiligen Heimatregion, gelten als „Heiler“, sind zuweilen Kurpfuscher – aber billig. Eine solche Beschneidung kostete 2018 zwischen 20 und 40,-€.

Allerdings sind solche Beschneidungen oft auch gefährlich, belegt sind Hunderte durch sie hervorgerufene Spätschäden. Zudem gab es allein in den ersten vier Monaten des Jahres 2019 mindestens 3 Todesfälle (vgl. FASZ, 21. April 2019, S. 16).

Deshalb fordern Migrantenorganisationen dringend, dass der staatliche Gesundheitsdienst die Durchführung der Beschneidungen übernehmen soll, u.U. mit einer gewissen Selbstbeteiligung der Eltern.

 

In z.B. der Türkei bezahlt die jeweilige Versicherung die Beschneidungen, nicht allerdings die oft aufwendigen Beschneidungsfeiern. Privat wird für den staatlich ausgebildeten und geprüften Sünnetçi umgerechnet ca. 100 – 300,- € bezahlt.    

Jedoch darf sich in der Türkei jeder Sünnetçi nennen; auf dem Lande arbeiten z.T. Friseure oder Hodschas als Beschneider, oft ohne Narkose und angemessene Desinfektion. Wie viele Spätschäden so entstehen, ist unklar.

Necla Kelek fordert deshalb (in "Die verlorenen Söhne") Beschneidungen ohne medizinische Indikation generell zu verbieten.  

 

Seit Jahrzehnten gibt es nicht nur unterschiedliche rechtliche Situationen zur Beschneidung in einzelnen Staaten sondern auch heftige Kontroversen um die Beschneidung Minderjähriger.

 

(unveränderlich, nach dem Gregorianischen Kalender)

 


[1] Für ihr mutiges menschenrechtliches Engagement erhielt Ihsan Fagiri am 10. Dezember 2019 den Menschenrechtspreis der Stadt Weimar.  

[2] Viele Römer verabscheuten die Beschneidung, was oft eine Konversion zum Judentum verhinderte (vgl. Dimont, S. 116/119, a.a.O.). Umgekehrt erleichterte der Verzicht auf die Beschneidung die christliche „Heidenmission“ enorm. 

 

© Christian Meyer

 

„Beschneidung“ bei den Manja in Tschad (aus Haberland, S. 46, a.a.O.).

Abb.: Darstellung von männlicher Beschneidung auf einem ägyptischen Papyrus (Abb. von einer Postkarte des Ägyptischen Museums Kairo)

Das Original-Relief mit dem Beschneidungsritual befindet sich in der Mastaba des Ankh-Ma-Hor in Sakkara, 6./7. Dynastie, 2350-2200 v. Chr.. Es handelt sich dabei um das Grab des Wesirs des Pharao Teti II. und ist unter der Bezeichnung "Grab des Arztes" bekannt, da u.a. Szenen chirurgischer Eingriffe dargestellt wurden: Eine Zehenoperation, eine Daumenoperation und eben eine Beschneidung, wohl die älteste künstlerische Darstellung einer Zirkumzision im Alten Ägypten. In diesem Fall wurden erwachsene Männer beschnitten.

Die Beschneidung war im antiken Ägypten bei 10-jährigen Jungen verbreitet, wenn auch nicht religiöse Pflicht. Sie wurde bis ca. 400 n. Chr. praktiziert. Sie diente u.U. auch als Erkennungszeichen: Nach Schlachten im Krieg pflegten die Ägypter nicht-beschnittene Tote zu „entmannen“ und so die Zahl der getöteten Feinde festzustellen.

Der zu der Relief-Darstellung gehörige hieroglyphische Text (vgl. Abb. unten) lautet in drei möglichen Interpretationen:

1.     Der Hem-Ka-Priester vollzieht eine Beschneidung, oder

2.     Jemand beschneidet den Hem-Ka-Priester, oder

3.     Der Hem-Ka-Priester erduldet eine Beschneidung.

 

„Hem Ka“ bedeutet „Diener des Ka“ und bezeichnete einen relativ niedrigen Typ der altägyptischen Priesterhierarchie.

Ka war in der  Mythologie Altägyptens ein Aspekt der Seele. Ka würde nach dem Tode  den Körper verlassen und eigenständig weiter existieren.  Ais Hieroglyphe wird Ka durch zwei miteinander verbundene erhobene Arme und Hände dargestellt. Die Hem-Ka-Priester waren in den Totentempeln zuständig für Totenrituale und Opfergaben für den Verstorbenen. 

 

 

Abb.: „Ameisengitter für Mutproben bei der Initiation der Aparei-Indios“ (Abb. aus Tischler, S. 236, a.a.O.).