Frida Kahlo (1907-1954), die berühmte, durch die Folgen einer Kinderlähmung gehandicapte, mexikanische Malerin, schuf 1935 ein Bild mit dem Titel “Unos cuantos piquetitos – Nur ein paar Piekser”. Das Bild ging auf eine damalige Zeitungsmeldung zurück: Ein eifersüchtiger Mexikaner hatte seine Ehefrau erstochen und vor Gericht ausgeführt, er habe ihr doch „nur ein paar Piekser“ versetzt. Das Bild zeigt die nackt auf einem Bett liegende, blutüberströmte, mit Messerstichen ermordete Frau. Daneben steht ein Mörder mit dem Messer in der Hand. Heute befindet sich das Gemälde im Museo Dolores Olmedo, Ciudad de México.
Abb. einfügen: „Eckdaten der modernen Sklaverei“ (Abb. aus Planche, S. 11, a.a.O.).
Aus den Daten des im November 2021 erschienenen „Atlas der Versklavung“ wird überdeutlich, dass Frauen weltweit von dieser „Form extremer Ungleichheit“ (Planche, S. 7, a.a.O.) besonders betroffen sind.
Abb. oben.: Im Jahre 2000 veröffentlichte die deutsche Bundespost eine Briefmarke: "Keine Gewalt gegen Frauen".
Vorbereitung einer Hexenverbrennung im 17. Jahdt. im isländischen Þingvellir; Schautafel daselbst (Photo: Karoline Schulz, August 2017).
Der ehemalige Ertränkungsteich (Drekkingarhylur) liegt im Norden, die ehemalige Verbrennungsschlucht (Brennugja) im Nordosten des Thingvellir (Abb. aus dem Welterbeführungsblatt)
25. November Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen
Am 25. November 1960 wurden in der Dominikanischen Republik drei gegen die Trujillo – Diktatur politisch aktive Schwestern, Patria, Minerva und Maria Teresa Mirabal nach monatelanger Folter durch den militärischen Geheimdienst ermordet. Zuerst in der Karibik, in Lateinamerika und dann weltweit wurden der Kampf und das Schicksal der Geschwister Mirabal zum Symbol gegen die Unterdrückung und gegen Gewalt an Frauen.
Am 25. November 1981 riefen Frauen einer internationalen Frauenkonferenz in Bogotá das Datum zum Gedenktag für die Opfer von Gewalt an Frauen und Mädchen [1] aus.
Eine Ursache der Gewalt von Männern gegen Frauen könnte die Angst von Männern vor Frauen sein, so vor der (auch) als bedrohlich erlebten erotischen Attraktivität von Frauen - Narrative, die so alt sind, wie die überlieferte Geschichte:
Vertreibung aus dem Paradies gedeutet.
die schöne Helena dem Hektor, Paris und ganz Troja, Salome dem Johannes.
Gewalt gegen Frauen ist ein Symptom „asymmetrischer Geschlechterbeziehungen“ und hat verschiedenste Erscheinungsformen.Wie Meike Stoverock ausführte, bringt heute „ die #MeToo-Bewegung …. die Allgegenwart sexueller Gewalt endlich zur Anklage“ (vgl. Stoverock, S.11, a.a.O.)
Ist Gewalt gegen Frauen eine Folge gesellschaflicher Ungleichheit, von Machtgefälle, von Hierarchien? Sind Frauen in Gesellschaften mit geringer Rollendifferenzierung und „flachen“ Hierarchien weniger von Gewalt betroffen ?
Welche Formen von - auch struktureller - Gewalt gegen Frauen gibt es?
Nicht unterschätzt werden sollte die Bedeutung Sexistischer Werbung. Hinsichtlich von Werbung könnte man unterscheiden zwischen ...
Offensichtlich ist dabei ein subjektive Faktor: was der Eine als geschmacklos empfindet, muss nicht diskriminierend sein. Sexistsch wäre z.B. die Werbung eines Pannendienstes, bei der sich eine (halbnackte) Frau über eine Motorhaube beugt, und die Überschrift lautet: „Abschleppen ist genau dein Ding?“.
Allerdings scheint sexistische Werbung abzunehmen. Nach einer Studie der Hochschule der Medien Stuttgart wurde 1996 jede zweite Frau in der Werbung sexualisiert dargestellt, wobei die Auto- und Dienstleistungswerbung hauptsächlich betroffen war. Im Jahre 2016 wurde nur ca. jede dritte Frau in der Werbung sexualisiert dargestellt, vor allem in der Kosmetikbranche.
Versuche der SPD und der Linken sexistische Werbung gesetzlich zu verbieten führten bislang zu keinem Resultat. Allerdings haben einige Berliner Stadtbezirke – so
z.B. Friedrichshain-Kreuzberg - entsprechende Regelungen erlassen.
„Herrenwitze“ scheinen dagegen v.a. in der deutschen Großstädten auf dem Rückzug zu sein (vgl, „Tagesspiegel“, 25. November 2017, S. 31).
Nach WHO-Berechnungen erfuhren 2019 etwa 35 % aller Frauen weltweit in ihrem Leben körperliche und sexuelle Gewalt. Nach UNICEF-Berechnungen wurden 2019 mindestens 18 Mio. Mädchen in einem Alter von weniger als 18 Jahren verheiratet. In manchen Regionen Indiens wurden 74 % aller jungen Frauen im Alter von unter 18 Jahren verheiratet (vgl. „Tagesspiegel“, 8. März 2020, S. 32).
Verschiedene Bereiche der ja immer mit Gewalt verbundenen „modernen Sklaverei“ sind vorwiegend weiblich (zu einem großen Teil migrantische Frauen; Planche, S. 10, a.a.O.), seien es die Tätigkeiten als Haushaltshilfen, die Zwangsarbeit in der Textilindustrie, die Zwangsprostitution oder die Zwangsheirat, die ja nach Serap Cileli oft eine lebenslange Vergewaltigung darstellt.
Nach den allerdings auf Schätzungen und Hochrechnungen beruhenden Zahlen des „Atlas der Versklavung“ gab es 2017 weltweit ca. 40,7 Mio. Opfer moderner Sklaverei (beiderlei Geschlechts), darunter 24,9 Mio. Opfer von Zwangsarbeit (beiderlei Geschlechts) [0], ca. 15,4 Mio. Opfer von Zwangsheiraten (überwiegend weiblich), 4,8 Mio. Opfer von Zwangsprostitution (überwiegend weiblich), darunter etwa 1 Mio. Kinder (vgl. Planche, S. 46, a.a.O.). Insgesamt sollen ungefähr 71% der heutigen Opfer von Versklavung Frauen und Mädchen sein (Planche, S. 11, a.a.O.).
Für Deutschland wurde die – erstaunliche und beängstigend hohe – Zahl von ca. 167 000 versklavten Manschen angegeben – das ist gleich der Einwohnerzahl von Potsdam (vgl. Planche, S. 6, a.a.O.).
In absoluten Zahlen sind „.. heute … mehr Menschen versklavt als jemals in der Geschichte“ (Planche, S. 5, a.a.O.).
Gewalt gegen Frauen ist auch in Europa ein sehr altes Phänomen. Genetische Untersuchungen in Island zeigten, dass „... 75 bis 80 .... der männlichen Besiedler Islands aus Norwegen (stammten), die Fauen jedoch zu 60 % aus Irland und Schottland. Wikinger hatten sie geraubt und über den Nordatlantik verschleppt“ (Ewe, S. 68, a.a.O.).
In dem isländischen Þingvellir, dem spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Althing- und Gerichtsort (seit 2004 Weltkulturerbe) befindet sich nahe dem Lögberg (dem einstigen Vortragsort des Gesetzessprechers) der Drekkingarhylur (Ertränkungsteich). Es handelt sich um den Ort, an dem Frauen, die uneheliche Kinder geboren, Ehebruch oder Kindsmord begangen oder ihren Ehemann ermordet hatten, öffentlich ertränkt wurden. Die verurteilten Frauen wurden gezwungen, sich mit gebundenen Armen und Beinen sowie mit einem Sack über dem Kopf an den Rand des Teiches zu stellen, um von Schaulustigen verhöhnt zu werden. Um ihre Leibesmitte wurde ein Seil gebunden, über den Teich gespannt; von der gegenüberliegenden Seite wurde die Todeskandidatin ins Wasser gerissen. Dann wurde sie mit einem Stecken unter Wasser gedrückt, bis sie sich nicht mehr bewegte.
Belegt sind Hinrichtungen dieser Art erst nach der Einführung der Reformation, die in Island unter dänischem Einfluss besonders rigide und fundamentalistisch ablief. Die erste Hinrichtung dieser Art scheint 1618 stattgefunden zu haben, die letzte 1749. Insgesamt sollen in dem Ertränkungsteich im Þingvellir 18 Frauen hingerichtet worden sein. Verurteilte Männer wurden enthauptet.
Vermeintliche Hexen wurden in Island einst (v.a. im 17. Jhdt.) in der Brennugja, der Verbrennungsschlucht nahe dem Þingvellir auf Scheiterhaufen aus Birkenholz ermordet (vgl. Abb. oben). Wie viele „Hexen“ dort verbrannt wurden, ist unklar.
In der Schweiz wurde eine Frau noch als Hexe verrurteilt, als es den Straftatbestand der „Hexerei“ schon nicht mehr gab. Die Dienstmagd Anna Göldi (1734 - 1782) wurde im Kanton Glarus als Giftmischerein angeklagt. Sie sollte – im Auftrag des Teufels – einem in ihrer Obhut befindlichen Kind Stecknadeln, Nägel und Eisendrähte in die Milch gezaubert haben.
Aufgrund von Ressentiments, Vorurteilen und übler Nachrede (sie war von einem ihrer verheirateten Dienstherren schwanger und man wollte sie loswerden) wurde sie angeklagt. „Was bedeutet es, dass man Anna Göldi nicht als Hexe verurteilte, aber mit ihr verfuhr, als ob sie eine hätte sein können?“ (Arni, a.a.O.).
So wurde Anna Göldi im Juni 1782 mit dem Schwert hingerichtet. Im Zeitalter der Aufklärung „::: dauerte es nicht lang, da spottete man in halb Europa über die Glarner, von denen nun gesagt wird, sie würden noch an Hexen glauben“ (Arni, a.a.O.).
Dennoch dauerte es – wie die Basler Historikerin Caroline Arni herausarbeitete – nach der Hinrichtung 226 Jahre, bis die Schweizer Justiz 2008 Anna Göldi rehabilitierte und ihr Fall nun ganz offiziell als Justizmord gilt.
Unterdessen gibt es auch einen Film, ein Mahnmal und ein Museum zu ihrem Gedächtnis.
Im europäischen Mittelalter galten Vergewaltigungen von Frauen – zumindest in einigen Regionen – nicht als Verbrechen an der Frau, sondern als Verstoß gegen die Eigentumsrechte des Ehemannes.
In aristokratischen Kreisen Frankreichs im 14. Jhdt. konnte ein solches Eigentumsdelikt im Fall des Leugnens des beschuldigten Täters durch ein gerichtliches Duell bis zum Tode geklärt werden. Dass Duell galt dann als Gottesurteil, verlor der Ehemann, galt die Frau als der Lüge überführt und würde auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Ein solcher historisch in zeitgenössischen Chroniken belegter Fall war 1386 der des normannischen Ritters Jean de Carrouges und seiner Ehefrau Marguerite, die den Aristokraten und Freund ihres Mannes Jacques Le Gris beschuldigte, sie vergewaltigt zu haben (ob zu Recht, ist in Frankreich bis heute umstritten, vgl. Ralf Krämer, a.a.O.). Das Duell fand statt am 29. Dezember 1386 [01], Jean siegte, Jacques aber bestritt bis zu seinem Tode die Vergewaltigung.
Diese Geschichte „toxischer Männlichkeit“ ist der historische Hintergrund des Films von 2021 „The last Duel“ von von Ridley Scott.
Der spanische Dichter Calderon de la Barca (1600-1681) beschrieb in seinem um 1640 entstandenen Theaterstück „Der Richter von Zalamea“ mehrseitige Gewaltverhältnisse von Frauen, um der „Ehre“ willen; sie dürften damals nicht nur in Spanien nicht selten gewesen sein. In dem Stück wird die junge, schöne, reiche Bauerntochter Isabel von einem Hauptmann der Armee König Philipp II. – Calderon selbst war jahrelang Soldat und nahm an mehreren Kriegen teil – mit Gewlt entführt und vergewaltigt.
Isabel selbst rechnet in der Folge damit, dass ihr Vater und ihr Bruder sie zur Wiederherstellung ihrer „Ehre“ töten würden (vgl. Calderon, S. 167 & S. 184/85, a.a.O.). Wörtlich schlägt Isabel dem Vater vor: „
„Laß den Ruf von dir berichten,
Daß, ums Leben deiner Ehre,
Du den Tod gabst deinem Kinde“ (Calderon, S. 171, a.a.O.).
Jedoch versucht der Vater Isabels, den Vergewaltiger, den adligen Hauptmann, zur Wiederherstellung der „Ehre“ zu überreden, die Tochter einschließlich einer reichen „Morgengabe“ zur heiraten (Calderon, S. 178, a.a.O.). Der adelsstolze Hauptmann lehnt aber diese für ihn nicht standesgemäße Ehe ab.
Zwischenzeitlich wurde der Vater zum Richter des Dorfes Zalamea in der Estremadura gewählt, er ist nun Opfer und handelnder Richter in einer Person – allerdings für den adligen Militär nicht zuständig.
Er entscheidet sich angesichts der Schwere des Verbrechens für einen formalen Rechtsbruch und lässt den Hauptmann mit der Garotte erdrosseln. Der nun eintreffende König bestätigt das Urteil und macht den Vater zum Richter auf Lebenszeit. Für Isabel bleibt nur eine Lösung:
„In ein Kloster tritt sie bald,
Wo sie einen Bräut’gam findet,
Der nicht achtet auf den Stand“ (Calderon, S. 195, a.a.O.).
Ein Gewaltverhältnis besonderer Art herrschte bis ins 19. Jhdt. in den europäischen Kolonien, auch und gerade gegenüber „kolonisierten“ Frauen.
Ein dunkles „… Kapitel deutscher Kolonialherrschaft“ in Togo beschreibt die Historikerin Rebekka Habermas (*1959, die Tochter von Jürgen Habermas) , - beileibe kein Einzelfall, wie die Autorin betonte. „Gewalt (war) im kolonialen Alltag omnipräsent… Die Gewalt hatte keine mehr oder weniger persönlichen Gründe, sondern war struktureller Natur“ (R. Habermas, S. 14/15, a.a.O.).
Im Jahre 1902 vergewaltigte in Atakpame/Togo ein deutscher (akademisch gebildeter) Kolonialbeamter eine junge Togolesin. Als es zudem zu Streiks gegen die koloniale Zwangsarbeit kam, wurden darüber hinaus ein intervenierender lokaler Dorfvorsteher verhaftet, und grausame Bestrafungen mit Todesfolge angeordnet.
Das besondere an dem Fall war, dass die betroffene Togolesin sowohl gute Beziehungen zu den einheimischen Autoritäten als auch zu den lokalen katholischen Missionaren hatte.
In der Folge gelangten die Ereignisse aus Togo rasch in die deutsche und ausländische Presse. Durch u.a. den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger und August Bebel (SPD) wurden die Gewaltvorkommnisse sogar vor den Berliner Reichstag gebracht, ohne dass allerdings der Kolonialismus und die zugrunde liegenden rassistischen Stereotypen generell in Frage gestellt wurden.
Der Täter kam in Togo vor ein deutsches Gericht, wurde aber von allen Anklagen freigesprochen und nach der damals ebenfalls deutschen Kolonie Kamerun versetzt (wo er weitere Gewalttaten beging).
Der Skandal hatte jedoch noch eine weitere, rassistische Ebene: Denn – theoretisch – wurden sexuelle Beziehungen zu den „Kolonisierten“ generell abgelehnt, aus Gründen der „Rassenhygiene“, da eine „Verkafferung“ drohe, galt eine eugenisch begründete strikte Rassentrennung (vgl. R. Habermas, S. 63, a.a.O.).
Tatsächlich aber hatten wahrscheinlich – nicht nur in Togo – um die 90% der Kolonialbeamten konkubinatsähnliche Beziehungen zu einheimischen Frauen und zahlreiche Kinder. Viele dieser Beziehungen begannen – wie die Historikerin Bettina Zurstrassen darlegte – mit einer Vergewaltigung (vgl. R. Habermas, S. 59, a.a.O.).
Vor relativ kurzer Zeit war Gewalt gegenüber Frauen auch in Europa ganz selbstverständlich und gesellschaftlich akzeptiert. Bis ins 20. Jhdt. hinein gab es in vielen europäischen Staaten ein „Züchtigungsrecht“ des Ehemanns gegenüber der Ehefrau als Bestandteil der bürgerlichen Ehegesetzgebung.
Erst im Jahre 1891 „… verbot ein englisches Gerichtsurteil …. dem Ehemann das Schlagen der Ehefrau mit einem Stock, der dicker war als ein Daumen, und 1895 wurde Ehefrauen das Recht auf Scheidung zugesprochen, wenn der Gatte sie länger als zwei Monate zu Hause eingeschlossen hatte“ (vgl. Heitmeyer / Schröttle, 2006, S. 94, a.a.O.).
Weltweit sind Mädchen und Frauen bis heute immer wieder verschiedensten Formen geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Zu unterscheiden wären körperliche (nichtsexualisierte), sexuelle und psychische Gewalt, die allerdings oft in einander übergehen. Die Gewalt kann vom familiären Umfeld, von der Gesellschaft oder dem Staat ausgehen oder toleriert werden. Allein in der Bundesrepublik fliehen jährlich ca. 40 000 Frauen vor ihren gewalttätigen Männern ins Frauenhaus. Nach Schätzungen der Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ sind in Deutschland ca. 25% aller Frauen Opfer von körperlichen oder sexuellen Übergriffen (vgl. Tagesspiegel, 7. März 2007, S. 11).
Im Jahre 2016 haben in Deutschland insgesamt 133 000 Menschen Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner erlitten (Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Körperverletzung,
Stalking oder andere polizeilich erfasste Bedrohungen). 82 % der Betroffenen sind Frauen, die Hälfte von ihnen lebt mit dem Täter in einem Haushalt (vgl, „Tagesspiegel“, 25. November 2017, S. 1).
Seit Jahren steigt diese Ziffer, von 2015 zu 2016 um immerhin 4,4 %, wohl in Folge steigender Bereitschaft und Mut den Täter anzuzeigen. Dennoch dürfte die Dunkelziffer viel höher
liegen.
Hilfstelefone für Frauen gegen Gewalt bieten in Deutschland in 17 Sprachen Hilfe an; zwischen 2013 und 2016 nutzten 61 000 Betroffene diese Telefone.
Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik wurden 2020 in Deutschland 7723 Frauen vergewaltigt, ca. 21 Frauen pro Tag; in Berlin allein wurden 2020 insgesamt 688 Vergewaltigungen angezeigt (vgl. Bettendorf, S. AB2, a.a.O.).
Tatsächlich aber zeigen nur ca. 5 – 15% der Betroffenen die Tat an, u.a. aus Mangel an Beweisen. Nur 1% der vergewaltigten Frauen in Deutschland erlebt eine Verurteilung des Täters. Die Anderen leiden „… oft jahrzehntelang unter traumatischen Folgen.
In Deutschland ist jede dritte Frau von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen – und die Zahlen gehen nicht zurück. Es ist ein bekanntes Phänomen und eines der größten
strukturellen Probleme unserer Gesellschaft“ (Bettendorf, S. MB2, a.a.O.).
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind ein Viertel aller Frauen weltweit sexuellem Missbrauch und Gewalt in dem eigenen familiären Umfeld ausgesetzt, wobei berücksichtigt werden muss, dass hier aus Scham die Dunkelziffer immer besonders hoch ist.
150 Millionen Frauen leiden unter den Folgen weiblicher Genitalverstümmelung, jährlich kommen weitere 2 Millionen dazu.Nach Schätzungen waren 2016 ca. 200 Millionen Mädchen und Frauen beschnitten (vgl. Yee, a.a.O.), leiden unter den Folgen weiblicher Genitalverstümmelung. Jährlich kommen weitere ca. 2 Millionen dazu.
Ca. 19000 Frauen in Deutschland sind bereits verstümmelt, ca. 4000 Mädchen gelten nach Schätzungen als gefährdet (vgl. Tagesspiegel, 7. März 2007, S. 11). „Tostan“ (≙ „Durchbruch“, auf Wolof), eine nicht gewinnorientierte zivilgesellschaftliche Hilfsorganisation im Senegal, wurde 1991 u.a. von Molly Melching gegründet, einer (weißen) US-amerikanischen Gemeinswesenarbeiterin, die 1971 als Austauschstudentin in den Senegal gekommen war. Ziel von Tostan war der Kampf gegen die Armut, den Analphabetismus und die Unwissenheit. Rasch aber rückten neben den Menschenrechten und Gesundheitsfragen der Kampf gegen die weibliche „Beschneidung“, die rituelle Genitalverstümmelung ins Blickfeld der Organisation.
Molly Melching lebt und arbeitet seit den 80er Jahren im Senegal, spricht fließend Wolof, die Hauptsprache Senegals und erwarb das Vertrauen vieler Frauen der Region. Diese trugen von sich aus das Thema der Genitalverstümmelung an Melching heran.
Im Senegal werden dabei vielfach die Klitoris und Teile der Labia (der Schamlippen) entfernt und die Vagina partiell verschlossen. Viele Frauen haben dieser (schmerzhaften) Genitalverstümmelung wegen zeitlebens Menstruationsbeschwerden, Komplikationen bei Geburten sowie Schmerzen beim Harnlassen und dem sexuellen Verkehr. Jedoch war die „Beschneidung“ der Frau in vielen Regionen eine klare Vorbedingung für eine Eheschließung. Nicht-beschnittene fanden oft keinen Ehepartner und wurden geächtet.
Besonders erfolgreich wurde die Aufklärungskampagne, weil sich auch regional angesehene Imame, wie der über 80jährige Imam Demba Diawara nach anfänglichen Bedenken in der späten 90er Jahren der Aktion anschloss. Anfangs hielt er die weibliche „Beschneidung“ nur für eine ehrwürdige, von den Ahnen überlieferte, harmlose, positiv bewertete Tradition und eine Privatsache der Frauen. Erst nach längeren Lern- und Bewusstwerdungsprozessen erkannte er die negativen Folgen und reiste nun zu Fuß und zu Pferde von seinem Heimatdorf Keur Simbara (70 km von Dakar entfernt) durch hunderte von Dörfern und klärte Dorfbewohner*innen über die Folgen der „Beschneidung“ auf. Insbesondere wies der Imam immer wieder darauf hin, dass sie keine islamische Vorschrift sei (vgl. Yee, a.a.O.).
In der Folge gelang es, dass 8000 Gemeinden in Senegal öffentlich die Abschaffung der „Beschneidung“ wie auch der Zwangs- und Kinderheiraten verkündeten.
Im Jahre 2005 waren noch 25 % der senegalischen Mädchen und Frauen zwischen 15 und 19 Jahren „beschnitten“, 2014 waren es nur noch 21 %. In einigen Regionen des Landes aber waren immer noch 92 % aller Frauen genital verstümmelt (vgl. Yee, a.a.O.).
Die Tostan-Aufklärungskampagne wurde unterdessen vom senegalischen Staat adaptiert und in andere regionale Sprachen transformiert, zudem hat sie sich währenddessen auf sieben weitere afrikanische Staaten ausgedehnt mit mehr 200 000 Teilnhmer*innen. Nach eigener Aussage erreichte Tostan bis 2017 insgesamt mehr als 3 Millionen Menschen.
In dem Zeitraum 2002/2004 wurde die erste große Repräsentativstudie zur Gewalt gegenüber Frauen in Deutschland Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführt. Befragt wurden dabei mehr als 10 000 in Deutschland lebende Frauen zwischen 16 und 85 Jahren. Es stellte sich heraus, dass …
Nach einer Studie aus dem Jahre 2020 durch „Plan international“ unter 15 - 24jährigen Mädchen und Frauen in Deutschland haben diese zu 70 % Bedrohungen, (oft sexualisierte) Beleidigungen und Diskriminierungen in den „sozialen Medien“ erfahren (vgl. Tagesspiegel, 25. November 2020, S. 8). Die Werte lagen sogar noch höher, wenn es sich dabei um Frauen mit einem „Migrationshintergrund“ handelt. Vielfach wird dabei versucht, die Mädchen und Frauen mundtot zu machen, sie zum „silencing“ zu bringen, was die Gewalterfahrung noch verstärkt: „Hate speech ist Gewalterfahrung“ (vgl. Tagesspiegel, 25. November 2020, S. 8.).
Die investigative deutsche Journalistin Pascale Müller (* 1990) charakterisierte die „alltäglichen Übergriffe“, die sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum wie folgt. „Fremde Hände, die einen plötzlich anfassen, Brüste betatschen, an die Obrerschenkel greifen, obzöne Laute, ein versuchter Kuss. In der U-Bahn, in der Schule, in der Universität, im Park. Sexualisierte Gewalt und Belästigung im öffentlichen Raum sind für viele Frauen Alltag“ (vgl. Pascale Müller, 2016, a.a.O.).
Massenhafte Übergriffe wie in der Silvesternacht in Köln gab es aber nur relativ selten.
In der Silvesternacht 2015/16 kam es in Köln, vor dem Hauptbahnhof, zu „massenhaften Übergriffen auf Frauen“ (vgl. Huber, a.a.O.), an denen –wie es den Anschein hat – junge Männer mit Migrationshintergrund überrepräsemtiert beteiligt waren. Sexualisierte Gewalt an Frauen als „Massenverbrechen“ habe „... in dieser Dimension so noch nicht stattgefunden“, führte dazu eine Sprecherin des Deutschen Presserates aus (vgl. Huber, a.a.O.).
Dabie hatte die Kölner Polizei am Neujahrsmorgen verlautbart, die Silvester-Feiern seien „weitgehend friedlich“ abgelaufen, die Presse berichtete daraufhin erst Tage später. Sprechen der CSU erhoben daraufhin den Vorwurf, es gäbe ein „Schweigekartell, ... sobald es um Vorwürfe gegen Ausländer“ gehe (vgl. Huber, a.a.O.).
Bedeutsam ist die Tatsache, dass die eigene Biographie ein signifikanter Risikofaktor für Gewalt ist: Wer selbst als Kind / Jugendlicher von Gewalt betroffen war, erlebte / praktizierte sie als Erwachsener selbst weit häufiger als Nicht – Betroffene (vgl. Heitmeyer / Schröttle, 2006, S. 90, a.a.O.).
Wichtige juristische Teilschritte zur Verbesserung der Situation gewaltbetroffener Frauen in Deutschland waren …
Welche langfristigen Auswirkungen ein intensiver Konsum von gewaltverherrlichender Pornographie und frauenverachtenden Computerspielen haben werden, ist schwer abschätzbar.
Unter anderen war (und ist) es im Iran eine weit verbreitete Tradition, für Mädchen einen Ehemann zu finden, bevor die Tochter zu menstruieren beginnt. Chomeini selbst empfahl den Vätern: „Setzt alles daran, dass eure Töchter ihr erstes Blut nicht in eurem Hause sehen“ (Chomeini, zit. n. Taheri, 1985, S. 34, a.a.O.).
Im Sommer 2016 wurde in Kamjaran (im westlichen, kurdischen Teil Irans) ein elfjähriges Mädchen aufgefunden, das Selbstmord begangen hatte. Nach einer (armutsbedingten) Zwangsheirat mit einem 14 Jahre älteren behinderten Mann hatte das Waisenmädchen sich aus Angst mit dem Tschador ihrer Großmutter, bei der sie lebte, erhängt (vgl. Berliner Zeitung, 4. August 2016, S. 4).
Nach Schätzungen werden jedes Jahr weltweit ca. 15 Mio. minderjährige Mädchen von ihren Eltern gezwungen, einen Mann zu heiraten, der ihr Vater sein könnte. Diese „Bräute mit der Schulmappe“ (Cojean [4], S. 1, a.a.O.) sind stille Verbrechen, gegen die nur wenige der Opfer später aufbegehren.
Insgesamt sind es wohl zur Zeit mehr als 700 Mio. Frauen, die als Kinder verheiratet wurden (vgl. Cojean. S. 10, a.a.O.). Circa alle 2 Sekunden wird weltweit ein Mädchen verheiratet, ohne körperlich und emotional reif für eine Ehe und Mutterschaft zu sein. Niger ist mit 76 % vermutlich weltweit das Land mit der höchsten Rate an Kinderehen. Nach Terre des Femmes wurden 2015 jeden Tag ca. 39000 Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet. Die gemeinnützige, international vernetzte Frauenrechtsorganisation engagiert sich u.a. mit Unterschriftsaktionen gegen dieses gravierende Unrecht.
Jede Form von Widerstand gegen die erzwungene Ehe wird vielfach mit körperlicher Gewalt beantwortet, als Schande für die Familie betrachtet. Eine Flucht vor oder aus der Ehe wird oft mit einer Art von sozialem Tod beantwortet, einem Verstoß durch die Familie, einem Verlust der Familie, der Freunde, der sozialen Kontakte in der jeweiligen Community, im schlimmsten Fall mit „Ehrenmorden“.
Die Schläge, die Gewalt, die Entführungen, die Versklavung und Vergewaltigung verdienten den Namen einer „Ehe“ nicht (vgl. Cojean, S. 11, a.a.O.).
Zwischen 2003 und 2015 gab es in Großbritannien insgesamt 140 Morde an heranwachsenden Mädchen und Frauen, die sich einer erzwungenen Ehe in der Herkunftsgruppe verweigerten (vgl. Cojean, S. 10, a.a.O.).
Jüngere Geschwister kennen jedoch oft die Verfahren, mit denen die älteren Schwestern verheiratet wurden.
Bei Immigrantenfamilien in Europa werden oft angebliche Ferien in dem Herkunftsland dazu genutzt, die nichts ahnenden minderjährigen Töchter zu verheiraten.
Die Ehen minderjähriger Mädchen ziehen für diese auch gesundheitliche Probleme nach sich. So ist z.B. die Gefährdung von Mädchen unter 15 Jahren, bei einer Entbindung zu sterben, fünfmal größer als bei Frauen von 20 bis 25 Jahren (vgl. Cojean, S. 1, a.a.O.).
In z.B. Mozambik und Sambia werden viele Mädchen zwischen 8 und 13 Jahren nach ihrer ersten Regelblutung von den Eltern in „Lager“ zur sexuellen Initiation gebracht. Dort sollen sie von älteren Frauen lernen, „… einen Mann zu befriedigen“ und einen Haushalt zu führen. Oft weigern sich Männer, nicht-initiierte Mädchen zu heiraten. Umgekehrt werden viele der Mädchen sofort nach den Lagern verheiratet, obwohl das Mindestheiratsalter offiziell bei 18 Jahen liegt (vgl. Cojean, S. 11, a.a.O.).
In z.B. Sierra Leone (nach der Ebola-Epidemie) oder in Nepal (nach dem Erdbeben vom April 2015) werden viele minderjährigen Mädchen von ihren Eltern verheiratet, weil sich so die Ernährungslage der Familie verbessert.
In Nigeria sehen viele Eltern angesichts von Bürgerkrieg und Boko Haram in einer frühen Ehe eine Option zum Schutz ihrer Töchter vor Entführung, Vergewaltigung und Prostitution (vgl. Cojean, S. 11, a.a.O.).
In den letzten Jahren arbeiten allerdings immer mehr Menschen in ganzen Organisationen daran, dass die hinter den Kinderehen stehenden Traditionen als Verbrechen anerkannt werden.
Die Organisation „Karma Nirvana“, die 1993 in Großbritannien gegründet wurde und heute auch international agiert, unterstützt und hilft jungen Immigrantinnen, die gegen ihren Willen verheiratet werden sollen. Zudem versucht die Organisation, die Öffentlichkeit für die Probleme der Zwangsehen zu sensibilisieren.
V.a. durch die Aktivitäten von Karma Nirvana und ihrer wichtigsten Gründerin Jasvinder Sanghera (*1965) ist heute die Zwangsehe ein Straftatbestand in Großbritannien.
Zwischen 2008 und 2015 erhielt „Karma Nirvana“ mehr als 48 000 Notrufe; bei der Organisation stehen Rechtsanwälte, Psychologen und Sozialarbeiter als Berater und Helfer zur Verfügung.
Jungen Mädchen, die eine Verheiratung im Rahmen einer Ferienreise befürchten, empfiehlt Karma Nirvana einen Teelöffel in ihrer Unterwäsche zu verstecken: Der Metalldetektor auf dem Flughafen würde es den Mädchen ermöglichen, in einem gesonderten Raum ihre Vermutung der Polizei zu schildern und um Hilfe zu bitten, da ja die Bildungsinstitutionen oft zu schwach dazu seien (vgl. Cojean, S. 10, a.a.O.).
Die Organisation „Girls not Brides“ (engl. ≜ Mädchen, keine Bräute) veranstaltete im Mai 2015 in Casablanca einen Kongress mit mehr als 250 Teilnehmern aus 63 Ländern, die vereinbarten gemeinsam den weltweiten Kampf gegen die Zwangsehen zu verstärken und die Zahl der jährlich 15 Mio. zwangsverheirateten Mädchen so soweit wie möglich zu senken. Sonst würde im Jahre 2050 mehr als eine Milliarde Frauen als Kind verheiratet worden sein.
Die indische Organisation „Vikalp“ (sanskr. ≜ „Wechsel, Alternative“) tritt seit 2004 für eine gewaltfreie Gesellschaft ein. Sie hilft u.a. in ca. 230 Dörfern Rajastans jungen Mädchen gegen die frühe Verheiratung und sorgt für ihre weitere Schulbildung. Hunderte von jungen Inderinnen bekamen so eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben (vgl. Cojean, S. 11, a.a.O.).
Nach Schätzungen von „Papatya“ wurden im Jahre 2009 in Deutschland mindestens 10 000 Zwangsehen geschlossen, Frauenhilfsorganisationen wie „Papatya“ verzeichnen jährlich ansteigende Zahlen von registrierten Fällen geschlechtsspezifischer, religiös-kulturell-traditionell motivierter Gewalt.
In Deutschland ist eine Zwangsverheiratung seit 2011 nach § 237 StGB strafbar und kann so teilweise bekämpft werden: „ (1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe nötigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
(2) Ebenso wird bestraft, wer zur Begehung einer Tat nach Absatz 1 den Menschen durch Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List in ein Gebiet außerhalb des räumlichen Geltungsbereiches dieses Gesetzes verbringt oder veranlasst, sich dorthin zu begeben, oder davon abhält, von dort zurückzukehren.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe“ (StGB § 237).
Zudem können im Zusammenhang mit einer Zwangsheirat auch Straftatbestände wie Menschenhandel (§§ 232 und 233 StGB), Verschleppung (§ 234 a StGB) oder Vergewaltigung (§177 StGB) erfüllt sein.
Die bundesweite Studie des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahre 2011 „Zwangsverheiratung in Deutschland“ ging von mindestens 3400 Personen in Deutschland aus, die eine entsprechende Beratung in Anspruch genommen hatten – wobei allerdings Mehrfachberatungen möglich waren und nur ein Teil der 1445 Beratungsstellen erfasst wurden. Befragt wurden dabei die Berater, nicht die Betroffenen selbst. Ca. 60 % der Anfragen bezogen sich auf drohende Zwangsehen, wie viele davon tatsächlich vollzogen wurden, blieb ungewiss. Geschätzt wurden 40%.
Um die Interpretation der Ergebnisse kam es zu einem öffentlichen Konflikt. Die damalige Familienministerin (2009 – 13) Kristina Schröder (*1977, CDU; heute MdB) folgerte in einem Gastbeitrag in der FAZ (am 8. November 2011) aus den Ergebnissen der Studie, dass „manche traditionelle Wurzeln endgültig durchtrennt" werden müssten, - 83,4 % der von einer Zwangsverheiratung Betroffenen hätten muslimische Eltern.
Der Eindruck, dass zwischen der Religion und den Zwangsverheiratungen ein Zusammenhang bestehe, „sei schlichtweg falsch", erwiderten einige der verantwortlichen Wissenschaftler in einem Beitrag in der „Süddeutschen Zeitung“ (vgl. SZ, 30. November 2011).
U.a. Monika Schröttle (Sozialwissenschaftlerin und Politologin; seit 2002 Projektleiterin am Interdisziplinären Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung der Universität Bielefeld) führte aus: „Es gibt momentan keinen Hinweis darauf, dass die Religion eine zentrale Rolle spielt". Zwangsehen seien vielmehr ein Aspekt der Gewalt gegen Frauen, für die meist innerfamiliäre Strukturen entscheidend seien. Die Ministerin könne so mit ihren Ausführungen anti-islamische Ressentiments verstärken.
Sollte allerdings nicht – scheint mir – berücksichtigt werden, dass die innerfamiliären Strukturen oft von Traditionen beeinflusst werden, die mit „dem“ Islam begründet werden?
Darüber hinaus wies Schröttle darauf hin, dass selbst wenn die überwiegende Zahl der in Deutschland wegen drohender Zwangsehe Ratsuchenden Muslime seien, dies wenig bedeute. Denn umgekehrt dürfe festgehalten werden, dass in der großen Mehrzahl der muslimischen Familien keine Zwangsverheiratungen stattfinden (vgl. SZ, 30. November 2011).
Unterstützung erhielt die Ministerin von Terre des Femmes oder z.B. von Serap Çileli und der 2008 gegründeten Hilfsorganisation Peri (trk. ≜ Fee). Serap Cileli (*1966), die - obwohl aus einer alevitischen Familie stammend – selbst zwangsverheiratet wurde, beschrieb in ihrer 1999 zuerst erschienenen Autobiographie [5] den langen, leidvollen Prozess ihrer Selbstbefreiung und meinte treffend: „Zwangsverheiratung ist Vergewaltigung auf Lebensdauer“. In einer Pressemitteilung von Peri „Die unbequeme Wahrheit einer Studie“ vom 5. Dezember 2011 wurde ausgeführt, es gebe „… unter den Kritikern auch Wissenschaftler …, die eine wohlwollende Haltung gegenüber der als islamistisch kritisierten Gülen-Bewegung einnehmen“ (a.a.O.)
Die Hilfsorganisation „Terre des Femmes“ forderte im Zusammenhang mit Zwangsehen die Reformierung des Personenstandsgesetzes aus dem Jahre 2009. Damals wurde das Verbot religiöser Voraustrauungen abgeschafft.
Dadurch würden – nach Terre des Femmes - sowohl Zwangs- als auch Mehrfachehen begünstigt. Insbesondere Kinder würden nun religiös verheiratet (ar./trk. „nikah“, Ehevertrag vor einem Hodscha) und vielleicht später, nach Erreichen der Volljährigkeit, oder auch gar nicht staatlich legitimiert. Terre des Femmes fordert deshalb eine Wiedereinführung der 2009 abgeschafften Regelung, religiöse Eheschließungen nur nach einer standesamtlichen Eheschließung zu gestatten (vgl. http://frauenrechte.de/online/index.php/presse/pressearchiv/2012/1076-risiken-fuer-zwangsverheiratung-und-ehren-mord-steigen-standesamtliche-trauung-muss-wieder-vorrang-vor-der-religioesen-haben-25102012.html).
Der französisch/deutsch/türkische Film „Mustang“ der türkischen Regisseurin Deniz Gamze Ergüven (*1978) aus dem Jahre 2015 thematisierte die Frühehen. Der beeindruckende Film zeigt wie in einem türkischen Dorf bei Trabzon nach Tratschereien, die den Ruf von fünf jugendlichen Schwestern gefährden könnten, das Haus der Familie Schritt für Schritt zu einem Gefängnis wird und die jungen Mädchen auf die Ehe vorbereitet und auch zu arrangierten Ehen gedrängt werden. Auch schildert „Mustang“, wie sich die jungen Frauen z.T. erfolgreich gegen den gesellschaftlichen Druck und die traditionellen Rollenbilder auflehnen.
„Mustang“ wurde 2016 für den Oscar und den Golden Globe nominiert.
Der Film „Yol“ (trk. „Der Weg“) des türkisch-kurdischen Regisseurs und Schauspielers Yılmaz Güney (1937 – 1984) erhielt 1982 in Cannes die Goldene Palme. Die dort ausgezeichnete Fassung des Films war allerdings eine stark gekürzte Form, die unterdessen von dem Schweizer Filmemacher Donat F. Kersch (* ) in einer entsprechend dem Originalskript Günays ergänzten, restaurierten und digitalisierten Original-Vollfassung veröffentlicht wurde.
In „Yol“ erhalten 6 Gefangene der Häftlingsinsel Imralı im Marmara-Meer (wo seit Jahren auch Abdullah Öcalan gefangen gehalten wird) einen kurzen Hafturlaub, um ihre Familien zu besuchen.
Eine Szene des Films beleuchtet überdeutlich das damals im ländlichen Anatolien vielfach vorherrschende Bild der Frauenrolle. Einer der Häftlinge trifft seine Verlobte und schildert ihr seine Erwartungen: Sie dürfe zukünftig nur mit seiner Erlaubnis das Haus verlassen, nur noch einige enge männliche Verwandte treffen, nur noch mit seiner Erlaubnis sprechen, müsse ihm immer gehorchen, nur die von ihm akzepierte Kleidung tragen etc. Sie sieht ihn dabei bewundernd und liebevoll an – ein wahrer Mann – und spricht die geflügelten Worte: „Mehmat, Du sprichst so schön,- hast Du das im Gefängnis gelernt“?
Im Libanon (wie auch in vielen anderen arabischen Ländern und auch in Israel) gibt es bis heute keine Ziviltrauung, sondern nur religiöse Eheschließungen. So war es unmöglich, dass ein Christ eine Muslima heiratete. Als Ursache galt, dass nach dem islamischen Gesetz die Kinder aus gemischt-konfessionellen Ehen der Religion des Vaters angehörten. Eine zusätzliche Bedeutung hatte im Libanon der „Konfessionalismus“, die proportionale Machtaufteilung im Staat nach der Religionszugehörigkeit. Entsprechend der (letzten) Volkszählung aus dem Jahre 1932 erfolgte der Proporz zwischen Christen und Muslimen im Verhältnis 6 : 5.
In dem 1972 erschienenen Roman „Tamima“ des christlich-libanesischen Schriftstellers und Diplomaten Taufik Jussuf Awwad (1911 – 1989, bei einem Bombenanschlag; a.a.O.) war die unmögliche Ziviltrauung ein Thema, da so die schiitische Muslima Tamima nicht den christlichen Maroniten Hani heiraten konnte.
Bis heute heiraten deshalb viele gemischtkonfessionellen Paare aus dem Libanon (wie aus Israel) auf Zypern, einem geschäftstüchtigen Heiratsparadies. Der Libanon wie Israel erkennen die dort geschlossenen Ehen an.
Um Minderjährige vor Zwangsehen zu schützen, wurde 2005 in Frankreich die Altersgrenze für eine Heirat bei Frauen auf 18 Jahre verschoben.
Verschiedene Kleidungsvorschriften für Frauen spielen bis heute weltweit eine bedeutende Rolle, von dem Tschador, über den generellen Schleierzwang für alle
Frauen sogar in iranischen Flugzeugen, bis zum Schleierverbot in französischen Schulen oder dem Neutralitätsgesetz in Berlin
(vgl. Kein-Kopftuch-Tag, 1. Februar) .
Im Iran kann man die Frauen als die Meistbetrogenen der Islamischen Republik ansehen, denn alle Frauen unterliegen seither dem gesetzlichen Gebot der Verschleierung in der Öffentlichkeit - schon in iranischen Flugzeugen.
Eine sicher unbeabsichtigte Folge dieses Gebotes war, dass so viele Vorbehalte und Ängste konservativer Eltern gegen die Mädchen- und Frauenbildung entfielen. Sie gestatteten nun ihren Töchtern den Besuch von Bildunsgeinrichtungen. „Millionen junge Iranerinnen machten sich im Tschador oder mit Kopftuch auf in eine Welt, die ihnen vorher verschlossen war“ (Wiedemann, 2017, S. 56, a.a.O.).
In der Folge ...
Trotz anhaltender rechtlicher Benachteiligung prägen „... selbstbewusste, berufstätige Frauen ... die öffentliche Atmosphäre wie in keinem anderen Land der Region“ (Wiedemann, 2017, S. 75, a.a.O.).
In der Teheraner Metro gibt es – am Anfang oder Ende der Züge – extra Frauenwaggons, beschriftet mit „Nur für Frauen“ (Wiedemann, 2017, S. 60, a.a.O.).
In der heutigen städtiischen Gesellschaft des Irans existieren tausendfach „weiße Ehen“, informelle Partnerschaften, die allerdings nicht öffentlich gemacht werden sollen: „Als das Frauenmagazin ‚Zanan-e emruz’ (Frauen heute) eine Titelgeschichte über die informellen Partnerschaften brachte, war ein mehrmonatiges Publikationsverbot die Folge“ (Wiedemann, 2017, S. 53/54, a.a.O.).
Zu Beginn der 2000er Jahre ereigneten sich in der Schiiten heiligen Stadt Mashhad (ar. „Ort des Märtyrers“) im östlichen Iran eine Serie von 16 Frauenmorden, die Opfer waren alle Prostituierte und oft drogenabhängig. Die Opfer wurden alle mit ihrem eigenen Hidschab erdrosselt. Der Kriminalfall wurde aufgeklärt, allerdings: „Die Untätigkeit der Polizei gegenüber Femiziden ist ein Problem, das Mexiko genauso kennt wie Kanada“ (vgl. Tagesspiegel, 11. Januar 2023, S. 27).
Der Kriminalfall wurde schließlich, zwei Jahre nach dem ersten Mordfall, aufgeklärt: Der Mörder, Saeed Hanaei (in der Presse genannt „der Spinnenmörder“) war ein Kriegsveteran und Familienvater; er gab, an durch die Femizide die Reinheit der Wallfahrtsstadt Mashhad (jährlich ca. 20 Mio. Pilger und Touristen) wiederherstellen zu wollen. Der Mörder, der in dem Prozess keine Reue zeigte und die Prostituierten mit zu zertretenden Kakerlaken verglich, wurde im April 2002 hingerichtet.
Der im dänischen Exil lebende iranischstämmige Regisseur Ali Abasi (*1981) produzierte daraus 2022 den beeindruckenden Film „Holy Spider“. Der Film wurde in Jordanien gedreht[X], im Hintergrund des Films erscheinen mehrfach Bilder aus Mashhad. Der den Mörder darstellende Schauspieler wird sogar bei einem Besuch betend in dem Mausoleum Imam Rezas gezeigt. Dort bat er Gott um die Kraft für sein Handeln. Er sah sich ausdrücklich nicht als Mörder., sondern als „… auf dem Dschihad gegen die Sittenlosigkeit“.
In dem Film wird die (fiktive) Journalistin Rahimi. (gespielt von Zar Amir Ebrahimi. *1981 in Teheran;, sie lebt ebenfalls im Exil, in Frankreich) zur Gegenspielerin des Mörders. Sie bietet sich selbst, wie ein Lockvogel als potenzielles Opfer an und bringt sich so in Lebensgefahr. Nachdem Saeed Hanaei durch Rahimis Aktion schließlich von der Polizei verhaftet wird, muss die Journalistin erleben, dass viele Bewohner von Mashhad in dem Mörder einen Helden sehen und dessen Motive teilen. In der Schlussszene des Films spielen die Kinder Saeed Hanaeis, ein Junge und ein Mädchen, die Taten des Vaters nach.
Die Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi wurde 2022 in Cannes für ihre Darstellung in „Holy Spider“ mit einer Palme zur besten Schauspielerin gekürt. In ihrer Dankesrede führte sie aus: „Dies ist ein Film über Frauen. Über ihre Körper. Über Hass auf Frauen. Über Hände, Füße, Brüste, Sex, – alles, was man im Iran unmöglich zeigen darf. Danke an Ali Abasi, dass du so verrückt warst und großzügig. Danke, dass du diesen wichtigen Film gegen alle Widerstände inszeniert hast“ (zit. n. dem Werbeprospekt des Films; vgl. auch Abbn. unten).
Im (damals) sowjetischen Mittelasien gab es in den 30er Jahren eine staatliche Kampagne zur Ablegung des Schleiers. Dabei wurde in großen Aktionen von vielen Frauen ihr Schleier öffentlich verbrannt. In der großen Ausstellung zur Revolution 1917 im Berliner DHM vom Herbst/Winter 2017 wurde ein zeitgenössisches Werbeplakat gezeigt, auf dem eine solche Schleierverbrennung dargestellt ist.
Belegt ist allerdings auch, dass viele der Frauen, die ihren Schleier öffentlich verbrannt hatten, von ihren Familien – die sich in ihrer „Ehre“ verletzt empfanden – diskriminiert, ausgegrenzt oder verstoßen wurden. In einigen Fällen wurden die Frauen sogar ermordet.
In Zentralasien, z.B. in Kirgistan, wurden in jedem Jahr Tausende von Frauen Opfer des „Ala Katschu“, des traditionellen Frauenraubes. Der
kirgisische Ausdruck « kyz ala kachuu » bedeutet, eine junge Frau entführen und flüchten.
Frauen wurden und werden z.T. auf der Straße mit Gewalt entführt, z.T. sogar aus ihrem Elternhaus, ins Haus des Entführers gebracht. Wer dort eine Nacht gefangen blieb, galt als „entehrt“, kein
Brautpreis war mehr zu erzielen. Daraufhin stimmen die Familien, oder auch die Frauen selbst, einer Heirat mit dem Entführer zu. „Um die Familienehre zu wahren, fügen sich viele Frauen und
heiraten ihren Entführer. Manchen gelingt es auch, der Zwangsehe zu entfliehen und in ein Frauenhaus zu flüchten“, in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek (vgl. Ewe, S. 67, a.a.O.).
Teilweise geschehen die Entführungen aber auch mit dem geheimen Einverständnis der Frau, da der Mann den Brautpreis nicht zu zahlen imstande ist.
Nach einigen jüngeren Untersuchungen sollen zwischen ca. 35 % und 45 % der kirgisischen Frauen einen Mann gegen ihren Willen geheiratet haben.
Der „Ehrenmord“ in Berlin-Neukölln am 7. Februar 2005 an Hatun
Sürücü (1982–2005) durch ihren jüngeren Bruder führte zu einer größeren öffentlichen Beachtung dieser Art
von Gewalt gegen Frauen,generell an Femiziden.
Aufsehen erregte der Fall der 16jährigen, aus Afghanistan stammenden Schülerin Morsal Obeidi in Hamburg. Sie wurde 2008 wegen ihres westlichen Lebensstils von dem eigenen Bruder, der ihr
nachts aufgelauert hatte, auf offenen Straße mit zwanzig Messerstichen ermordet.
Das Landgericht Hamburg verurteilte am 13. Februar 2009 den seit längerem als Intensivtäter bekannten Bruder Ahmad Obeidi wegen heimtückischen Mordes aus niedrigen Beweggründen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Das Urteil wurde nach der Bestätigung durch den Bundesgerichtshof im November 2009 rechtskräftig (vgl. Welt Online, 24. November 2009).
Nach der Urteilsverkündgung beschimpfte Ahmad Obeidi den Staatsanwalt u. a. als „Hurensohn“. Darufhin leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung ein. Angehörige des Verurteilten protestierten nach der Urteilsverkündung lautstark, eine Mahnwache von Terre des Femmes vor dem Gerichtsgebäude wurde angegriffen. Auch erhielt der Staatsanwalt in der Folge anonyme Morddrohungen.
Zuvor hatte die deutsche Rechtsprechung jahrelang Fälle dieser Art nicht als Mord, sondern als Totschlag bewertet, da die Täter (angeblich) in „ihrer Kultur“ gefangen seien. Deshalb erhielten die Täter nur einige Jahre, nicht etwa lebenslange Haftstrafen. Zu einer juristischen Kehrtwende kam es erst 1995; nun wurde durch den Bundesgerichtshof (BGH) festgelegt, dass das "Tatmotiv Ehre" einen niedrigen Beweggrund im Sinne des Mordtatbestandes darstellt. Das heißt: Wer aus "Ehre" tötet, ist wegen Mordes zu verurteilen, nicht mehr wegen Totschlags (vgl. SZ, 1. August 2011 & 9. August 2021, S. 4).
Ein neuer Fall führte im August 2021 zu einer lebhaften Diskussion, wobei durch jedes einzelne Opfer viele weitere Mädchen und Frauen eingeschüchtert und geängstigt werden.
Die 34jährige aus Afghanistan stammende Berlinerin Maryam H., eine geschiedene zweifache Mutter, wurde tot, ermordet, in Bayern aufgefunden. Ihre beiden jüngeren Brüder gerieten in Verdacht und wurden in Untersuchungshaft genommen. Ihre Schwester habe nicht zu ihren Moralvorstellungen gepasst, und es war bereits zuvor massive Gewalt auf sie ausgeübt worden. Der Bruder Sayed H. soll zur Polizei gesagt haben: „Das mit den Frauen ist bei uns anders als bei euch. Die Frau ist wie eine Mitarbeiterin, die macht den Haushalt, kocht und kümmert sich um die Kinder.“
Maryam soll nach der Scheidung einen neuen Partner gehabt haben, sich geschminkt, westlich gekleidet haben – ohne Kopftuch. „Es gibt Männer, die einfach verrückt sind. Ich habe auch Angst, dass mir etwas Ähnliches passieren könnte, weil ich auch kein Kopftuch trage“, erzählt eine Afghanin aus der Unterkunft, in der Maryam wohnte“ (vgl. BZ, 8. August 2021).
Im Zusammenhang mit dem Verbrechen an Maryam H. kam es zu einer politischen Auseinandersetzung um den Begriff „Ehrenmord“. Die Berliner Integrationssenatorin Elke Brteitenbach (Linke) meinte am 7. August 2021, es handele sich bei der Tötung nicht um einen „Ehrenmord“, sondern um einen quasi alltäglichen Femizid: „Es geht dabei nicht um die Herkunft und die Nationalität der Täter, es geht um die Frage des Geschlechts“ (Breitenbach, in: Tagesspiegel, 10. August 2021, S. 7).
Dagegen wandte sich die SPD-Landesvorsitzende Franziska Giffey und führte aus, Maryam H. sei „… aus verletztem Ehrgefühl das Leben genommen worden, weil sie so lebte, wie sie es wollte… (Die Tat, C.M.) … sei nichts anderes als ein schrecklicher Ehrenmord“ (Giffey, in: Tagesspiegel, 10. August 2021, S. 7).
Elke Breitenbach entgegnete: „Die Tat ist schrecklich und grausam. In der Öffentlichkeit wird vom sogenannten Ehrenmord gesprochen. Dieser Begriff ist unpassend, denn darin steckt die Rechtfertigung der Täter. Bei Mord gibt es keine Ehre. Deshalb verwende ich den Begriff Femizid. Das meint den Mord an Frauen, aufgrund ihres Geschlechts“ (Breitenbach, in: Tagesspiegel, 10. August 2021, S. 7). Aus ihrer Sicht seien Begriffe wie „Ehrenmord“ oder „Familiendrama“ verharmlosend.
Nach BKA-Schätzungen gibt es in Deutschland jährlich ca. 12 „Ehrenmorde“, Taten, die "im Kontext patriarchalisch geprägter Familienverbände" verübt werden. Auch „Terres des Femmes“ schätzt die Zahl dieser Taten auf 8 – 12 Fälle pro Jahr. Myria Böhmeck (Referentin für „Gewalt im Namen der Ehre“ bei Terres des Femmes) geht jedoch davon aus, diese Zahlen seien nur die „Spitze des Eisberges“ von Unterdrückung, Einschüchterung, Gewalt, Zwangsverheiratung etc. (vgl. Tagesspiegel, 10. August 2021, S. 7).
Hinter der Vorstellung vom „Ehrenmord“ steht ein traditionelles, patriarchalisches Männerbild, „echte Männer“ müssten „ihre Frauen“ unter Kontrolle halten (vgl. SZ, 9. August 2021, S. 4).
Eine Untersuchung aus dem Jahre 2004 von Lorna Martin [6] ergab, dass die Femizid [7] – Quote in Südafrika weltweit die höchste sei. In Südafrika würde danach durchschnittlich alle sechs Stunden eine Frau durch einen Mann umgebracht, den sie liebte, zu dem sie eine intime Beziehung hatte (vgl. Martin, S. 18, a.a.O.). Die Studie erfasste den Zeitraum von 1999 – 2003, bezog sich auf südafrikanische Frauen über 14 Jahre und ergab 8,8 Ermordete auf 100 000 Frauen.
76,4 % der ermordeten Frauen waren schwarz, 17,7 % waren Farbige, 3,9 % weiß und 2 % indischer Herkunft (hier zum Vergleich die Zahlen der südafrikanischen Volkszählung von 1996: Schwarze 76,1 %, „Mischlinge“ 8,5 %, Weiße 12,8 % und Asiaten 2,64 %; überrepräsentiert erscheinen die Farbigen). Auffällig überrepräsentiert waren darüber hinaus unter den Tätern Industrie- und Farmarbeiter sowie Beschäftigte von Sicherheitsdiensten.
Zudem betonte Martin eine signifikante Diskrepanz zwischen den ausgesprochenen Verurteilungen: Täter, die zu der ermordeten Frau in einer intimen Beziehung standen, erhielten durchschnittlich eine Strafe von 10,7 Jahren Gefängnis, bei der Ermordung einer Frau ohne intime Beziehungen zum Opfer betrug die durchschnittliche Verurteilung 12,4 Jahre (vgl. Martin, S. 20, a.a.O.). 2 % aller weiblichen Mordopfer waren schwanger, 15,3 % waren zuvor vergewaltigt worden (vgl. Martin, S. 21, a.a.O.).
Lorna Martin sah die hohe Femizid - Quote im Zusammenhang mit der „exzessiven“ allgemeinen Mord – Quote in Südafrika, aber auch mit der enormen geschlechtsspezifischen häuslichen Gewalt (vgl. Martin, S. 19, a.a.O.).
Im Oktober 2019 beschäftigte sich eine Enquete der Zeitung „Le monde“ mit den Femiziden (auch frz. „féminicides“) in Frankreich. Im Jahre 2018 wurden dort insgesamt 120 Frauen von (ehemaligen) Partnern ermordet, d.h. ca. alle drei Tage eine Frau (vgl. Chapuis, S. 1, a.a.O.). Insbesondere auf Korsika gab es Frauenmorde, bei denen sich die Täter – nahezu stolz, „ehrenmordähnlich“ zu ihren Taten bekannten.
Erschreckend ist zudem, dass zwar ein Drittel der 120 ermordeten Frauen zuvor bei der Polizei wegen Gewalttätigkeiten, Drohungen etc. eine Anzeige erstattet hatte, diese aber zu oft missachtet wurden, von der Polizei unangemessen reagiert wurde.
Nach einer in der „Le monde“ rezipierten Untersuchung von Océane Pérona zeigt sich, dass die anzeigenden Frauen häufig nicht ernst genommen wurden. Die Frauen fühlten sich isoliert, ihre Reifen werden zerstochen, sie werden körperlich attackiert und fühlen sich tödlich bedroht – aber eine polizeiliche Intervention erfolgt zu oft nicht. Psychischer Druck und Quälereien werden häufig nicht als Vorboten der Tat erkannt.
Viele Polizisten bevorzugten objektivierbare Daten und Fakten, wie die Größe eines Bluterguuses, vor verbalen Aussagen oder Gefühlen. Bei ihnen neigen viele Polizisten dazu, ihnen zu misstrauen: Die anzeigenden Frauen könnten die Anzeige ja zu abweichenden Zielen instrumentalisieren, um eine Rente oder das Erziehungsrecht für ein Kind zu erlangen (vgl. Chapuis, S. 7, a.a.O.).
Pérona aber stellte in ihrer Untersuchung fest, dass nur 4 von 500 Anzeigeprotokolle ernstzunehmende Hinweise auf missbräuchliche, verleumderische Klagen enthielten (vgl. Chapuis, S. 7, a.a.O.).
Dabei wurden in den Jahren bis 2019 ca. 10 000 französische Polizisten zur Anzeigenaufnahme für potentielle Opfer häuslicher Gewalt weitergebildet, 30 Beamte werden speziell dafür bezahlt (vgl. Chapuis, S. 7, a.a.O.).
Insgesamt erkannte die „Le monde“ bei der Polizei eine beunruhigende Tendenz zur Unterbewertung von Aussagen von Frauen zur häuslichen Gewalt, wie sie auch in der „Konvention zur Verhinderung und zum Kampg gegen Gewalt an Frauen“ (so in Art 5 & 15) kritisiert wird.
Die afghanische Frauenrechtsorganisation RAWA (pers. Jamiyat-e Enqelābi-ye Zanān-e Afghānestān; engl. „Revolutionary Association of the Women of Afghanistan“) wurde 1977 von linksorientierten intellektuellen Frauen gegründet. Damit ist sie die älteste afghanische Frauenrechtsvereinigung. Sie engagierte sich v.a. für die Menschenrechte, die medizinische Versorgung, die Frauenbildung und gesellschaftliche Partizipation der Frauen. RAWA leistete gewaltlosen Widerstand sowohl gegen die sowjetische Besatzung seit 1979 und ihre Regierung als auch gegen die Mudschaheddin und die Taliban.
1994 gewannen die Taliban - als Kämpfer gegen die sowjetische Besatzung hatten sie lange Unterstützung des Westens genossen - die Macht im Land. Sie schafften alle Grundrechte der Frauen ab:
Viele RAWA-Frauen mussten ins Ausland flüchten, die in Afghanistan Verbliebenen agierten unter ständiger Lebensgefahr im Untergrund.
Im pakistanischen Exil organisierte RAWA für die Flüchtlinge Krankenhäuser und Schulen.
Die afghanische Frauenrechtlerin Meena Keshwar Kamal (bekannt als Meena; 1956-1987), eine der Gründerinnen von RAWA wurde am 4. Februar 1987 in pakistanischen
Quettar ermordet.
Bis heute setzt sich RAWA für einen demokratischen, säkularen Aufbau Afghanistans ein. Weiterhin wird sie dabei immer noch von den Taliban und anderen islamistischen Gruppen gewalttätig verfolgt. RAWA fordert das Ausscheiden von „Warlords“ aus der Regierung, die Entwaffnung und Auflösung aller privaten Armeen sowie alle (Kriegs-)Verbrecher vor Gericht zu bringen. Die Frauenorganisation befürwortet zudem den Abzug der ausländischen Truppen.
Im September 2014 wurde Aschraf Ghani neuer Präsident Afghanistans. Er versucht einen Verhandlungsausgleich mit den Taliban und ernannte drei Frauen zu Ministerinnen.
Am 19. März 2015 – dem persischen Neujahrsfest – verließ die 27jährige Farkhunda Malekzade die Moschee in Kabul, an der sie unterrichtete. Sie hatte islamische Theologie studiert, war eine eher konservative, fromme Muslima und trug den Hijab. Vor der Moschee verkaufte ein Mullah Amulette an Besucher. Sie trat zu ihm und wies darauf hin, dass sie unislamisch und unwirksam seien. Der Mullah fürchtete anscheinend um seinen Verdienst und beschuldigte seinerseits Farkhunda (fälschlich), einen Koran verbrannt zu haben. Diese Behauptung stieß bei vielen anwesenden Männern rasch auf Resonanz, es folgte in aller Öffentlichkeit und in Anwesenheit von Polizisten ein zweistündiger brutaler Lynchmord durch eine hasserfüllte Menge. Ihre Leiche wurde schließlich verbrannt. Ein Photo der sterbenden Farkhunda wurde ins Netz gestellt und ging um die Welt.
Im Mai 2015 kam es zum Prozess, in dem einige der Mörder – auch der beteiligten Polizisten - zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Die Verurteilung von Farkhundas Mördern ließ viele Frauen auf einen Wandel in der afghanischen Gesellschaft hoffen.
Aber noch heute findet in fast jedem Monat in aller Öffentlichkeit ein Frauenmord in Afghanistan statt.
Nach Berechnungen des türkischen Menschenrechtsvereins IHD („Insan Hakları Derneği“) wurden in der Türkei zwischen 2005 und 2011 nach offizieller Klageerhebung ca. 4150 Frauen ermordet und ungefähr 3010 Frauen vergewaltigt. Zudem wurden in diesem Zeitraum mehr als 3200 Frauen sexuell belästigt oder terrorisiert.
Insbesondere die Zahl der Vergewaltigungen wird massiv in Frage gestellt, die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen.
Allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2011 starben 143 Frauen an den Folgen von erlittener Gewalt, wobei es sich nach Schätzungen von türkischen
Frauenorganisationen bei 64 % der Fälle um familiäre, häusliche Gewalt handelt, die dem sozialen Umfeld durchaus bekannt war.
Ca. ein Viertel der Täter waren minderjährig (ähnlich dem Fall von Hatun Sürücü in Berlin), ein zweites Viertel zwischen 18 und 30 Jahre alt und ein weiteres Viertel zwischen 31 und 50 Jahre alt.
Sehr oft schlugen Gerichte nach Vergewaltigungen eine „Versöhnung“ vor oder gar eine Heirat zwischen dem Täter und dem Opfer: eine solche Heirat – faktisch eine doppelte langzeitige Bestrafung des Opfers – wurde zuweilen als Versöhnung und Konfliktlösung angesehen.Als Gründe für die erlittene Gewalt nannte der IHD-Sekretär Ümit Efe (in der „Cumhuriyet“) angebliche Ehrverletzungen (z. B. Untreue, Scheidungswünsche, sexuelle Verweigerung), Armut, Arbeits- und Perspektivlosigkeit.
Vielfach beklagt wurde in der Türkei schließlich die völlig unzureichende Zahl und Ausstattung der Frauenhäuser sowie die Tatsache, dass der öffentliche Dienst zuweilen ihre Arbeit behinderte. Auch gelang es zu oft nicht, ihre Örtlichkeit geheimzuhalten (vgl. „Cumhuriyet“, 22. September 2011, S. 3, unter dem Titel „Frauen in Angst“).
Nach Schätzungen gab es im Jahre 2015 in der Türkei ca. 130 000 „Kinderbräute“, dabei aber hatte das neue türkische Kabinett nur 2 weibliche Mitglieder, im neugewählten Parlament gab es nur 18 % Parlamentarierinnen.
Einige Tage vor dem 25. November 2016 ermordete in Gömeç/Provinz Balıkesir ein Mann seine Ehefrau mit Messerstichen, seine beiden Kinder verletzte er schwer. Auch sich selbst verletzte der Mann mit dem Messer, die Wunde sei allerdings – wurde vielfach vermutet – eine Verwundung, die das Gericht zu einer Strafminderung führen solle.
In der Region Bursa wurde Anfang Dezember 2016 eine junge Frau von einem Mann mit dessen Jagdgewehr erschossen. Sie hatte einen Heiratsantrag von ihm abgelehnt, fühlte sich daraufhin bedroht und bat um Polizeischutz. Entgegen den Warnungen ihrer Eltern war sie dann doch zu einem Treffen mit dem Mann bereit, bei dem sie ermordet wurde. Auch dieser Mörder verletzte sich anschließend selber, vermutlich um mildernde Umstände, keine lebenslange Haftstrafe vor Gericht zu erlangen (vgl. Cumhuriyet, 4. Dezember 2016, S. 3).
Kurz vor dem 25. November 2016 trafen sich in Edremit/Provinz Balıkesir Vertreter einer unabhängigen Frauenplattform mit Frauen von der (kemalistischen) CHP, um eine gemeinsame Demonstration zum 25. November vorzubereiten. Die unabhängigen Frauen wollten ihre Slogans auch auf Kurdisch und Armenisch plakatieren, das aber lehnten die CHP-Frauen strikt ab, - man sei schließlich in der Türkei, und deren Sprache sei türkisch. Es kam zu keiner gemeinsamen Protestveranstaltung am 25. November 2016 in Edremit.
In Istanbul versammelten sich am 25. November 2016 viele Frauen und Männer in Kadiköy und Beşiktaş, darunter viele Angehörige von ermordeten Frauen. Viele Demonstranten trugen Photos ermordeter Frauen sowie Plakate mit Slogans wie: „Wir werden gegen die Frauenfeinde nicht aufgeben“, oder: „Wir werden für unsere Freiheit kämpfen“. Als Zeichen ihres Freiheitswunsches ließen viele weiße Luftballons in den Himmel aufsteigen.
In den ersten 10 Monaten des Jahres 2016 wurden in der Türkei insgesamt 272 Frauen ermordet, meist von einem (ehemaligen) Partner oder engen Verwandten (vgl. „Cumhuriyet“, 28. November 2016, S. 1 & 3). Seit dem Putschversuch am 15. Juli und dem darauffolgenden Notstandsregime wurden bis zum Oktober allein 103 Frauen ermordet.
Nahezu täglich wird in türkischen Zeitungen über Femizide berichtet, bei einer hohen vermuteten Dunkelziffer.
Bei einer Untersuchung von Ayşegül Yolga Tahiroğlu an der Çukurova Universität Adana aus dem Jahre 2016 wurden 207 schwangere Mädchen untersucht, die durchschnittlich 15 Jahre alt waren und seit 2013 vor Gericht versuchten, ihr Geburtsdatum zu ändern, um heiraten zu können. Dabei wurde festgestellt, dass alle dieser Mädchen unter Vernachlässigung sowie psychischer und physischer Gewalt gelitten hatten, alle zudem vergewaltigt worden waren (5% von ihnen mehrfach). 71% der Vergewaltigten gaben nun den Vergewaltiger als ihren Ehemann an, waren mit ihm verheiratet oder liiert. Sehr oft war diese Ehe mit dem Vergewaltiger eine Flucht aus der katastrophalen Situation in der Herkunftsfamilie (vgl. „Cumhuriyet“, 28. November 2016, S. 3).
Im Mai 2018 stürzte sich (angeblich) in Ankara die 21jährige Studentin Șule Çet nachts aus dem Fenster eines Hochhauses – Selbstmord wurde behauptet. Allerdings – in der Türkei „weiß jeder“, dass ein Suizid auch ein kaschierter Mord sein kann (vgl. SZ, 18. November 2019, S. 3). So wurde der Tod der Studentin im letzten Jahr 2018/19 zu einem Symbol des Protests gegen die Vielzahl an Femiziden.
Lange hatte es den Anschein, die Justiz wolle den Fall vertuschen und es trotz vieler verdächtiger Indizien nicht zum Prozess kommen lassen.
Eine Parole der Protestierenden lautet: „Wir wollen keine männliche, wir wollen echte Gerechtigkeit“ (vgl. SZ, 18. November 2019, S. 3).
Noch (im November 2019) läuft in Ankara der Indizien-Prozess gegen zwei Männer (u.a. den Chef Șules in dem Café, in dem sie zur Finanzierung ihres Studiums kellnerte), die angeklagt sind wegen Freiheitsberaubung, sexueller Übergriffe und Mord. Vermutlich wurde Șule von ihnen eine betäubende Substanz eingeflößt.
Als die Anwälte der Verdächtigen im Prozess anführten, dass das Opfer schließlich keine Jungfrau mehr gewesen sei, kam es zu einem Proteststurm. Die „Hürriyet“ titelte empört: „Freiwild, weil keine Jungfrau?“
Türkische Frauenrechtler*innen werfen Präsident Erdoğan und der AKP vor, sie seien mitschuldig an an einem gesellschaftlichen Klima in der Türkei, das männliche Täter zu oft entschuldigt und Frauen zu oft eine Mitschuld zuspricht. Erdoğan selbst äußerte, das Problem der Gewalt gegen Frauen werden „übertrieben“ (vgl. SZ, 18. November 2019, S. 3), die Zahl der Gewalttaten steige nicht, es würden nur mehr Fälle publik.
Die Organisation „Die Frauenmorde werden wir beenden“ („Kadın cinay etlerini durduracağız Platformu“, KCDP) wurde. 2010 gegründet.
Fidan Ataselim arbeitet als Generalsekretärin dieser Vereinigung gegen Frauenmorde. Die. KCDP wendet sich gegen „… die Kultur der Straflosigkeit bei Frauenmorden…. Wenn eine Frau getötet worden ist, entscheiden die Gerichte oft zugunsten des Mörders, des Mannes….“. Häufig gewähren Richter bei Femiziden Strafnachlässe, die das türkische Strafgesetzbuch zulässt. Dann „… reiche es manchmal aus, wenn der Täter vor Gericht eine Krawatte trage oder sage, er habe die Frau aus Leidenschaft getötet“ (vgl. Güsten 2022, a.a.O.).
Die KCDP unterstützt seit Jahren die Familien von Opfern der Femizide, hat vielfach erst eine Strafverfolgung durchgesetzt und die Verfahren mit Anwältinnen und Prozessbeobachterinnen begleitet (vgl. Güsten 2022, a.a.O.).
Die wichtigste Waffe der. KCDP ist der gesellschaftliche Druck durch die Öffentlichkeit, so könne sie zuweilen Strafnachlässe verhindern. Da die Behörden und Teile der Presse Femizide versuchen zu verschweigen oder aber als „Beziehungstaten“ oder „Familiendramen“ zu verharmlosen, veröffentlicht die KCDP monatlich Femizid-Berichte. Die KCDP zählte folgende Frauenmorde in der Türkei:
Im Jahre 2016 insgesamt 328 ermordete Frauen
Im Jahre 2017 insgesamt 409 ermordete Frauen
Im Jahre 2018 insgesamt 440 ermordete Frauen
Davon seien jeweils Zweidrittel Opfer von ihren Partnern, Ex-Partnern, Freunden oder nahen männlichen Verwandten geworden (vgl. SZ, 18. November 2019, S. 3).
Im Jahre 2021 zählte die Vereinigung insgesamt 280 Femizide, geht aber von einer hohen verschwiegenen Dunkelziffer aus.
In den Berichten werden schauerliche Beispiele für. polizeiliche Tatenlosigkeit angeführt:
· 22 schriftliche Anzeigen/Hilfeersuchen stellte Ayşe Tuba Arslan in Eskişehir – vergeblich. Den 23. Antrag fand die Polizei in ihrer Handtasche, nachdem sie von ihrem Ex-Mann auf offener Straße mit einem Beil ermordet worden war.
· Sertap Şahin hatte 60 Anzeigen erstattet, bevor ihr Ex-Mann sie in Ankara ermordete. „Die Polizei weigerte sich noch am Tatort, die Wohnungstür aufzubrechen, hinter der die 40 jährige gerade erwürgt wurde. Das sei Privatsache“ (vgl. Güsten 2021, a.a.O.).
Jeden Monat wenden sich durchschnittlich 200 Frauen an die KCDP und bitten um Unterstützung (vgl. Huck, a.a.O.).
Seit Jahren bereits versucht die türkische Staatsanwaltschaft die KCDP als „familienfeindlich“ zu verbieten, für die Vereinigung dagegen ist die „… Justiz dieses Landes frauenfeindlich“. In der Anklageschrift wird der KCDP vorgeworfen ...
2021 wurde die KCDP mit dem finnischen „International Gender Equality Prize“ ausgezeichnet (vgl. Huck , a.a.O.).
Schon 2021 hatte Präsident Erdoğan die „Istanbuler Konvention des Europarates zum Schutz von Frauen vor Gewalt“ aufgekündigt, was ihm Beifall von konservativ-islamischen Gruppen. eingebracht hatte.
Aber die KCDP bleibt weiter aktiv. Fidan Ataselim formulierte: „Denn wir kämpfen um unser Leben“ (Güsten. 2022, a.a.O.).
Auch in Kriegen tragen Frauen immer einen großen Teil der körperlichen und seelischen Verletzungen. Verletzte oder amputiert-behinderte Frauen werden oft von den Familien ausgestoßen, von Ehemännern verlassen, ihrer Kinder beraubt.
Im Krankenhaus der „Ärzte ohne Grenzen“ in Amman wurden über 4400 verletzte, z.T. durch Amputationen behinderte, nun alleinstehende Frauen aus den Kriegen in Gaza, in Syrien, dem Irak und dem Jemen kostenlos behandelt. Sie erhielten wo möglich Prothesen,plastische Operationen u.ä. wurden durchgeführt, um den Frauen Arbeit und ein möglichst normales Leben zu ermöglichen (vgl. Cumhuriyet, 8. Dezember 2016, S. 3).
In Indien kommt es immer wieder zu Mitgiftmorden und zu Witwenverbrennungen [3], obwohl letztere schon in der Kolonialzeit unter Strafe gestellt wurden.
Durch einige spektakuläre Fälle wurde in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit auf die katastrophale Lage der Frauen in Indien gelenkt. Nach Schätzungen wird in Indien im Jahre 2012 alle ca. 30 sec eine Frau vergewaltigt, oft kommt es zu brutalen Gruppenvergewaltigungen.
Zudem sind bei ca. jeder zweiten Vergewaltigung in Indien Kinder die Opfer (vgl. SZ, 20. April 2018, S. 7). Die brutale Gruppenvergewaltigung und tödlichen Folterungen von Iyati Singh Panday in einem Bus in Delhi am 16, Dezember 2012 (vgl. 8.März) bewirkten zumindest teilweise einen öffentlichen Schock und eine Zäsur: Die sexuell konnotierte Gewalt wat nun kein Tabu-Thema mehr. Es folgten eine Vielzahl von Massenprotesten, eine öffentliche Diskussion und Gesetzesverschärfungen. Seit dem Jahre 2013 droht Vergewaltigern in Indien die Todesstrafe, das Mindeststrafmaß liegt bei 20 Jahren Haft.
Allerdings lässt sich auch hier keine abschreckende Wirkung feststellen: Allein im Bundesstaat Uttar Pradesh gab es 2017 ca. 2000 aktenkundige Vergewaltigungen (vgl. JW, 13. Dezember 2019, S. 15). Dabei muss noch der verbreitete polizeiliche Unwille, „Vorfälle“ dieser Art auch nur aufzunehmen, berücksichtigt werden
So gab es weiterhin brutale Gruppenvergewaltigungen, so z.B. im November 2019 in Hyderabad. Dort lauerten 4 Männer gezielt einer 26jährigen Tierärztin auf, vergewaltigten sie, ermordeten sie und verbrannten ihre Leiche.
Im indischen Bundesstaat Rajastan z.B. gab es 2012 viele Dörfer, in denen keine Mädchen aufwuchsen; neugeborene Mädchen werden oft auf Druck der
Schwiegermütter von den Müttern getötet. Sie werden in eine Kiste gelegt und mit Erde bedeckt bis sie ersticken (vgl. der ARTE-Bericht über indischen Infantizid, vom 4. Dezember 2013). In den
Dörfern Rajastans dürfen Mädchen traditionell nicht arbeiten, zudem verursachen sie durch die enormen Mitgiftforderungen sehr hohe Kosten. Seit den 70er Jahren des 20. Jhdts. gibt es eine
anwachsende Bewegung gegen den Mädchenmord, die aber noch keineswegs alle Dörfer erreicht hat.
Generell ist häusliche Gewalt in Indien in allen sozialen Schichten allgegenwärtig: 65% aller Inderinnen sollen von ihr betroffen sein.
Viele Witwen werden von den Familien verstoßen, ohne Geld auf die Straße geschickt und müssen betteln. Nach traditioneller hinduistischer Auffassung bringen Witwen Unglück; so
ist eine Wiederverheiratung meist unmöglich. Seit fünf Jahrhunderten schon ziehen viele der mittelosen Witwen nach Vrindavan, einer Stadt am Flusse Yamuna in Uttar Pradesh, um
dort den Rest ihres Lebens zu verbringen. Sie leben, singen und betteln in den zahlreichen dortigen Krishna-Schreinen. Die Witwen weihen ihr Leben Krishna und hoffen dort Erlösung von dem Unglück
zu erlangen, das Witwen bringen sollen (vgl. „Der Standard“, 26. März 2013).
Am 15. April 2018 haben Tausende Menschen in vielen Städten Indiens gegen sexuell konnotierte Gewalttaten gegen Frauen und das Ausbleiben von Strafverfolgung der (vermutlichen) Täter demonstriert (vgl. Bouissou, a.a.O.). Empörung, Zorn und Wut wurden durch Vergewaltigungsfälle ausgelöst, in die Hindu-Extremisten der rechtskonservativen hindu-nationalistischen BJP („Bharatiya Janata Partei“ ≙ Indische Volkspartei) verwickelt waren.
Schon im Juni 2017 soll ein BJP-Parlamentarier in Uttar Pradesh (dem bevölkerungsreichsten indischen Bundesstaat), Kuldeep Singh Sengar, eine Minderjährige vergewaltigt haben, die in sein Büro kam, um nach einer Anstellung zu fragen. Sie gehörte zu der Gruppe der Dalit (einst als „Unberührbare“ bezeichnet). 10 Monate lang schonte/schützte ihn die lokale Polizei den Parlamentarier..Erst nach heftigen Protesten – die BJP schütze vermutliche Vergewaltiger – wurde der Parlamentarier im April 2018 verhaftet.
Nachdem die Polizei sich weigerte ihre Anzeige anzunehmen, versuchte sich die junge Frau öffentlich vor dem Haus des regionalen Chefministers selbst zu verbrennen. Sie überlebte zwar, aber ihr Vater wurde verhaftet und starb im Gefängnis an erlittenen Folterungen. Endgültig in die überregionalen Medien gelangten die Proteste als der INC-Oppositionspolitiker Rahul Gandhi (*1970, ein Enkel von Indira) eine mitternächtliche Demonstration mit Kerzenlicht anführte (vgl. FR, 15, April 2018). Apodiktisch formulierte er, Indien sei „… die Vergewaltigungshochburg der Welt“ (zit. n. JW, 13. Dezember 2019, S. 15).
Asifa Bano, eine achtjährige Muslima und Angehörige der nomadisierenden Bakarwal-Minderheit [8] im nordindischen Jammu-Kaschmir wurde am 10. Januar 2018 entführt, in einem Hindu-Tempel eingesperrt, unter Drogen gesetzt, geschlagen, viele Male an mehrerer Tagen vergewaltigt und dann erdrosselt. Die Leiche des Mädchens wurde eine Woche später am 17. Januar in einem Wald gefunden.
Hindu-Einwohner des Dorfes, in dem das Mädchen ermordet worden war, verweigerten die Beerdigung im Dorf. Daraufhin wurde die Leiche in einem einige Kilometer entfernten Wald begraben. Die Familie des Mädchens flüchtete aus der Region.
In der Folge ließen anscheinend lokale Polizisten Beweismittel verschwinden und versuchten die Tat zu vertuschen. Erst als die Untersuchung an eine höhere Instanz überwiesen wurde, kam Licht in das Verbrechen, wobei lokale Anwohner beklagten, es seien „muslimische Polizisten“, die die Untersuchungen durchführten (vgl. Bouissou, a.a.O.).
Im Februar/März wurden schließlich mehrere Verdächtige verhaftet. Einer der neun Verdächtigen, alles Hindus, vier von ihnen Polizisten, äußerte nach den Polizeiakten, er wollte durch die Tat die muslimischen Bakarwal vertreiben. Ebenfalls den Polizeiakten nach wurde die Tat vorsätzlich begangen, aus Rache, weil ein minderjähriger Hinduschüler von den Bakarwal geschlagen worden sei.
Seither forderten Hindu-Extremisten die Freilassung der Verdächtigen und die Übergabe der Untersuchungen an die Zentralen Untersuchungsbehörden in Neu Delhi (CBI,
Central Bureau of Investigation), die der nationalistischen Hindu-Regierung der BJP untersteht.
Nach langen Wochen des Schweigens begnügte sich der indische Ministerpräsident Narendra Modi (von der BJP) anzukündigen, der Gerechtigkeit genüge zu tun. Um die
Neutralität zu sichern, würden in dem nun (im April 2018) beginnenden Prozess zwei Sikh-Staatsanwälte die Anklage vertreten. Nach den Protesten auch von der Opposition behauptete Modi auf
Twitter: „Wir verteidigen alle Töchter Indiens“ (vgl. FR, 15, April 2018).
Die BJP ihrerseits beklagte, dass Vergewaltigungen, die von Muslimen begangen würden, keine Empörung hervorriefen. Der renommierte Politologe Pratap Bhanu Mehta (*1967) meinte dazu im „Indian Express“: „Der moralische Kompass Indiens ist völlig zugrunde gerichtet“ (zit. n. Bouissou, a.a.O.).
Auffällig ist, dass die Opfer oft junge, selbstbewusste, ausgebildete, niedrigkastige Frauen sind, die sich nicht einschüchtern lassen. Diese emanzipierten Frauen wirken anscheinend vielfach auf wie ein rotes Tuch auch konservative indische Männer.
In vielen Ländern der Welt werden Frauen entführt und vergewaltigt, um sie zur Heirat zu zwingen.
Der sehr einfühlsame äthiopisch-US-amerikanische Film „Das Mädchen Hirut“ aus dem Jahre 2014 (Regisseur: Zeresenay Berhane Mehari, mit Meron Getnet, Tizita Hagere und Rahel Teshane) wurde u.a. am 8. März 2017, am Frauentag, um 21.40 auf 3 SAT gezeigt.
Die traditionell weit verbreitete „Telefa“, die Entführung einer Frau zum Zwecke der Heirat, wird vielfach als eine der größten Hürden für die Gleichstellung der Geschlechter – nicht nur in Äthiopien – betrachtet.
In dem Film wird der Konflikt zwischen diesen patriarchalischen Traditionen und dem erwachenden Frauenwiderstand in Äthiopien 1996 thematisiert. Er geht auf einen spektakulären realen Fall zurück. Das erst 14 Jahre alte Mädchen Hirut [9] lehnt den Heiratswunsch eines älteren Nachbarn ab, sie will weiter zur Schule gehen und nicht heiraten. Daraufhin wird sie von dem Nachbarn auf dem Heimweg von der Schule gewaltsam entführt und vergewaltigt, um sie so, „entehrt“, zur Ehe zu zwingen. Ihr gelingt jedoch die Flucht, dabei ergreift sie ein herumliegendes Gewehr. Bei der Verfolgung aber tötet Hirut den Vergewaltiger. Nach traditionellen Rechtsvorstellungen der Dorfbewohner und der örtlichen Polizei war das Mord. Hirut soll hingerichtet werden. Von dem nur aus Männern bestehenden, unter einem Baum öffentlich tagenden Dorfgericht soll sie zum Tode verurteilt werden, wird dann aber lebenslänglich aus dem Dorf verbannt. Auf Intervention einer Rechtsanwältin und einer Frauenselbsthilfegruppe aus Addis Abeba jedoch wird das Urteil revidiert und Hirut wegen Notwehr freigesprochen.
In der Folge wurde 2001 in Äthiopien die Entführung von Frauen zum Zwecke der Heirat gesetzlich verboten und mit mindestens 15 Jahren Haft bestraft. Zudem wurde das Mindestheiratsalter von Äthiopierinnen von 15 auf 18 Jahre angehoben und die weibliche „Beschneidung“ erstmals als Straftat gekennzeichnet.
Der Film „Das Mädchen Hirut“ erhielt 2014 den Panorama-Preis der Berlinale – und bewegte Angelina Jolie dazu, Co-Produzentin zu werden. Einer Statistik von UNICEF zufolge waren es 2015 dennoch immer noch 41 % der äthiopischen Mädchen, die vor ihrem 18. Lebensjahr durch die „Telefa“ verheiratet wurden (vgl. http://weltkirche.katholisch.de/Aktuelles/20160511_Frauen_Aethiopien).
Die chilenische Frauenbewegung erzielte 2019 internationale Aufmerksamkeit, als mehr als 10 000 Frauen in Santiago de Chile gegen sexuelle, körperliche und psychische Gewalt von Männern demonstrierten. Sie trugen z.T. Masken und machten die hymnenartige Parole weltweit bekannt: „Es ist nicht meine Schuld, egal wie ich angezogen war – der Vergewaltiger bist du“. Diese Hymne wurde zu einem Slogan des weltweiten Feminismus, von Buenos Aires über New York und Paris bis nach Berlin (vgl. „Tagesspiegel“, 8. März 2020, S. 32).
In dem 1967 erschienenen Roman „Quarup“ von Antonio Callado (1917 - 1997) wird u.a. die alltägliche Gewalt gegen Mädchen und Frauen in den damaligen brasilianischen Plantagen, insbesondere den Zuckermühlen, dargestellt.
Nachdem ein Vorarbeiter die sechzehnjährige Tochter eines Arbeiters brutal vergewaltigt hatte, nahm die – vom Großgrundbesitzer abhängige – Polizei eine Anzeige nicht an. Der Vater des Mädchens wollte daraufhin den Vergewaltiger und seine Tochter – der „Ehre“ wegen – umbringen, falls sie schwanger würde: „Er wartet ab, bis der Mond das natürliche Blut von Maria do Egito (der Tochter, C.M.) bringt. ... Wenn das Blut wegen dem Samen vom Vorarbeiter nicht kommt, dann bringt er Maria do Egito und den Vorarbeiter Belmiro um ...“ (Callado, S. 49, a.a.O.).
Als ein katholischer Priester den Vater an das von Gott verhindete Opfer Abrahams an Isaak erinnert, meinte der Vater: „Wenn der Herr meinen Arm zurückhält dann opfere ich Maria do Egito auch nicht“ (Callado, S. 50, a.a.O.).
In dem Roman bekam Maria do Egito ihre Regel nicht, mit Hilfe von Europäern wurde der Embryo abgetrieben, um die Tochter vor ihrem Vater zu schützen.
Da sie nun allerdings nicht mehr „Jungfrau“ war, kann sie nicht in das Haus ihrer Eltern zurück. Maria do Egito muss deshalb „... jetzt ihren Lebensunterhalt im Bordell verdienen. ... Das ist die allgemeine Konvention, die alle akzeptieren“ (Callado, S. 86, a.a.O.).
„Uluri“ ist eine Art Lendenschurz von Indias in der Amazonas-Region; er ist fast bandförmig und wird von den Männern nicht berührt, da angeblich unglückbringend. Antonio Callado erwähnt in seinem Roman „Quarup“ auch den uluri: „Kein Indio-Mann fasst den uluri an. Wenn du mit einem uluri nach einem Mann wirfst, weicht er ihm aus. Die Frauen müssen ihn selbst ausziehen, sonst passiert nichts. ... Wahrscheinlich soll er (der uluri, C.M.) tatsächlich zeigen, daß die Frauen über sich selbst bestimmen“ (Callado, S. 245/46, a.a.O.).
Eine im Roman oft angesprochene Ursache von Gewalt gegenüber Frauen ist die Eifersucht, bzw. eine Reaktion auf einen Fall von „Untreue“. Auch im Amazonas-Gebiet gab es schon in der Zeit vor dem Kontakt mit Europäern so etwas wie Eifersucht. Antonio Callado berichtet in seinem Roman „Quarup“ davon, daß es „... hier (bei den Indios, C.M.) von Zeit zu Zeit vorkommt, daß ein betrogener Ehemann seine Frau fürchterlich verprügelt“ (Callado, S. 214, a.a.O.).
Eine afrobrasilianische Aktivistin formulierte: „Es gibt in Brasilien eine Pyramide – und schwarze Frauen stehen dort ganz unten. Das muß sich ändern“ (zit. n. ND, 15. März 2018, S. 7). Überproportional sind sie von Armut und Gewalt betroffen. Eine Aktivistin meinte sogar: „Unsere Jugend wird getötet, es ist ein Genozid an der schwarzen Bevölkerung“ (zit. n. ND, 15. März 2018, S. 7).
Allerdings wächst in den letzten Jahren auch das Selbstbewusstsein der Afrobrasilianer*innen (vgl. Tag des Schwarzen Bewusstseins).
Schon im Jahre 2002 wurde im mexikanischen Chihuahua die Organisation „Justicia para nuestras hijas“ (≙ Gerechtigkeit für unsere Töchter) gegründet, die den bedrohten Opfern und ihren Familien Rechtsbeistand bei Menschenhandel, Entführung und Femiziden anbietet.
Erreicht wurde immerhin, dass man in Chihuahua eine gesonderte Staatsanwaltschaft zur Aufklärung von Verbrechen an Frauen gründete. Bislang wurden viele Femizide nicht aufgeklärt.
Laut UNO wurden 2018 in Mexiko täglich 10 Frauen ermordet (vgl. „Tagesspiegel“, 8. März 2020, S. 32).
Im Jahre 2010 gab es – nach Angaben des US-Verteidingungsministeriums – ca. 20 000 Vergewaltigungen von Soldatinnen im US-Militär. Von
den ca. 1,4 Mio. US-SoldatInnen waren 2009 ca. 13,4 %, d.h. ca. 187 000 Frauen. Ca. 30 % aller Frauen (sowie 1% der Männer) in der US-Armee wurden Umfragen zufolge Opfer sexueller Übergriffe -
traumatisiert nicht durch den Krieg, sondern durch „Kollegen“. Nach Berechnungen gab es allein bis zum Jahre 1991 ca. 200 000 Vergewaltigungen in der US-Armee.
In dem Film „Der niederträchtige Krieg“ ("The Invisible War"),von Kirley Dick und Amy Ziering aus dem Jahre 2012 wurde die US-Armee als frauenfeindliche Zone dargestellt, in der Vergewaltigungen vertuscht und Täter gedeckt werden. Die Opfer rennen gegen eine Mauer des Schweigens an, auch wird ihnen oft eine Mitschuld zugesprochen. Die US-amerikanische Militärgerichtsbarkeit scheint durch ihre Struktur vor allem die Täter zu schützen. Dabei sollen ca. 33 % der Opfer im Militär die Vergewaltigung gar nicht anzeigen, weil ihr Vorgesetzter mit dem Täter befreundet ist, und weitere 25 % wagen eine Anzeige nicht, weil ihr Kommandeur der Täter ist. Schon das Zugeben, in seiner Einheit einen Vergewaltiger zu haben, führt bei dem Kommandeur zu einem Karriereknick, der so weit wie möglich vermieden wird.
„Stell dich nicht so an. Frauen sind hier nur dazu da, um gevögelt zu werden“ – mit diesen Worten wurde eine US-Soldatin bei einer „Elite-Einheit“ von dem Vorgesetzten begrüßt. Bald darauf wurde die junge Soldatin von dem Kommandeur und einem Mit-Soldaten vergewaltigt. Auch drohte der Befehlshaber sie umzubringen, wenn sie die Tat anzeige (vgl. http://www1.wdr.de/fernsehen/dokumentation_reportage/die-story/sendungen/war100.html).
Diese Vergewaltigung wurde angezeigt, aber - wie kritische Soldatenverbände feststellten – es führten nur 8 % der erwiesenen Vergewaltigungsfälle schließlich zu einer Anklage vor der Militärgerichtsbarkeit - und sage und schreibe 2 % zu einer Verurteilung (vgl. http://www.derwesten.de/politik/).
Die Ausstrahlung des Films in den USA setzte Politik und -Militär unter öffentlichen Druck. Zu einer Verlagerung der Vergewaltigungsverfahren zu zivilen Gerichten führte er bislang aber nicht. „The invisible war“ wurde in den USA z.B. von Time (4. Dezember 2012) und der New York Times (14. Dezember 2012) zu den besten US-Filmen des Jahres 2012 gezählt. Der Film wurde 2013 für einen Oscar als Dokumentarfilm nominiert und am 17. Februar 2014 im WDR gezeigt.
Vermutlich im Zusammenhang mit den Erkenntnisfortschritten in der Genetik ist seit Jahrzehnten in vielen literarischen Zukunftsentwürfen – Utopien wie Dystopien – eine verstärkte Auseinandersetzung mit der weiblichen Fruchtbarkeit zu beobachten, insbesondere mit der weiblichen Gebärfähigkeit.
Schon in „Brave new World“ (erschienen 1932) spielt das Bokanowsky–Verfahren zur „Produktion“ von hierarchisch gegliederten, geklonten Menschenkasten eine zentrale Rolle: Die weibliche Fruchtbarkeit ist so ausgeschaltet,
In Wolf Weitbrechts (Arzt und Schriftsteller, 1920 – 1987) „Stern der Mütter“, erschienen im Jahre 1983 in der DDR, ist die Ausgangslage eine völlig andere. Auf dem Planeten Siran der Doppelsonne Toliman A & B (Alpha Centauri, im Sternbild des Zentauren am südlichen Sternhimmel, nahe dem Kreuz des Südens, ca. 4,5 Lj entfernt) lebte eine hochentwickelte Zivilisation von Menschen, die ganz eigene Formen von Technik, auch der Raumfahrt schufen, und auch - unerkannt - die ihnen noch barbarisch erscheinende Erde besuchten.
Dann allerdings erlebte Siran eine kosmische Katastrophe: ein extremer Ausbruch harter Gamma-Strahlung der einen Sonne machte alle Männer (und auch nahezu alle Männchen der dortigen Säugetierarten) krank und unfruchtbar. Um ihre Zivilisation vor dem Aussterben zu bewahren, entwickelten siranische Mediziner eine mutagene Substanz, die der Nahrung der Frauen beigemengt wurde: Durch sie wurde im Körper der Siranerinnen die Reduktionsteilung unterdrückt und sie erlangten die Fähigkeit, ohne Vater, ohne Befruchtung parthenogenetisch [10] Kinder mit vollem Chromosomensatz zu gebären – natürlich nur Mädchen (vgl. Weitbrecht, S. 89, a.a.O.). .
Nach dem Tode der letzten siranischen Männer pflanzten sich die Siranerinnen acht Jahrhunderte „jungfräulich“ fort. Die genetische Umformung der Frauen wurde quasi religiös codiert, ihre grüne Sonne „Ea“ habe die Siranerinnen „begnadet“. Die Bisexualität galt als verabscheuungswürdig, die Zweigeschlechtlichkeit als ein „Böser Fluch“ (Weitbrecht, S. 150, a.a.O.).
Die siranischen Frauen gebaren lauter Zwillingsschwestern, eine genetische Rekombination konnte nicht mehr stattfinden. Gesellschaftlich, auch technisch stagnierte der Siran in einer „matriarchalischen Hierarchie“ (Weitbrecht, S. 61, a.a.O.). In eine Krise geriet die siranische Zivilisation als immer mehr Siranerinnen steril wurden und zudem wieder männliche Kinder (mit haploidem Chromosomensatz) geboren wurden, die jedoch kränklich und schwach waren, - Zeichen für eine genetische Remission.
Die Rettung erfolgte in Gestalt von irdischen Raumfahrern und Wissenschaftler, - die Erde war unterdessen zu einer friedlichen Weltrepublik geworden, „… in der Übergangsphase zur vollendeten kommunistischen Gesellschaft“ (Weitbrecht, S. 51, a.a.O.).
Mit Hilfe der irdischen Genetiker wurde die Wiederkehr der Reduktionsteilung bei den Siranerinnen erreicht, der erste Schritt zu einer erneute siranischen Zweigeschlechtlichkeit.
Der auf Siran regierende Hohe Rat beschloss, das Jahr, in dem das erste wieder von siranischen Eltern gezeugte Kind geboren würde, zum Jahr 1 einer neuen Zeitrechnung zu machen: Es wurden Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen (vgl. Weitbrecht, S. 159, a.a.O.).
Margaret Atwood (*1939) ist eine kanadische Literaturwissenschaftlerin und vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin. In ihrem 1984 in West-Berlin begonnenen, 1985 erschienenen faszinierenden „The Handmaid’s Tale“ (dtsch. „Report der Magd“, a.a.O.), einer sich in naher Zukunft in den USA abspielenden Dystopie, werden Frauen in der christlich-fundamentalistisch-theokratischen Militärdiktatur Gilead [11] u.a. zu Gebärmaschinen degradiert
Eine Reihe von politischen Teilschritten – vorangetrieben von den „Söhnen Jakobs“ - führte schließlich zu diesem Ergebnis:
Die Gilead-Gesellschaft war eine stark militarisierte Gesellschaft, es wurden permanent Kriege nach außen. und „Sektenverfolgungen“ gegen konkurrierende Gruppen nach innen geführt, so gegen Baptisten, „Libertheos“ oder Quäker (Atwood, S. 33, 40 & 112, a.a.O.).
Afroamerikaner („Kinder Hams“) werden von Gilead „planmäßig“ umgesiedelt in ein „Nationales Heimatland“ u.a. in Dakota (vgl. Atwood, S. 113, a.a.O.).
Ständig und überall wird kontrolliert, auch in den Städten benötigt man an unzähligen Kontrollstellen Pässe, die abgestempelt werden, auch elektronisch überwacht (mit „Compubite“, „Compucheque“, Compudoc, Compusprech, Compuphon, Compubank ….).
Der Geheimdienst – die „Augen“ - ist allgegenwärtig und allmächtig. ein „geflügeltes Auge“ ist sein Symbol. Selbstverständlich sind auch die Dolmetscher für ausländische Wirtschaftsdelegationen blau uniformierte „Augen“. Denunziationen – auch um die eigene Haut zu retten – sind alltäglich, selbst die Kommandanten fürchten die Augen.
Die Gilead-Gesellschaft ist gekennzeichnet durch eine Fülle von Verboten, so z.B. alle säkulare Musik (Atwood, S. 305, a.a.O.), Lesen ist verboten, Bücher und Zeitschriften werden verbrannt. Wird jemand dreimal beim Lesen ertappt, wird ihm die Hand abgeschlagen (Atwood, S. 356, a.a.O.).
Onanie gilt als Sakrileg und wird streng bestraft: „…die dürfen doch nicht einmal die Hände in die Tasche stecken…“ (Atwood, S. 36 & 121, a.a.O.). Homosexualität gilt als „Geschlechtsverrat“ und wird mit dem Tode bestraft (vgl. Atwood, S. 63, a.a.O., vgl. auch Christopher - Street – Day, 28. Juni).
Alle sexuellen Handlungen, die nicht zur Befruchtung führen können, sind streng verboten und werden mit Auspeitschung bestraft (vgl. Atwood, S. 202, a.a.O.).
Auf Ehebruch steht die Todesstrafe, genauso auf Vergewaltigung – nach 5. Mose 22, 23-29.
Die Frauen spielen in der patriarchal-hierarchisierten Gilead-Gesellschaft nur einige wenige untergeordnete Rollen, die durch spezielle Kleidung verdeutlicht werden. Die angesehenste Rolle ist die der Ehefrauen der Militärelite, der „Kommandanten“, mit blauer Kleidung. Die Töchter der Ehefrauen waren weiß verschleiert. Da viele der Ehefrauen jedoch unfruchtbar waren, erhielten die Kommandanten für maximal 2 Jahre eine „Magd“ zugewiesen, eine der wenigen noch fruchtbaren, jüngeren Frauen [12