10. Oktober: Welttag gegen die Todesstrafe

 

Der Welttag gegen die Todesstrafe wird seit 2003 begangen, eingeführt wurde er auf Initiative der im Mai 2002 gegründeten "World Coalition against Death Penalty" (WCADP). Ihr gehören u.a. Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international, Gewerkschaften, Anwaltsvereinigungen, lokale und regionale Behörden sowie viele Nichtregierungsorganisationen und religiösen Gruppen an.

Schon 1851 schrieb Victor Hugo – leider etwas zu voreilig, wie sich bis heute zeigt: „Die Folter ist bereits in dem Abgrund des Abschaums verschwunden, wo die Inquisition schon liegt und wohin die Todesstrafe ihr bald folgen wird“ (zit. n. Frankenberg, S. 8, a.a.O.).

Die Wildenmann-Studie der Universität Mannheim über „Die unruhige Generation“ stellte Anfang 1968 fest, dass …

  • die damaligen west-deutschen Sudenten zu 15 %
  • die nicht-studentische Jugend zu 60 %, und
  • die Gesamtbevölkerung zu 69 % ...

„… für die Wiedereinführung der Todesstrafe votierten“ (zit. n. Aly, 2008, S. 85, a.a.O.).

 

Laut amnesty international wurden im Jahr 2002 über 1.500 Menschen in 31 Staaten hingerichtet, allein in den USA befanden sich im Juli 2003 insgesamt 3517 Menschen im „Todestrakt“ von Gefängnissen.  

Zwischen 1994 und 2003 wurden weltweit (mindestens) 19 Minderjährige hingerichtet; die USA haben dabei mit 12 hingerichteten Minderjährigen einen beschämenden Spitzenplatz. Amnesty international forderte, ein Verbot dieser Hinrichtungen als Norm ins Völkerrecht aufzunehmen.

Im September 2007 beschloß der Europarat ohne Gegenstimme [1] den 10. Oktober zum Europäischen Tag gegen die Todesstrafe zu erklären.

Nach amnesty international wurde 2007 die Todesstrafe weltweit noch von 64 Staaten angewendet.

Im Jahre 2006 wurden nach offizieller Zählung insgesamt (mindestens) 1591 Menschen hingerichtet, u.a. in China, dem Iran, in Pakistan, dem Irak und den USA. Die Zahl der tatsächlich Hingerichteten dürfte allerdings weit höher liegen, Schätzungen belaufen sich allein bei China auf ca. 8000 Hinrichtungen (vgl. „Berliner Zeitung“, 11. Oktober 2007, S. 9). 

Im Iran wurden 2013/14 während 15 Monaten insgesamt 852 Menschen hingerichtet, d.h. alle 8 Stunden wurde dort ein Mensch durch den Staat getötet. Unter den Hingerichteten waren auch Journalisten und politische Aktivisten. Pro Kopf der Bevölkerung wurden im Iran weltweit am meisten Menschen hingerichtet.

Im Oktober 2014 wurde die 26jährige iranische Innenarchitektin Reyhaneh Jabbari nach fünf Jahren in der Todeszelle hingerichtet, die den Geheimpolizisten Mostem Abdolali Sarkouli – des sie vergewaltigen wollte - erstochen haben soll. Das Geständnis Jabbaris soll jedoch durch Drohungen und Folter zustande gekommen sein (vgl. „Die Zeit“, 25. Oktober 2014).  

Iranische Frauenrechtlerinnen riefen den 5. November zum „Tag gegen Vergewaltigung" aus. Der 5. November wäre Reyhaneh Jabbaris 27. Geburtstag gewesen.

In dem Film „Taxi“ des iranischen Regisseurs Jafar Panahi (*1960) spielen die unzähligen Hinrichtungen im Iran eine deutliche Rolle. Vor allem in der ersten Episode des Goldenen-Bären-Films von 2015 widerspricht eine Passagierin des Taxis vehement (und klug) den Stammtisch-Forderungen eines anderen, man sollte Autoreifendiebe hinrichten, das würde die Kriminalität senken. Gegen Panahi wurde gerichtlich ein Berufsverbot verhängt, der Film wurde heimlich gedreht und nach Berlin gebracht.

 

Nach einer Studie des Informationszentrums für Todesstrafe (DPIC) aus dem Jahre 2013 wurden in den 32 Bundestaaten der USA mit der Todesstrafe deutlich weniger Todesurteile vollstreckt (die meisten in Texas), da das verwendete Gift nicht in genügender Menge bereit steht. Immer mehr US-Pharmahersteller wollen ihre Produkte nicht mehr als Hinrichtungsgift verwendet sehen. Bei der Vorstellung der Studie führte der Sprecher der DPIC aus: „Die Schwierigkeiten haben die Vollstreckung der Todesstrafe seltener gemacht oder sie aufgeschoben. Immer mehr Bundesstaaten überlegen sich, ob diese teure und ineffektive Strafe überhaupt sinnvoll ist“ (vgl. "Tagesspiegel", 20. Dezember 2013, S. 8).

 

In Sri Lanka fand die letzte Hinrichtung im Jahre 1976 statt. Seiher wurden zwar mindestens 405 Todesurteile ausgesprochen, niemand aber wurde exekutiert – weil niemand Henker werden will. Mehrere Bewerber schreckten schließlich vor dieser Art der Tätigkeit zurück (vgl. ND, 17. März 2014, S. 20).

 

Der iranisch-französischer Spielfilm „Ballade von der weißen Kuh“ (Originaltitel: Ghasideyeh gave sefid قصیده گاو سفید) von Behtash Sanaeeha und (seiner Ehefrau) Maryam Moghaddam aus dem Jahr 2021 setzt sich kritisch mit dem iranischen Justizsystem und insbesondere der Todesstrafe auseinander.

 

Der Titel des Films „Ballade von der weißen Kuh“  bezieht sich auf eine Episode in der 2. Sure des Korans (benannt al-Baqara die Kuh/die Färse), in der Mose seinem Volk befiehlt im Falle eines unaufgeklärt gebliebenen Totschlags eine junge Kuh als Reinigungsopfer darzubringen (2. Sure, 36 f, vgl. Koran, S. 33, a.a.O.; nach anderer Zählung 2, 67 f.). Auch die Benennung der gesamten 2. Sure bezieht sich auf diese Erzählung, in der die Israeliten vergeblich versuchen mit allerlei Ausreden das Opfer zu vermeiden [2].

 

In vielen Kulturen war (und ist) die Kuh ein Symbol für Fruchtbarkeit, Erneuerung und den Reichtum.  Die weiße Farbe der Unschuld verbindet sich in dem Filmtitel mit der Funktion der Kuh als Opfertier in religiösen Zeremonien vieler Religionen. In der Scharia galt traditionell die Kuh als Opfertier, zur Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht. 

In dem Film selbst taucht eine fahle Kuh (vgl. Abb. unten) zweimal auf inmitten eines bedrückend leeren, düsteren (Gefängnis-?) Hofes, an dessen Seiten dunkle Figuren (Gefangene?) aufgereiht stehen. Indirekt taucht die Kuh mehrfach nochmals auf, denn die Witwe Mina arbeitet in einer Milchabfüllfabrik und benutzt ein Glas heiße Milch schließlich zu ihrer Rache.  

 

Der Film spielt im gegenwärtigen Iran: Am Beispiel einer jungen Witwe Mina (dargestellt von Maryam Moghaddam) wird die Problematik der Todesstrafe unter den Bedingungen des Iran sowie die mehr als prekäre Lage einer dort alleinstehenden Frau (und alleinerziehende Mutter der gehörlosen Tochter Bita) thematisiert. Mina gaukelt ihrer Tochter vor, ihr Vater sei weit weg und studiere. Um zu überleben, arbeitet Mina in einer Milchfabrik.

 

Minas Mann Babak wurde vor einem Jahr aufgrund eines Vergeltungsurteils (s.u.) hingerichtet.

Dann aber bekommt Mina unerwartet eine Vorladung, die sie nur in Begleitung eines Mannes wahrnehmen darf. Ihr Schwager, der sie heiraten möchte, kommt mit. Es hatte sich herausstellt, dass Babak unschuldig war: Er wurde Opfer einer falschen Zeugenaussage, ein sinnloses Opfer eines Justizirrtums und Mina soll finanziell entschädigt werden. Mit der Zahlung eines „Blutgelds", der Diya (s.u.), ist die Sache für die Justiz, den Staat erledigt, abgegolten. Vom iranischen Staat wird für einen erwachsenen Mann umgerechnet bis zu 55 000 Euro Entschädigung z.T. an die Familie des Mannes, ggf. zum kleineren Teil an dessen Witwe gezahlt. Babaks Herkunftsfamilie möchte die Entschädigungszahlung akzeptieren und eine bessere Wohnung erwerben.

Der Justizbeamte erläutert Mina: „Uns ist klar, dass nichts Ihren Ehemann ersetzen kann, aber sicher ist, dass es Gottes Wille war. Alle Richter haben dasselbe Urteil gefällt. Es muss Gottes Wille gewesen sein. Es gibt keine Fehler im heiligen Koran." Die beiden Worte von Gottes Willen, die rechtfertigen und trösten sollen, wirken aber zynisch. „Gottes Wille" befreit von individueller Verantwortung.

Mina aber will die Verantwortlichen zur Rede stellen, sie legt Beschwerde gegen das Urteil beim zuständigen Gericht ein und verlangt eine offizielle Entschuldigung, eine förmliche Unschuldsfeststellung für ihren Mann. Sie kämpft gegen die Mühlen der Bürokratie, gegen ein undurchdringliches System. Um eine persönliche Entschuldigung des Gerichts kämpft Mina vergeblich, denn vor Gericht wird sie als Frau ohne männlichen Vormund nicht angehört.

 

Als Witwe und alleinerziehende Mutter steht Mina an einer sehr niedrigen Stufe der iranischen Gesellschaft: überall wird ihr mit Misstrauen begegnet, sie erlebt wenig Hilfe und Solidarität. Bei der ersten Gelegenheit wird ihr unter einem Vorwand die Wohnung gekündigt. Von der Familie ihres Mannes kann sie keine Unterstützung erhoffen, im Gegenteil bedrängt ihr Schwager sie. Als alleinerziehende Mutter will ihr die Familie des toten Ehemannes ihr sogar das Sorgerecht entziehen.

 

Unverhofft jedoch steht eines Tages ein fremder, schweigsamer Mann vor Minas Tür, Reza, der vorgibt, ein Freund ihres Mannes gewesen zu sein. Auch er will Mina Geld zukommen lassen, das er (angeblich) Babak schuldete. Dabei geht es Reza nicht um Schulden, es geht ihm um seine Schuld.

Zögernd zwar nimmt Mina das Geld, das ihr aus einer Bedrängnis hilft. Als sie bald darauf ihre Wohnung verliert, weil der Vermieter ihr den Männerbesuch (Reza) übelnimmt, hilft dieser Mina eine neue Bleibe in einem Haus zu finden, das ihm gehört. Er wird zu einer hilfreichen Figur im Leben von Mina und Bita.

 

Tatsächlich aber ist Reza der Richter, der das Todesurteil über Babak aussprach und nun seine Schuld begleichen will, ihn plagt in dem Fall das schlechte Gewissen. Verstärkt wird seine Haltung durch seinen Sohn, der ihm das Todesurteil vorwirft, generell seine Mitarbeit in diesem Justizapparat. Anfangs verteidigt Reza seinem Sohn gegenüber der Kriminalität wegen noch die Todesstrafe. Sein weist ihn dagegen auf die vielen Länder hin, die keine Todesstrafe kennen und dennoch nicht in der Kriminalität ersticken. Mit dem Konflikt verlässt der Sohn seinen Vater für immer.

Reza gibt schließlich seinen Beruf auf, verheimlicht Mina – trotz eines Ansatzes - aber sein Motiv und seine Rolle bei dem Todesurteil für Babak. Ohne Auskunft über seine wahre Identität zu geben, freundet er sich mit Mina und Bita an. So beginnt er z.B. die Gebärdensprache zu lernen. Den kleinen Gefälligkeiten von Reza begegnet Mina bald mit echten Gefühlen ihm gegenüber.

Je näher sich die Drei kommen, desto schwerer wird es für Reza, seine wahre Rolle zu offenbaren. Diese Geschichte von Schuld, Reue und Vergebung, schnürt dem Zuschauer wie ein Kritiker meinte - das Herz zunehmend zu. Als schließlich ihr Schwager Mina brieflich eröffnet, dass Reza der Richter des Urteils gegen Babak ist, steuert der Film auf die abschließende Katastrophe zu.  

 

Schon die Bildsprache des Films, es herrscht ein trostloses Grau von Beton, verweist auf die geringe erfahrene Solidarität und Empathie, die emotionale Kälte der Behörden, der Arbeit und dem urbanen Hintergrund wohl Teherans. "Manche nehmen Drogen, andere trinken, ich schaue türkische Serien", rät Mina einmal eine Nachbarin. "Jeder muss einen Weg finden zu vergessen."

 

Gespielt wird Mina in dem Film von Maryam Moghadam, die mit Betash Sanaeeha auch das Drehbuch geschrieben sowie Regie führte. Der Film ist für sie auch eine sehr persönliche Geschichte: Als Maryam 12 Jahre alt war wurde auch ihr Vater hingerichtet; danach musste sie mit ihrer Mutter – Mina - nach Schweden emigrieren. Die "Ballade von der weißen Kuh" kann von daher auch eine Liebeserklärung an ihre Mutter angesehen werden.

 

Im Koran wird die Todesstrafe für bestimmte Delikte ausdrücklich legitimiert.  In der 17. Sure heißt es:

„Und tötet keinen Menschen, den euch Allah verwehrt hat, es sei denn um der Gerechtigkeit willen. Ist aber jemand ungerechterweise getötet, so geben wir seinen nächsten Anverwandten Gewalt. Doch sei er nicht maßlos im Töten (des Mörders); siehe er findet Hilfe“ (Sure 17, 35; nach anderer Zählung 17, 33; vgl. Koran, S. 267, a.a.O.).   Hier wird den Angehörigen eines Mordopfers das Recht zur Wiedervergeltung erteilt, ob die zugesagte Hilfe sich auf Gott oder einen Richter bezieht, bleibt offen.

 

Zur Zeit des Propheten Muhammad war auf der arabischen Halbinsel die Blutrache weit verbreitet.  Al-Qisās (ar. Wiedervergeltung) bezeichnet im traditionellen islamischen Recht, der Scharia, das Prinzip der Wiedervergeltung (Talion , von lat. „talio"   „Wiedervergeltung“ „Auge um Auge, Zahn um Zahn“). Al-qiṣāṣ kann bei Tötung eines Menschen und bei nichttödlicher Verwundung angewendet werden und sollte die den sozialen Zusammenhalt gefährdende Blutrache in geregeltere Bahnen überleiten. Im Koran wird die genaue Wiedervergeltung als göttliche Anordnung vorausgesetzt:

„O ihr, die ihr glaubt, vorgeschrieben ist euch die Wiedervergeltung (al-qiṣāṣ)  im  Mord: Der Freie für den Freien, der Sklave für den Sklaven und das Weib für das Weib! Der aber, dem von seinem Bruder verziehen wird, bei dem lasse man Güte walten; doch Entschädigung sei ihm reichlich.

Das ist eine Erleichterung von eurem Herrn und Barmherzigkeit (gegenüber der früheren Blutrache, C.M.). Und wer sich nach diesem vergeht, den treffe schmerzliche Strafe.

Und in der Wiedervergeltung liegt Leben für euch, o ihr Leute von Verstand; vielleicht werdet ihr gottesfürchtig“ (Sure 2, 173 – 175 , vgl. Koran, in der Übersetzung von Max Henning, S. 47, a.a.O.; nach anderer Verszählung 2, 178 f.). Durch diese Gebote im Koran erhält die Wiedervergeltung für gläubige Muslime  theologischen Rang:  Al-qiṣāṣ entspricht der Gehorsam belohnenden, Unrecht strafenden Gerechtigkeit Gottes.

 

Im Koran wird ausgeführt, dass Gott den Juden die Tora herabgesandt habe:

„Und wir schrieben ihnen darin vor: ‚Leben um Leben, Auge um Auge, Nase für Nase, Ohr für Ohr, Zahn für Zahn und Wiedervergeltung von Wunden‘. Und wer es vergibt als ein Almosen, so ist‘s ihm eine Sühne. Wer aber nicht richtet nach dem, was Allah herabgesandt hat, das sind die Ungerechten“ (Sure 5, 49; nach anderer Zählung 5, 45; vgl. Koran, S. 118, a.a.O.).   

Die an die biblische Talionsformel angelehnte Formulierung im Koran betont das grundsätzliche Vergeltungsrecht bei schwerer und leichter Körperverletzung. Angehörige des Opfers können aber auf die Vergeltung verzichten und so Sühne für eigene Sünden erwirken (vgl. Hatip, a.a.O.)..

 

In Medina wurde zudem festgelegt, dass es dem Gläubigen untersagt ist, einen Gläubigen wegen der Tötung eines Nichtgläubigen zu töten. Der Prophet selbst intervenierte mehrfach in die Praxis des Qisās. Beispielsweise kam er für das Blutgeld (ar. diya) für vertraglich mit ihm verbundene „Heiden“ auf, die von Muslimen ermordet worden waren. Zweimal setzte er zudem die Annahme von Sühnegeld durch oder ließ Mörder bei erschwerenden Umständen hinrichten, ohne die Möglichkeit eines Geldzahlung einzuräumen. Das Blutgeld ist nach der Scharia eine Ausgleichszahlung für die Schädigung von Leib oder Leben einer Person von der Familie des Schädigenden an die Opferfamilie an Stelle der Vergeltung (vgl. Schacht, Bd. V, S. 177a–180a, a.a.O.).

 

Gemäß der Überlieferung von Ibn Ishaq tilgte der Prophet Muhammad nach der Eroberung Mekkas vor dem Tor der Kaaba stehend jegliche Blutschuld: „Jede Blut- und jede Geldschuld … werden von mir aufgehoben. Die Blutschuld für einen versehentlich, doch halb absichtlich, mit Peitsche oder Stock Getöteten ist    schwer: einhundert Kamele, davon vierzig trächtig“ (Ibn Ishaq, S. 219, a.a.O.).    

 

Im Iran wird  jährlich eine Blutgeld-Tabelle veröffentlicht. Die Höhe der Zahlung hängt vom Kalendermonat (als heilig angesehene Monate sind teurer) und von Geschlecht sowie der Religion des Opfers ab. Für Frauen ist dabei weniger zu bezahlen als für Männer, für Nichtmuslime weniger als für Muslime. Für z.B. einen Zoroastrier ist nur ein Zwanzigstel von dem zu bezahlen, was für einen muslimischen Mann  bezahlt werden muss.

 

Das Recht der Opferangehörigen zur Wiedervergeltung wird u. a. im Iran an Bedingungen geknüpft:

  •      Ein islamisches Gericht muss die Schuld des Täters feststellen. Zur Verurteilung reichen die Aussage des Opfers und eines anderen Zeugen, ggf. aber auch ein Indizienbeweis aus.
  •       Liegt ein Urteil vor, dürfen das Opfer oder seine Familie dem Täter unter Aufsicht des Richters die exakt gleiche Verletzung zufügen, die er dem Opfer zugefügt hatte.
  •      Bei Tötungsdelikten kommt es nur zum Prozess, wenn der nächste männliche Verwandte des Opfers dies vor Gericht verlangt.
  •      Täter und Opfer müssen als „gleich“ angesehen werden: Für einen Mann darf nur ein anderer Mann, für eine Frau eine andere Frau, einst für einen Sklaven ein Sklave getötet werden.
  •      Die Hinrichtung von Muslimen wegen des Todes von Nicht-Muslimen ist ausgeschlossen, weil der Vergeltungsgrundsatz nur zwischen als „gleichgestellt“ angesehenen Muslimen gilt.
  •        Schließen Ungleichheit von Täter und Opfer ein Todesurteil aus, können die Opferangehörigen ein Blutgeld beanspruchen. Diesen setzt ein Richter je nach Schwere des Vergehens fest.
  •        Der Täter muss zusätzlich auf jeden Fall eine gute Tat für Gott begehen, etwa fasten oder eine Geldspende entrichten, früher z.B. einen Sklaven freilassen.
  •          Umgehend wird ein Verfahren eingestellt, wenn das Opfer oder seine Angehörigen dem Täter verzeihen oder dieser glaubhaft ehrliche Reue zeigt (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Auge_f%C3%BCr_Auge#Koran).

 

Die Todesstrafe kann im Iran nach dem Gerichtsurteil gemäß al-qisās nur ausgesetzt werden, wenn die Familie des Opfers auf eine Bestrafung verzichtet und verzeiht oder der oberste Geistliche den Verurteilten begnadigt (vgl. Hatip, a.a.O.). .

 

In vorherrschend islamischen Staaten wird die Scharia unterschiedlich ausgelegt, wegen der verschiedenen Rechtsschulen und auch wegen regionaler Traditionen. Körperstrafen wie die Handamputation für Diebstahl werden neben dem Iran u.a. in Saudi-Arabien oder dem Jemen bis heute praktiziert.

Eine Reihe von Paragrafen des iranischen Strafgesetzbuches und auch § 163 der Verfassung unterscheiden das Recht für Muslime und Nicht-Muslime in Mordfällen.

 

„Die Ballade von der weißen Kuh“ wurde am 1. Februar 2020 auf dem iranischen Fajr-Filmfestival in Teheran aufgeführt, allerdings ohne dass es zu Publikumsvorstellungen kam. Iranische Kritiker wunderten sich, dass der Film bei seiner kritische Haltung gegenüber der Justiz überhaupt gezeigt wurde. Vermutet wurde, der Film könne nicht ohne die Zensur einiger Szenen in den iranischen Kinos anlaufen.

Die offizielle Weltpremiere des Films war im Wettbewerb der 71. Berlinale 2021 und konkurrierte in Berlin im Wettbewerb um den Goldenen Bären, den Hauptpreis der Berlinale, blieb aber unprämiert.

Der Kinostart in Deutschland war am 3. Februar 2022.

 

Der Iran ist nach den Hinrichtungszahlen seit mehreren Jahren gemessen an der Bevölkerungszahl das Land mit weltweit den meisten Hinrichtungen. Im Jahre 2020 wurden nach amnesty international im Iran 251 Menschen hingerichtet, darunter 4 Minderjährige,

In absoluten Zahlen rangierte es 2013 an zweiter Stelle nach China, von dem allerdings keine offiziellen Hinrichtungszahlen veröffentlicht werden. Nach Schätzungen von ai dürften Tausende Menschen jährlich in China hingerichtet werden.  

Die USA standen im Jahre 2020 mit 27 Hinrichtungen nach China, dem Iran, Ägypten, dem Irak und Saudi-Arabien an 6. Stelle (vgl. https://de.statista.com/infografik/2059/weltweit-durchgefuehrte-hinrichtungen/).

Nach Angaben von ai wurde 2019 die Todesstrafe in 20 Ländern insgesamt mindestens 657 Mal vollstreckt. Das ist ein Rückgang von fünf Prozent im Vergleich zu 2018 (vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/hinrichtungen-amnesty-103.html.

Von den ca. 200 Staaten weltweit haben 106 die Todesstrafe gesetzlich und weitere 36 in der Praxis abgeschafft. Zudem gab es nach ai in mehreren afrikanischen Ländern deutliche Tendenzen zur Abschaffung der Todesstrafe.

Die Zahl der dokumentierten Hinrichtungen weltweit ist in den vergangenen Jahren gesunken. Insgesamt 18 Staaten führten 2020 offiziell Hinrichtungen durch. 

 

(unveränderlich, nach dem Gregorianischen Kalender)

 
© Christian Meyer


[1] Der Europarat hat insgesamt 47 Mitgliedsstaaten, von Russland im Osten bis Portugal im Westen. 46 Staaten stimmten der Deklaration zu, der polnische Vertreter blieb der Abstimmung fern. Zwar ist in Polen – wie in allen Staaten des Europarats – die Todesstrafe abgeschafft (oder ihre Ausführung durch ein Moratorium ausgesetzt) – jedoch hatte sich der rechtskonservative polnische Präsident Lech Kaczynski in mehreren Verlautbarungen positiv   zur Todesstrafe geäußert. Zudem forderte die polnische Regierung mehrfach, auch die Abtreibung und die Sterbehilfe zu ächten (vgl. „Berliner Zeitung“, 11. Oktober 2007, S. 9).

Der in der EU benötigten Einstimmigkeit wegen wurde die Einführung eine EU-weiten Aktionstages am 10. Oktober gegen die Todesstrafe durch Polen blockiert.  

[2] Schon im Alten Testament finden sich Anklänge an diese Episode um Totschlag und Reinigungsopfer einer Kuh, in 4. Mose 19,28 und 5. Mose 21, 1 f.

 

 

 

 

 

Anfangsszene des Films "Die Ballade von der weißen Kuh", links die Männer, rechts die Frauen, die Gebäude von Stacheldraht bekrönt (Abb. aus: https://www.br.de/nachrichten/kultur/ballade-von-der-weissen-kuh-dieses-drama-ist-eine-der-kontroversesten-iranischen-produktionen,SwGujEu)

 

 

 

 

 

Szene aus dem Film: Im Vordergrund die junge Witwe Mina, im Hintergrund der Richter Reza (Abb. aus dem Werbeprospekt des Kreuzberger Movimiento-Kinos).