"Khalistan"-Dollarschein
"Khalistan"-Dollarschein

4. -  6. Juni

 

Gedenktage der Sikhs an die Kämpfe in Amritsar 1984,  „Ghallughara Divas“ („Genozid – Tag“)

Die Idee „Khalistan“ kam in der Zeit vor 1947 auf, als kurzzeitig von den Briten geplant, jeder großen Religionsgruppe in Indien einen eigenen Staat zu geben, Hindustan für die Hindus, Pakistan für die Muslime und Khalistan für die Sikhs [1]. Da Sikhs und Hindus nicht so große Probleme miteinander hatten, verwarf man die Idee und schuf einen gemeinsamen Staat beider Religionsgruppen, die heutige Indische Union. 

Seit den 70er Jahren des 20. Jhdts. erlangte die These, die indischen Sikhs seien eine eigene Nation und brauchten – ähnlich wie die Muslime im abgespaltenen Pakistan – einen eigenen Staat, immer mehr Anhänger.

Im Punjab (auch Pandschab [2]) - und nur dort - stellten die Sikhs die Bevölkerungsmehrheit [3] . Jedoch sprachen sie im Punjab – wie die dortigen Hindus, Muslime und Christen – Punjabi, auch waren sie kulturell eng verflochten mit den übrigen Bevölkerungsgruppen.

Dennoch wurde in den 70er Jahren die separatistische Forderung nach der Schaffung einer „nationalen Heimstätte“ für Sikhs, nach einem souveränen theokratischen „Khalistan“ („Land der Reinen“ [4] ) immer lauter. Prominentester Vorkämpfer wurde ein junger, militant- fundamentalistischer Sikh–Priester, Sant Jarnail Singh Bhindranwale [5], „der Khomeini von Khalistan“ (Venzky, S. 11, a.a.O.).

Bhindranwale und seine Anhänger bekämpften und verfolgten durch terroristische Anschläge nicht nur andere, heterodoxe Sikh–Gruppen (z.B. die Nirankari [6] ), sondern auch Hindus, Säkularisten und Kommunisten.

Im April 1978 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den orthodoxen Sikhs und den Nirankari wegen Nirankari–Texten, -Parolen und Aussagen, die fromme Sikhs als blasphemisch empfanden und ächten, verbieten lassen wollten.  Baba Gurbatschan Singh (auch: Gurbachan, 1930 – 1980, durch ein Attentat getötet), der damalige lebende Nirankari–Guru  soll öffentlich das Heilige Buch der Sikhs, den Guru Granth Sahib, den 11. Guru, ein bloßes Papierbündel genannt haben, das er mit den Füßen treten wolle.

Dem Verbotswunsch wurde von der Unionsregierung nicht entsprochen und in der Folge kam es am Baisakhi–Tag, dem 13. April 1978 nach Festtagsprozessionen zu einem Protestmarsch zum Nirankari–Zentrum (Bhawan) in Amritsar. Aus dem Nirankari–Gebäude wurde auf die Demonstranten geschossen, nach anderen Berichten wurden die Sihks mit Messern, Schwertern, Äxten, Säureflaschen etc.  angegriffen  - es gab 13 Tote und mehr als 70 Verletzte. Umgekehrt behaupteten Nirankaris, sie wären von (orthodoxen) Sikhs angegriffen und hätten selbst Todesopfer zu beklagen.

Zwei Monate später wurden die Nirankari durch das Akal Takht [7] „exkommuniziert“, zu Ungläubigen erklärt und mit einem sozialen Boykott belegt. Sie durften die Tempel und den Granth nicht mehr benutzen.

Die Nirankari betrachteten sich nun nicht mehr als Sikhs, verzichteten auf den Granth und gründeten eigene Tempel.   

Bald darauf wurde ein hoher Nirankari–Geistlicher in Delhi ermordet: Ein Kreislauf der Gewalt setzte ein, der ca. 15 Jahre unvermindert andauerte. Vielfach wurden auch Nirankari–Versammlungen von fundamentalistischen Sikhs gestürmt.

Junge Sikh–Fundamentalisten glaubten vielfach an die „direkte Aktion“, nach dem Vorbild der PLO. Ein Sprecher meinte: „Die haben auch aus dem Nichts angefangen. Aber nun sind sie ein Faktor in der internationalen Politik, den niemand mehr übersehen kann. Nur mit Terror kann man etwas erreichen. Das ist die einzige Sprache, die das 20. Jahrhundert versteht“ (zit. n. „Die Zeit“, Nr. 50/1981, S. 13).

Charakteristisch war dabei, dass die Radikalisierung unter den Sikhs auch durch deren Uneinigkeit untereinander vorangetrieben wurde: Die Sikh–Partei Akali Dal stand unter dem Druck der fundamentalistischen  „Hardliner“ um Jarnail Singh Bhindranwale (vgl. „Hindustan Times“, 19. Mai 2007).  

Im Sommer 1981 wurde Bhindranwale beschuldigt, in einen politischen Mord verwickelt zu sein. Seine Verhaftung, eine Selbstauslieferung inszenierte er regelrecht: Begleitet wurde er von allen, die in Politik und Religion der Sikhs Rang und Namen hatte, zudem von ca. 75 000 Anhängern. Die Polizei bot 8000 Beamte auf, die sofort nach der Verhaftung in eine Schlacht mit einer Streitmacht von blau–gelb–gewandeten „Nihangs“ verwickelt wurde – 12 Tote Sikhs blieben schließlich zurück.

Bhindranwale kam für drei Wochen in Untersuchungshaft ins Zentralgefängnis in Firozpur, in seiner Sicht ein „Martyrium für die Nation“ (vgl. „Die Zeit“, Nr. 50 / 1981, S. 13). Am Tage seiner Entlassung im September 1981 wurde er vor dem Gefängnis von Tausenden Anhängern mit Ovationen begrüßt, er galt als Märtyrer, als Held der "Sikh–Nation".

Im Ausland residierte seit Beginn der 80er Jahre der selbsternannte Präsident der “Republik Khalistan”, der frühere Finanzminister des Punjab, Jangjit Singh Chauhan. Im Frühjahr 1981 dann tauchten im Ausland erstmals Pässe, Briefmarken und Banknoten der “Republik Khalistan” auf (vgl. obige Abb.).

 

Immer wieder kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen; besonders aktiv waren dabei die „Nihangs“, eine ca. 210 000 Man starke Sikh – Miliz, die praktisch nie unbewaffnet aus dem Haus gingen (vgl. „Spiegel“, Nr. 43/1978, S. 185).

Am 29. September 1981 entführten 5 Sikh–Fundamentalisten ein Flugzeug der Indian Airways mit 177 Passagieren auf seinem Flug Delhi – Amritsar – Srinagar nach Lahore / Pakistan. Die Entführer forderten u.a. die Freilassung  von Sant Jarnail Singh Bhindranwale. Pakistanische Polizei (als Reinigungskräfte verkleidet) überwältigte die Entführer und befreite die Geiseln (vgl. „IndoAsia“, Heft 1 / 1982, S. 77).

Die Entführer hatten ganz legal ihre Dolche im Flugzeug, denn sie Sikhs haben das offizielle Sonderrecht, Waffen zu tragen, - auch in Flugzeugen.   

Der Bhindranwale nahe stehende „Allindische Sikh – Studentenbund“ (AISS) erklärte 1984, die Sikhs hätten vier „Feinde“: Den das Land beherrschenden „… Hindu – Imperialismus, die Kommunisten und das KGB, die hinterhältigen Sikh-Sekten und den inneren Gegner der wahren Sikh–Bewegung“ (zit. n. Malhorta, S. 690, a.a.O.). Ziel der Bewegung war die Gründung eines „reinen“ Staates „Khalistan“ [8] und gegebenenfalls die Vertreibung der Nicht–Sikhs.

Der Bereich um den Heiligen Tempel, dem traditionellen rituellen Zentrum aller Sikhs in Amritsar, wurde zum Hauptquartier der separatistisch–fundamentalistischen Gruppen um Bhindranwale und in ein waffenstarrendes, befestigtes Bollwerk  verwandelt. Ein Tempel, der dem Friedens dienen sollte, war zu einer armierten Festung geworden.

Eine Lösung des Problems wäre eindeutig auch ohne Gewaltanwendung möglich gewesen, z.B. durch eine Blockierung der Versorgungswege. Trotz großer Bedenken auch innerhalb der Regierungsorgane befahl die damalige indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi zum 4. Juni 1984 den Armeeeinheiten  unter dem Befehl von Major-General Brar den Angriff auf das Heiligtum. Die Aktion lief unter dem Tarnnamen „Operation Bluestar“. 

 Im Verlauf der Operation kam - unter hohen Verlusten auf beiden Seiten - nicht nur Jarnail Singh Bhindranwale zu Tode, Tausende Sikh wurden getötet, der als heilig angesehene Gebäudekomplex in Amritsar beschädigt. Der Angriff, die Zerstörungen und die Entweihung des Goldenen Tempels [9] schockierte auch viele unpolitische Sikhs, das markiert den bisherigen Tiefpunkt im Verhältnis der indischen Regierung zu den Sikh.

Viereinhalb Monate später übten Sikh – Fundamentalisten Rache für die Tempelentweihung. Sie stifteten zwei Sikh-Leibwächter Indira Gandhis an, am 31. Oktober 1984 die Ministerpräsidentin zu ermorden (in dem Nanakshahi – Kalender wird der beiden Attentäter als „Märtyrer“ gedacht!).

Nach der Ermordung von Indira Gandhi kam es in ganz Indien insbesondere in der Hauptstadt Neu-Delhi zu blutigen sikhfeindlichen Pogromen, - eine Untat wurde mit den nächsten Untaten beantwortet. Zudem ist es recht sicher, dass die Pogrome zumindest in Delhi keineswegs spontan, sondern von den lokalen Kongressparteioberen organisiert wurden (vgl. Braßel, S. 1431, a.a.O.). 

Umgekehrt verteufelten extremistische Sikh – Politiker auch Rajiv Gandhi, den Sohn und Nachfolger Indiras, als Inkarnation des Teufels. Dagegen verurteilte Chandra Shekahr, 1991 indischer Unionsministerpräsident, bereits im Jahre 1984 öffentlich ausdrücklich die Militäraktion gegen den Goldenen Tempel.

Im Punjab verschärfte sich die Lage, durch das Militär erfolgten scharfe Kontrollen und eine Einschränkung Bewegungsfreiheit der Sikhs. Es gab viele z.T. willkürliche Verhaftungen und Verfolgungen. Denn auch in den 80er und 90er Jahren des 20. Jhdts. gab es immer wieder eine große Zahl blutiger, kommunalistischer Gewalttaten im Punjab, v.a. durch fundamentalistische Sikhs.

Aber es gab auch eine anwachsende Bewegung gegen Kommunalismus und Separatismus, so viele Massendemonstrationen unter Losungen wie:

„Kein Staat der Hindus, kein Khalistan, es lebe Indien“

„Wer Hindus und Sikhs gegeneinander aufhetzt, ist ein Feind unseres Landes“ (vgl. Malhorta, S. 692, a.a.O.).

Die Sikh – Gemeinde Berlin formulierte 1985 in einem „Appell der Sikhs an die Deutsche Öffentlichkeit“ Wir trauern, heute am 1. Jahrestag der Erstürmung und Schändung unseres allerheiligsten Tempels, mit weinendem Herzen und gedenken der Tausenden von unschuldigen und unbeteiligten Pilgern (u.a. viele Frauen, Kinder und Greise), die dabei durch die Kugeln der Armee den Tod fanden“. Der Appell folgert aus der gespannten Lage im Punjab: „Kein Wunder, dass die Jugend aus Verzweiflung zur Selbstjustiz greift“. Aber es wird die Wiederherstellung der verfassungsgemäßen Zustände für die Sikhs in Indien gefordert, nicht etwa die Realisierung von „Khalistan“.

Allein im Jahre 1990 wurden ca. 7000 Menschen im Punjab von fundamentalistischen Sikhs umgebracht, Hindus, heterodoxe Sikhs, „Ungläubige“ und „Unzüchtig“. Auch gegen Sikhs gibt es vielfach eine Art Psychoterror: Junge Frauen wagen es z.T. nicht mehr, Jeans und Röcke zu tragen, Männer lassen sich unter dem Druck Bärte wachsen und tragen den Turban, des Nikotinverbots wegen verschwinden viele Aschenbecher aus der Öffentlichkeit (vgl. „Wochenpost“, Nr. 6/1991). Einige missliebige Journalisten verunglücken mysteriös, verschwinden plötzlich unauffindbar oder werden ermordet.

Da das Hindi bei den Sikh – Fundamentalisten verpönt ist, wird in Ministerien und Schulen von Milizionären sogar kontrolliert, ob die Korrespondenz in Punjabi (auch: Pandschabi [10] ) erledigt wurde, und nicht etwa in Hindi oder Englisch.

 

Am „Genozid Tag“ im Jahre 2004 nahmen hohe Vertreter der führenden Sikh – Partei Shiromani Akali Dal (S.A.D.) und leitende Kleriker des Akal Takht an Gedenkveranstaltungen teil – zum ersten Mal seit der „Operation Blauer Stern“. Der Jathedar (Oberpriester) des Akal Takht, Giani Joginder Singh Vedanti, ehrte die Familienangehörigen von Sant Jarnail Singh Bhindranwale und anderen getöteten Militanten und überreichte ihnen „siropas“ (Ehrenkleider).

In der Gegenwart des Jathedar wurden Parolen wie „Es lebe Khalistan!“ oder „Es lebe Bhindranwale“ gerufen.

Der Jathedar verglich die Armeeoperationen gegen den Goldenen Tempel mit den historischen Attacken und Massakern der Moghularmeen v.a. im 18. Jhdt. (die von vielen Sikhs auch mit dem Begriff „Ghallughara“ (= Genozid) belegt werden).  Er bedauerte, dass das Unionsparlament den Armeeeinsatz nicht förmlich verurteilt habe und die Schuldigen an den Anti – Sikh – Pogromen [11] nicht bestraft worden seien. Auch sprach er sich dafür aus, wegen der Ereignisse von 1984 einsitzende jugendliche Sikhs aus den Gefängnissen zu entlassen und die Sikh – Soldaten zu rehabilitieren, die aus Protest gegen die Operation Bluestar aus ihren Kasernen desertiert waren (vgl. „The Sikh Times“, 7. Juni 2004).

Dass 20 Jahre nach den blutigen Ereignissen ein Sikh Premier von Indien werden würde, erschien damals undenkbar. Heute (2008) ist zwar von „Khalistan“ keine Rede mehr, aber völlig zur Ruhe gekommen ist der Punjab nicht. 

Bis heute ist der Kommunalismus, die exklusive Pflege und Förderung der eigenen Gruppe (Hindus, Muslime, Sikhs, Marathen) auf Kosten der anderen ein gewichtiges politisches Problem in Indien geblieben.

 

(unveränderlich, nach dem Nanakshahi – Kalender am 21.  & 23. Tag des Monats Jeth, nach dem  Gregorianischen Kalender am 4. & 6. Juni )

 

© Christian Meyer
 

[1] Nach der allindischen Volkszählung von 2001 waren 80,5 % der Inder Hindus, 13,4 % Muslime, 2,3 % Christen, 1,9 % Sikhs, 0,8 % Buddhisten und 0,4 % Jainas. 

[2] Der Punjab ist das antike „Fünfstromland“, in das Alexander vorstieß. Mit der Teilung Britisch – Indiens 1947 wurde der westliche (größere) Teil pakistanisch, der östliche Teil kam zu Indien. Ca. 40 % der Sikhs mussten ihre angestammten Wohngebiete verlassen und gehörten Vertriebene und Flüchtlinge zu den klaren Verlierern der Teilung. Auch die Punjab – Metropole Lahore fiel an Pakistan.

Bei den gegenseitigen Massakern der Hindus, Muslime und Sikhs litten die kriegerischen Sikhs, traditionelle Feinde der Moslems, …. am meisten und massakrierten auch am wildesten. Sikh – Fanatiker rösteten lebende Moslem – Babys an Spießen, hieben Moslem – Männer mit ihren Schwertern in Stücke und warfen diese Hunden zum Fraße vor. Moslem – Mädchen schnitten sie nach Massenvergewaltigungen die Brüste ab. Auf dem Bahnhof in Amritsar warteten stets Hunderte von Sikh – Kriegern mit gezogenen Schwertern auf Züge, die sie dann nach Moslems durchkämmten – Kennzeichen ein beschnittenes Glied –, um sie zu enthaupten“ (vgl. „Spiegel“, Nr. 43/1978, S. 193).  Man schätzt ca. 10 Mio. Flüchtlinge in beiden Richtungen, die Mordopfer insgesamt belaufen sich auf bis zu 2 Millionen. 

Viele Sikhs sind unterdessen auch ausgewandert, in die ganze Welt, zwischen Amerika, Europa und Australien. Auch in Berlin gibt es eine Sikh – Gemeinde, in der Brandenburgischen Straße 24. 

[3] Bei der Volkszählung von 1881 gab es in ganz Indien knapp 1,9 Mio. Sikhs. Im gesamten Punjab lebten damals 56 % Muslime, 

In den 80er Jahren des 20. Jhdts. lebten im Punjab ca. 10 Mio. Sikhs, ca. 6 Mio. Hindus und jeweils knapp 0,2 Mio. Muslime und Christen. Die Sikhs waren hier v.a. Bauern. In den Städten waren die Sikhs von daher eine Minderheit, auf dem Lande dagegen die Mehrheit. Allerdings verschoben sich die Mehrheitsverhältnisse auch im Punjab langsam, erstens durch Zuwanderung von Hindus und zweitens durch die niedrigeren Geburtenraten der Sikhs. 

Z.T. scheinen einige der extremistischen Sikh–Gruppen eine zynische Strategie verfolgt zu haben: sie rechneten mit sikhfeindlichen Pogromen in anderen Unionsstaaten, sie hofften sogar darauf, weil so dortige Sikhs zu einer Umsiedlung in den Punjab genötigt werden würden – ein Schritt hin zum erhofften „Khalistan“ (vgl. Malhorta, S. 691, a.a.O.), 

[4] Offiziell wurde „Khalistan“ nur selten gefordert, da Separatismus als Hochverrat bestraft wurde (vgl. „Spiegel“, Nr. 43/1978, S. 194). Die indische Verfassung verbietet jede Sezession. Im Mai 1982 wurden wegen „Sezessionismus“ zwei Organisationen der Khalistan–Anhänger verboten („Dal Khalsa“ und „National Council of Khalistan“). 

[5] Er stammte aus dem Dorf Bhindranwale im Punjab, der Namenszusatz „Sant“ bezeichnet einen Sektenführer der Sikhs.  

[6] Die Nirankari (von „nirankar“ = „formlos“, wie die Existenz Gottes) sind eine heterodoxe synkretistische Abspaltung von den Sikhs. Gegründet wurde sie von Baba Dayal Das (1783 - 1855), einem Goldhändler, der aus einer Gemeinde in Peschawar stammte, die zur Hälfte aus Sikhs, zur Hälfte aus Hindus bestand.

Im Gegensatz zur Orthodoxie des Sikhismus sind sie bis heute unter der Führung eines lebenden Gurus (des Sad Guru). Dagegen betrachten die orthodoxen Sikhs nach dem Ableben des 10. Gurus, Gobind Singh Ji, das Heilige Buch (den „Guru Granth Sahib“) als ewigen schriftlichen Guru des Sikhismus. Der lebende Guru (Dayal das und seine Nachfolger bis heute) ist für die Nirankari haben bis heute die oberste geistliche Instanz, ein Spender und Vermittler göttlicher Einsichten. 

Die Gotteshäuser der Nirankaris werden als Satsang Bhawan ("Versammlungshalle") bezeichnet und stehen allen Menschen - unabhängig von Hautfarbe, Kaste oder Religion - offen. In allen Bhawan steht auf einer erhöhten Plattform ein weißer Sessel (weiß ist Farbe der Nirankaris), der während der Gottesdienste von Gläubigen als Repräsentant des Sad Guru eingenommen wird. Dieser segnet die Gläubigen (in Vertretung des Gurus) und predigt. In der Sicht der Nirankaris ist der Sad Guru allgegenwärtig und seinem Vertreter muß dieselbe Ehrerbietung (tiefe Verbeugung bzw. Niederwerfung) erwiesen werden, wie dem Sad Guru selber.

Im Gegensatz zu den orthodoxen Sikhs verzichten die Nirankari auf die traditionellen Vorschriften hinsichtlich der Kleidung und der Haartracht. 

Die Nirankari sollen ca. 6 Mio. Anhänger zählen, sie sind über ganz Indien und die ganze Welt verstreut. Orthodoxe Sikhs betrachten sie vielfach als Ketzer, als „abtrünnige Gotteslästerer und Zersetzer“ (vgl. „IndoAsia“, Heft ¾ , 1981, S. 136). 

[7] Das Akal Takht (Punjabi: „Thron des Unsterblichen, Gottes“, "Akal" bedeutet „der Zeitlose“, „Gott“ und "Takhat" bedeutet im Persischen "Thron") ist eine Art oberster Gerichtshof, die höchste politische Institution der Sikhs. Das Akal Takhat ist ein eindrucksvolles Gebäude  gegenüber dem Goldenen Tempel(Harimandir) in Amritsar gelegen. Das Akal Takht wurde 1606 von dem 5. Guru Hargobind als der Ort gegründet wurde, an dem die geistlichen und weltlichen Belange der Sikh – Gemeinde behandelt werden sollten.  

Am 4. Juni 1984 zerstörte die Indische Armee mit der „Operation Blauer Stern“ nicht nur große Teile des Gebäudes, sie verletzte auch die von gläubigen Sikhs gesehene Heiligkeit des Akal Takht (vgl. Abb. unten).

In dem Akal Takht werden eine ganze Reihe von Kunstwerken aufbewahrt, u a. auch die reliquienartig verehrten Schwerter von Guru Hargobind und Guru Gobind Singh (vgl. Patwant Singh, a.a.O.). 

[8] Es gab allerdings auch einige bedeutsame politisch – ökonomische Faktoren im Hintergrund des Separatismus. Insbesondere ging es um die Nutzungsrechte des Wassers der Flüsse, die den Punjab – heute die Kornkammer Indiens - durchqueren. Die Wasserressourcen waren zur Bewässerung für die Landwirtschaft von ausschlaggebender Wichtigkeit. Die intensive Bodennutzung im Punjab und die hohen Hektarerträge wären ohne die Bewässerung nicht möglich. Der Punjab weist einen hohen Mechanisierungsgrad in der Landwirtschaft auf und den höchsten Lebensstandard innerhalb der Indischen Union.

Der Punjab war schon in den 70er Jahren eine Art indisches Wirtschaftswunderland, was auch eine religiöse Komponente hatte: Nach Vorstellung der Sikhs schlägt sich Gottes Wohlwollen in wirtschaftlichem Erfolg nieder.   

Gefordert wurde eine Territorialreform, die Punjabi – sprechenden Gebiete der Nachbarstaaten sollten an den Punjab angegliedert werden. Auch schlugen einige Sikhs vor, dem Goldenen Tempel in Amritsar eine vatikanähnlichen Status zu verleihen. 

Ein anderer Streitpunkt war die Zukunft der nach Plänen von Le Corbusier u.a. zu Beginn der 50er Jahre am Fuße des Himalaja errichtete Stadt Chandigarh (auch: Tschandigarh), als neue Hauptstadt des Punjab, anstelle des nun pakistanischen Lahore. Bis heute ist Chandigarh Hauptstadt beider Bundesstaaten, sowohl des Punjab als auch von Haryana ist. Gleichzeitig aber ist Chandigarh auch ein eigenes indisches Bundesterritorium.

Viele Anhänger von „Khalistan“ glaubten allein, ohne die Union ökonomisch einen höheren Standard erreichen zu können.

Zudem scheint es charakteristisch, dass die Radikalisierung erst erfolgte, nachdem berechtigte Forderungen nach mehr kultureller und wirtschaftlicher Autonomie des Punjab von der Unionsregierung ignoriert wurden (vgl. Braßel, S. 1430, a.a.O.). Autonomie-Forderungen wurde in Delhi immer mit Misstrauen begegnet, da hinter ihnen stets Separatismus vermutet wurde. Die Indische Union ist ein nur „quasi – föderaler“ Staat, mit starken Steuerungsmöglichkeiten der Zentralregierung.

[9] Es fragt sich allerdings, ob nicht schon zuvor das Heiligtum entweiht war, - durch dien Missbrauch als Hauptquartier der gewalttätigen Separatisten, die dort sehr wahrscheinlich Morde und Terrorakte planten.

[10] (Ost-) Punjabi – eine indogermanische Sprache – wurde nach der indischen Volkszählung von 1994 von 24,7 Millionen Menschen als Muttersprache gesprochen, vornehmlich im Punjab. Geschrieben wird die Sprache mit den Devanagari – Lettern. Aber auch ca. die Hälfte der ungefähr 155 Millionen Pakistaner sprechen (West-) Punjabi als Muttersprache (geschrieben mit arabischen Lettern).

[11] Es handelt sich dabei u.a um  Jagdish Tytler und Sajjan Kumar. Jagdish Tytler (* 1944, im heutigen Pakistan) ist einer dieser umstrittenen Politiker der Kongresspartei. Er war mehrfach Parlamentarier und Unionsminister. Der offizielle Bericht der Nanavati – Kommission der indischen Regierung zur Untersuchung der Anti – Sikh – Pogrome von 1984 stellte fest, dass Tytler „sehr wahrscheinlich“ bei der Organisierung der Pogrome die Hand im Spiele hatte. Die indische Regierung entschied allerdings, ihn nicht zu verfolgen, da die konkreten Hinweise zu gering wären. 2004 wurde Tytler wieder ins Parlament gewählt. Im Dezember 2007 wurde wegen neuer belastender Aussagen eine neue Untersuchung gegen Tytler in die Wege geleitet. Ähnlich gelagert ist auch der Fall des Kongressabgeordneten Sajjan Kumar (* 1945). 

 

Goldener Tempel in Amritsar
Goldener Tempel in Amritsar

Abb. Das Akal Takht in Amritsar beim Sonnenaufgang