Botticelli: Augustinus
Botticelli: Augustinus

Sandro Botticelli: "Der Heilige Augustinus bei seinen Studien" (1480), Fresko in der Kirche Ognissanti / Florenz

 

Botticelli erlaubte sich bei diesem Bild einen Scherz, der jedoch gut versteckt ist: Auf dem Bücherbord Augustinus‘ steht aufgeschlagen ein großer Codex mit den Lehrsätzen des Pythagoras. Mitten in den Text, markiert durch ein Kreuz am Rand, hatte Botticelli einen Reim eingefügt: „Dov’è San Martino? È scapato. E dove è andato? È fuori della Porta al Prato“. – Wo ist der heilige Martin? Er ist abgehauen! Wohin ist er gegangen? Hinaus durch die Porta al Prato! (vgl. Rehm, S. 8, a.a.O.). 

Joachim Schäfer - <a href="www.heiligenlexikon.de">Ökumenisches Heiligenlexikon</

28. August: (Todes-) Tag des Hl. Aurelius Augustinus (354– 430), er gilt als einer der vier lateinischen Kirchenväter (die vier „maiores doctores“, mit Ambrosius, Gregor und Hieronymus)

 

Augustinus wurde im Jahre 354 in Tagaste, in der afrikanischen Provinz Numidien, in einer nicht wohlhabenden römischen Provinzialfamilie geboren. Vermutlich war die Familie berberischer Herkunft und im Jahre 212 unter Caracalla als römische Bürger naturalisiert worden (vgl. Marrou, S. 11, a.a.O.).

Der Vater, Patricius, ein kleiner Landbesitzer,war „Heide“, die Mutter, die Heilige Monica, Christin. Sie spielte in dem Leben Augustins mehrfach eine bedeutende Rolle.

Der junge Augustinus studierte in Karthago sowohl das Trivium (Grammatik, Dialektik und Rhetorik) als auch das Quadruvium (Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik). Sein Griechisch blieb allem Anschein nach nur mäßig, vieles spricht dafür, dass er weder das klassische griechische Erbe als auch die theologisch – philosophische griechische Diskussion seiner Zeit gut kannte.

Diese anzunehmenden griechischen Bildungsmängel gelten allerdings nicht für das klassische lateinische Erbe, wie Cicero oder Vergil.

In Karthago schloss sich der junge Augustinus – sehr zum Leidwesen seiner Mutter – dem Manichäismus an, den er später erbittert bekämpfte. Er genoss das Leben, lebte mit einer (nicht standesgemäßen) Frau zusammen, hatte mit ihr zusammen auch einen Sohn, Deodatus.

Als 29-jähriger Suchender begegnete Augustinus im Jahre 383 in Karthago „… dem großen Mann der afrikanischen Manichäer, Faustus von Mileve“ (ca. 350 – ca. 400; vgl. Marrou, S. 24, a.a.O.), war aber enttäuscht von ihm.

 

Viele Jahre später, in den 397 begonnenen „Bekenntnissen“ berichtete Augustinus von der enttäuschenden Begegnung mit Faustus und führte aus: Durch sie habe sich der „Fallstrick des Todes“ – der Manichäismus – „etwas zu lockern begonnen“ (Augustinus, Bekenntnisse, V, 7; S. 95, a.a.O.). 

 

Als Rhetor bzw. Rhetoriklehrer ging Augustinus 383 erst nach Rom, dann ein Jahr später nach Mediolanum (dem heutigen Mailand). Dort hörte er – sehr beeindruckt – Predigten des ð Hl. Ambrosius, die ihn zu inneren Auseinandersetzungen anregen. Berühmt ist die Episode in seinen 397 begonnenen „Bekenntnissen“ („Confessiones“), die zu seiner Bekehrung geführt haben soll: Unter einem Feigenbaum liegend, hörte er eine Stimme, die zu ihm sagte: „Tolle, lege“ (Nimm und lies): „Doch siehe, plötzlich vernahm ich aus dem Nachbarhaus eine singende Stimme, und ich verstand die Worte, und ich weiß nicht, war es ein Knabe oder ein Mädchen, das sie oftmals wiederholte: ‚Nimm und lies! Nimm und lies!’….. Von Antonius hatte ich nämlich gehört, eine zufällige Lesung in der Heiligen Schrift habe ihn aufgerüttelt, so als sei es an ihn persönlich gerichtet….“ (Augustinus, Bekenntnisse, VIII, 12 (29), S. 177, a.a.O.).  Augustinus schlug das Buch der Römerbriefe des Paulus auf und las: „.. Lasset uns ehrbar wandeln als am Tage, nicht in Fressen und Saufen nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid; sondern ziehet an den Herrn Jesus Christus und wartet des Leibes, doch also, dass er nicht geil werde“ (Röm 13, 13-14).

Mit seinem Sohn ließ sich Augustinus taufen und kehrte 387 nach Karthago zurück.

Im Jahre 391 wurde er Priester, 394 zum Bischof der bedeutenden afrikanischen Provinzstadt Hippo. Im Jahre 430, während der Eroberung Afrikas durch die Wandalen, die Stadt Hippo wurde von ihnen belagert, starb Augustinus.

Augustinus Schriften waren bereits zu seinen Lebzeiten weit verbreitet und erzeugten sowohl eine große Zahl zum Teil begeisterter Anhänger als auch scharfe Gegner. Es ist überliefert, dass einige seiner Briefe – durch die Indiskretion  der Boten – „…. Unterwegs abgefangen, kopiert und von Neugierigen oder Liebhabern verbreitet wurden“ (vgl. Marrou, S. 128, a.a.O.).

Berühmt ist die Legende um Augustinus und den Knaben am Meer. Als Bischof der Überlieferung nach am Meeresstrand entlang ging, um über die Dreifaltigkeit Gottes nachzudenken, traf er auf einen Knaben. Dieser schüttete mit einer Muschel Meerwasser in eine kleine selbst gegrabene Grube. Als der Heilige den Jungen nach dem Sinn seines Tuns fragte, bekam er zur Antwort: „Ich schöpfe das Meer in diese Grube.“ Nachdem Augustinus ihn auf die Unerreichbarkeit seines Vorhabens hingewiesen hatte, entgegnete der Knabe: „Es wäre für mich leichter, das Meer in dieses Loch zu gießen, als für Dich, auch nur den kleinsten Teil des Dreifaltigkeitsmysteriums zu erklären“ (zit. n. Marrou, S. 126, a.a.O.).Der Knabe war – der Legende nach - ein göttlicher Bote gewesen. Die Muschel aber wurde zu einem  Symbol für die Unergründlichkeit der Gottheit.

Diese vermutlich erst im 13./15. Jhdt. entstandene Legende wurde verschiedenen Heiligen zugeschrieben, und Henri Marrou meinte, sie passe „….. zu Augustinus besonders schlecht“  (vgl. Marrou, S. 126, a.a.O.). Denn Augustinus setzte sich in einer ganzen gesonderten Schrift mit der Dreieinigkeit auseinander („De Trinitate“), desgleichen auch in einigen der erhaltenen Briefe.

Darüber hinaus forderte Augustinus die vernunftmäßige Auseinandersetzung und Durchdringung des Glaubens, zwischen dem Glauben und der Vernunft sah er keinen Widerspruch. In einem seiner Briefe schrieb Augustinus: „ Denn es ist ausgeschlossen, dass Gott in uns den Vorzug hasse, den er bei der Schöpfung uns vor den Tieren gegeben hat. Ich wiederhole: es ist ausgeschlossen, dass unser Glaube den Verzicht auf vernunftgemäße Erklärung oder vernunftgemäßes Forschen fordert; denn wir könnten auch nicht glauben, wenn wir nicht vernunftbegabte Seelen hätten“ (Augustinus, zit. n. Marrou, S. 127, a.a.O.).

 

Ein problematischer, lang andauernder Einfluss ging aus von Augustinus negativer, misstrauischer Haltung dem „weltlichen Wissen“ gegenüber.

In den „Bekenntnissen“ schrieb Augustinus im V. Buch über die „Bücher der weltlichen Weisheit“: „Herr, Gott der Wahrheit, kann Dir einer schon deshalb gefallen, wenn er solches Wissen besitzt? Ein Mensch, der dies alles weiß, Dich aber nicht kennt, ist doch nicht glückselig. Dagegen hat der das wahre Glück, der Dich kennt, auch wenn er von den anderen Dingen allen keine Ahnung hat. Wer Dich kennt und all das andere zugleich, ist nicht deshalb glücklicher, weil das letztere zutrifft, sondern einzig und allein wegen des ersteren…“ (Augustinus, Bekenntnisse, Buch V, 4, 7, S. 89, a.a.O.). Für Augustinus ist „weltliche“ Wissenschaft „…. Nur unnütze und sündige Neugier, eine traurige Rückwendung der fleischlichen Begier“ (vgl. Marrou, S. 64, a.a.O.).  

 

Augustinus griff in mehrere heftige theologische Debatten seiner Zeit ein, in denen vielfach versucht wurde, den Anderen der Häresie zu überführen. Insbesondere beschäftigte sich Augustinus mit der Bedeutung der Gnade Gottes („Gnadenwahl“), der Rechtfertigungslehre, der Prädestination und dem freien Willen, der Zwei–Schwerter–Lehre und der Vorstellung von der Erbsünde.  

Schon in der Spätantike gab es unter den christlichen Kirchenvätern Debatten zwischen Buchstabengläubigen und „…Vertretern einer eher elastischen Hermeneutik, wie sie Augustinus vertrat“ (vgl. Eco, 1998, S. 102, a.a.O.).

 

Als bis heute verheerend erwies sich die Interpretation des „Compelle intrare“ = (lat.) “Nötige (sie) hereinzukommen“, aus Luk. 14, 23. durch Augustinus. Hier handelt es sich um ein dem „Gleichnis vom großen Gastmahl(Lukas 14, 16-24) entnommenes Zitat: 

„Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu. Und sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, zu sagen den Geladenen: ‚Kommt, denn es ist alles bereit! Und sie fingen an, alle nacheinander, sich zu entschuldigen…. Und der Herr sprach zu dem Knechte: Gehe aus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen [‚compelle intrare], auf dass mein Haus voll werde. Ich sage euch aber, dass der Männer keiner, die geladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.“

Augustinus verstand diese Aussage als Aufforderung zur Gewaltanwendung, als ein Beleg für die Billigung von Gewaltmaßnahmen gegen „Häretiker“. Er schrieb dazu in einem seiner Briefe:  „Wenn deshalb die Kirche kraft der Gewalt, die ihr Gott zu gegebener Zeit übertragen hat, mit Hilfe der religiösen und gläubigen Könige jene in ihren Schoß einzutreten zwingt, die sie auf den Wegen und an den Hecken findet, das heißt unter den Schismen und Häresien, so sollen sich jene nicht beklagen, daß man sie gezwungen hat, sondern sollen schauen, wohin man sie treibt.“ (Epistula 185, 24).

Es entsprach anscheinend Augustinus’ Überzeugung, dass es für viele besser sei, unter dem Druck der Furcht oder, wenn nötig, der Strafe vom Irrtum abzulassen, als unerlöst zu sterben. Der Zwang sei hier etwas Wohltuendes und Lobenswertes.

Bis heute wird das „Compelle intrare“ (missbräuchlich??)  zitiert, um die gewaltsame Bekehrung zu einer Religionsgesellschaft zu rechtfertigen.  

 

Starken Einfluss übte Augustin auch auf das entstehende Mönchswesen im Abendland aus, wobei die „Regula Santi Augustini“, die augustinische Ordensregel wahrscheinlich nicht von seiner Hand stammte. Aber diese älteste abendländische Ordensregel ging um 388/393 aus seinem Umkreis hervor.

Nach seiner Rückkehr aus Italien nach Afrika lebte Augustinus mit Gleichgesinnten in eienr klsoterähnlichen Gemeinschaft. Auch später wandelte er das bischöfliche Haus in Hippo in ein Klaoster um, in dem alle Priester der Stadt gemeinsam wohnen sollten (vgl. Lanczkowski, S. 49, a.a.O.).

Gekennzeichnet waren die augustinischen Regeln durch das gemeinschaftliche Leben („Koinobion“), durch Armut, Bruderliebe, Gehorsam, Weltabsage, Keuschheit, Demut, Diskretion, Arbeit, Gebete, Schriftlesungen und apostolisches Wirken.

Bald entwickelten sich Gemeinschaften von Regularkanonikern, die ihr Leben und das ihrer Gemeinschaft der Ordensregel des Augustin unterworfen hatten.

 

Augustinus formte zuerst eine autonome, abendländisch – lateinische Theologie, die oft als Augustinismus bezeichnet wurde. Wenige Monate nach Augustinus Tod am 28. August 430 hielt Papst Coelestin I. (Pont. 422 – 432) eine Lobrede auf den Verstorbenen: „Das Leben und die Verdienste Augustins, heiligen Angedenkens, haben ihn immer in unserer Gemeinschaft gehalten, ohne dass auch nur jemals ein Schatten von Verdacht ihn gestreift hätte. Wir erinnern uns seiner als eines Menschen von so großem Wissen, dass er von meinen Vorgängern immer zu den größten Meistern gezählt wurde“ (zit. n. Marrou, S. 130, a.a.O.). Henri Marrou sieht in Augustin den „Vater des Abendlandes“, nicht in Vergil (vgl. Marrou, S. 131, a.a.O.).

Friedrich Nietzsche urteilte in seinem Nachlass (1882 – 1888) recht herb: „Es ist eine Sache schlechten Geschmacks unter allen Umständen, viel zu bitten statt viel zu geben: die Mischung demütiger Servilität mit einer hoffärtig – pöbelhaften Zudringlichkeit, mit der sich z.B. der heilige Augustin in seinen Confessionen vor Gott wälzt, erinnert daran, dass der Mensch vielleicht nicht allein unter den Tieren das religiöse Gefühl hat. Der Hund hat für den Menschen ein ähnliches ‚religiöses Gefühl’“ (zit. n. Marrou, S. 164, a.a.O.). 

 

Ikonographisch wurde Augustinus mit v.a. zwei Attríbuten dargestellt: dem aufgeschlagenen Buch (als Symbol der Weisheit und der Gelehrsamkeit sowie in Bezug auf die Erzählung seiner Konversion) und dem flammenden (zuweilen pfeildurchbohrten) Herzen (als Symbol der Liebe). 

 

Der deutsche Rokoko - Komponist Johann Adolf Hasse (1699 – 1783, in Venedig) schrieb ein Oratorium „La conservione di Sant’ Agostino“ („Die Bekehrung des Hl. Augustinus“) nach einem Libretto Maria Antonia Walpurgis von Sachsen (Uraufführung in Dresden 1750). Mit diesem Oratorium wurde das Schloßtheater im Neuen Palais zu Potsdam eingeweiht. 

Eine deutsche Bauernregel zum Tag des Hl. Augustin lautet:

 

                                                               „Um Augustin

                                                               ziehen die Wetter hin“

 

(festliegend nach dem Gregorianischen Kalender)

 

© Christian Meyer

 

Im Wintersemester 1969/70  erstellte ich an der Pädagogischen Hochschule Berlin ein Kurzreferat: „Aurelius Augustinus“ im Seminar „Kultur- und Geistesgeschichte des Hochmittelalters“ von Prof. Christian Friese (1902 – 1973)

 

Christian Meyer

 

I.                    Biographie

 

Augustin wurde 353 in Thagaste, in der römischen Provinz Numidien geboren. Er war der Sohn eines heidnischen Vaters und einer christlichen Mutter, der später heiliggesprochenen Monnica, die in christlich erzog. Die ethnische Abkunft Augustins ist unklar: der Name des Vaters Patricius deutet auf eine römische Kolonistenfamilie hin, „Augustinus“ der Kaiserliche weist auf Beziehungen zur kaiserlichen Beamtenschaft hin. Henri Marrou (1, S. 11) dagegen ist der Ansicht, dass Augustin ein reinrassiger, latinisierter Berber gewesen sei.

Augustin stammte aus relativ bescheidenen sozialen Verhältnissen (im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Kirchenvätern: Ambrosius war Sohn eines praefectus praetorio, eines Innenministers; Grüße aus Chrysostomos Sohn eines magister militum, eines kommandierenden Generals). Augustins Vater war ein kleiner Landeigentümer, der von der kollektiven Steuerverantwortlichkeit der curiales erdrückt wurde (nach Marrou Kleinbürgertum auf dem Wege der Proletarisierung). Augustin sollte nach dem Willen des Vaters Rechtsanwalt werden, was nur unter größten finanziellen Opfern möglich war. Er musste aufgrund von Geldmangel später sein Studium für ein Jahr unterbrechen: Studium in Madaura, dann in Karthago. Seine Studiengebiete waren 1. Grammatik, 2. literarische Bildung, v. a. die lateinischen Klassiker, Vergil, Cicero, Terenz, weniger die griechische Literatur (in dieser Zeit beginnt die Kluft zwischen dem lateinischen Westen und dem griechischen Osten), 3. Rhetorik, die Kunst zu reden; für die Antike bedeutete dies auch die Kunst zu schreiben, da man allgemein laut las. Auch ist zu beachten, dass die Rhetorik in dieser Zeit noch mit keinem negativen Werturteil behaftet war.

Augustin erhielt keine systematische philosophische Ausbildung, er war philosophischer Autodidakt. Als Augustin 19 Jahre alt war, starb sein Vater, er selbst wurde Lehrer in Karthago.

Viel wurde über sein widerliches Studentenleben gemunkelt: er hatte mit 17 eine Geliebte, die ihm einen Sohn gebar. Doch abgesehen von diesen „Fleischessünden“ bleibt wenig, z. B. der berühmte Birnendiebstahl im Garten eines Nachbarn.

In Karthago schließt sich Augustin den Manichäern an, einer synkretistischen Religion, die die auf dem persischen Propheten Mani zurückgeht. Manis Lehre war scharf dualistisch, die Erlösung vom Bösen sollte durch Erkenntnis, Fasten und Gebet erreicht werden. Die Manichäer übten heftige Bibelkritik und waren lange Zeit scharfe Konkurrenten des aufstrebenden Christentums.

Gegen den Willen der Mutter ging Augustin 383 nach Rom, wo er Lehrer der Rhetorik wurde. In diese Zeit fällt seine Beschäftigung mit den neuplatonischen Schriften, insbesondere mit Plotin. Später schrieb Augustin über diese Phase: „Die Platoniker sahen zwar die Wahrheit – fest, unbeweglich und unveränderlich, die Urformen aller geschaffenen Dinge enthaltend – aber sie sahen sie nur von ferne, und deshalb konnten sie nicht den Weg finden, auf dem sie einen so großen, unsagbar beseligenden Besitz erlangen konnten“ (zit. n. Dawson, 4, S. 50/51).  

Manichäische Freunde erwirken 384 einen Ruf nach Mailand, wohin ihm auch die Mutter folgt. Hier vollzieht sich unter dem Einfluss der Predigten des Ambrosius die Bekehrung zum Christentum: das berühmte Gartenerlebnis, bei dem ihm eine himmlische Stimme „Tolle, lege“ ( „Nimm und lies“) zurief. In der aufgeschlagenen Bibel fand er das Pauluswort: „Nicht in Schmausereien und Trinkgelagen, nicht in Schlafkammern und Unzucht, nicht in Zank und Streit sucht euer Reihe, sondern zieht den Herrn Jesus Christus an, und pflegt nicht das Fleisch zur Erregung eurer Lüste“. Augustinus gibt das Lehramt auf, lässt sich taufen und kehrt nach Afrika zurück. Mit gleichgesinnten Freunden gründet er in seiner Heimatstadt eine Einsiedelei. Im Jahre 389 wird Augustin gegen seinen Willen als Diakon nach Hippo Regius berufen, wo er 396 zum Bischof aufsteigt. In die folgende Zeit bis zu seinem Tode 430 fällt seine hauptsächliche literarische Tätigkeit. Während der Belagerung durch die Vandalen stirbt er 67 -jährig.

 

II.                  Hauptwerke

 

Augustin besaß eine ungewöhnliche Schaffenskraft. Insgesamt sind uns 232 Bücher überliefert worden. Bei den meisten seiner Schriften handelt es sich um Streitschriften gegen Heiden, Arianer, Donatisten und vor allem gegen die Pelagianer. Seine Hauptwerke sind:

a.)     Vom Gottesstaat

b.)     Über die Dreieinigkeit

c.)      Über die Freiheit des Willens

d.)     Die Bekenntnisse (vgl. 2)

zu a.) Diese Schrift kann man als das eigentliche Hauptwerk Augustins ansehen. Ursprünglich wurde der „Gottesstaat“ nun als Antwort auf die Eroberung Roms durch Alarich geschrieben, und die dabei aufgetauchte Frage, ob nicht der Fall Roms durch die Aufgabe der alten Götter, das hieße aber durch die Annahme des Christentums, verschuldet sei. Dieser Auffassung tritt Augustin in den ersten fünf der insgesamt 22 Bücher entgegen. Er ist der Ansicht, dass Rom durch Selbstsucht und Sittenlosigkeit gefallen sei. Erst die folgenden Bücher des „Gottesstaates“ werden von eminenter Wichtigkeit, da sie den ersten Ansatz einer Art Geschichtsphilosophie oder besser Geschichtstheologie beinhalten. Den Griechen war die Geschichte ein Kreislauf, innerhalb dessen die Staaten in immer gleichen Gestalten wiederkehrten. Erst mit dem Christentum erfährt das Bewusstseinsverhältnis Mensch – Geschichte eigenen Wandel. Das Christentum kann als eine das Geschichtsbewusstsein fördernde Religion angesehen werden, da es einerseits auf einem einmaligen historischen Ereignis beruht, andererseits eschatologisch in die Zukunft weist. Augustin hat die“ gottlose Lehre von den nutzlosen Kreisläufen“ der heidnischen Philosophie aus einem christlichen Blickwinkel heraus kritisiert. Er interpretiert das irdische Geschehen ausschließlich in Hinblick auf die göttliche Heilstat. Hinter den irdischen Begebenheiten sieht er das eigentliche Geschehen in einen ununterbrochenen Kampf zweier (Rudimente des manichäischen Dualismus) unsichtbarer Reiche: der civitas dei und der civitas terrena. Dieser Kampf wird nicht in den Kriegen und Revolutionen der Staaten ausgefochten, sondern in den Herzen, i. e. Im Bewusstsein der Menschen, einer Auffassung die mir modern erscheint. Am Ende dieses Kampfes steht das „Eschaton“, die Endzeit mit dem jüngsten Gericht, dem Sieg der civitas die und der Niederlage der civitas terrena, deren ewiger Verdammung und die Auferstehung sowie das ewige Leben der Siegreichen. In allem diesem Geschehen ist es allein Gott, der handelt. Die Menschen haben nur durch den Kampf des Glaubens Anteil an den göttlichen Heilsgeschehen.

Die weltlichen Ereignisse haben für Augustin dennoch nicht jeglichen Sinn verloren. Sie haben ihren Sinn aber nur insofern, als Gott sie den Menschen als Prüfungen und Strafen auferlegt, um sie zur Besinnung zu bringen (wobei allerdings in Anbetracht der Allwissenheit Gottes die Frage offen bleibt, wozu Gottprüfungen oder Versuchungen benötigt).

Der Einfluss Augustins setzte sich im 5. und 6. Jahrhundert im ganzen christlichen Westen durch und wurde zu einem bestimmenden geistigen Erbgut des ganzen Mittelalters.“ Der Siegeszug der civitas dei durch die abendländische Christenheit ist fast beispiellos gewesen; man wird wohl sagen dürfen, dass außer Platon kein Schriftsteller auf die Gedanken der Kultur Menschheit so bestimmend eingewirkt hat wie Augustin durch dieses Werk“ (3, zit. n. H. Schmidt, Philosophisches Wörterbuch).

 

ad b.) In dieser Schrift beseitigt Augustinus die letzten Reste des arianischen Gedankens nun der Unterordnung des Sohnes unter den Vater. Für ihn existiert die „göttliche Substanz“ in allen drei Personen, im Vater, Sohn und dem Heiligen Geist und in jeder existiert sie ganz.

 

ad c.) Diese Schrift ist die Antwort auf die Häresie des Pelagius, eines britischen Mönches, der zu Augustins Lebzeiten vieler Anhänger hatte. Pelagius widersprach der Theorie der Erbsünde, seiner Ansicht nach werden die Menschen sündlos und unschuldig geboren. Folgen Sie den Lehren Christi, so können sie sich selbst durch ihre guten Taten die ewige Seligkeit erwirken. Dieser Auffassung trat Augustin entschieden entgegen. Er akzeptierte die Theorie der Erbsünde und erweiterte sie durch seine Prädestinationslehre. Nach Augustin sind die Menschen nicht mehr frei, sondern müssen seit Adam ihrer Natur nach sündigen und sind dem Tode – der nach Paulus der Sünde Sold ist – verfallen. Ein Teil der Menschen ist nun durch Gottes unerfindlichen Ratschluss zur Seligkeit bestimmt, ein anderer zur ewigen Verdammnis. Die Kirche hat Augustins Prädestinationslehre später abgemildert: Gott hat nicht von vornherein entschieden, sondern weiß nur die endliche Entscheidung im Voraus. (Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch die Frage der Theodizee und Augustins Stellung hierzu).

 

ad d.) Die Confessiones stellen eine Autobiographie Augustins bis zu seiner Bekehrung zum Christentum dar. Erwin Laaths nennt die Confessiones das erste moderne Buch des europäischen Schrifttums, weil hier zum ersten Mal ein Individuum sich selbst, sein seelisches Leben und seine existenziellen Schwierigkeiten beispielhaft darstellt (vgl. 5, S. 157). Das ganze Buch wird durchzogen von der Harmonie des Ruhens im Christentum.

Es fällt auf, dass erst seit der Renaissance wieder wesentliche Autobiographien geschrieben wurden, wohl eine Folge der mittelalterlichen Unterdrückung der menschlichen Individualität.

 

III.               Kritische Würdigung:

 

Die überragende Stellung, die Augustinus innerhalb der Patristik einnimmt, ist leicht daran zu ersehen, dass mit Augustin die dogmenbildende Tätigkeit für Jahrhunderte relativ abgeschlossen war. Was bin innerhalb der Theologie bis zur Scholastik folgte waren nahezu ausschließlich Bewahrung und Kommentierung des Vorhandenen. Die einzigen Ziele, die für Augustin geistiger Anstrengung wert sind, sind Gotteserkenntnis und Gottesliebe. Alles andere ist nur totes Wissen und unnütze Neugierde. So bleiben für Augustin die Naturwissenschaften oder die belletristische Literatur überflüssig und sinnlos. „Wer alles dies weiß und dich nicht kennt, wenn er auch von nichts anderem weiß. Und wer beides kennt dich und das andere, wird von diesem nicht glücklicher als von dir allein“ (zit. n. 4, S. 51).

 

IV.                Literatur

 

1.       Henri Marrou: „Augustinus in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten“, Rowohlts Monographien, Hamburg 1958

2.       Aurelius Augustinus: „Bekenntnisse“, Goldmann, München 1963

3.       H. J. Störig: „Kleine Geschichte der Philosophie“, Knaur, München 1963

4.       Christopher Dawson: „Die Gestaltung des Abendlandes – Eine Einführung in die Geschichte der abendländischen Einheit“, Fischer, Frankfurt am Main/Hamburg, März 1961

5.       Erwin Laaths: „Geschichte der Weltliteratur“, 2 Bde., Knaur, München 1963  

 

V.                  Stilprobe:  Bekenntnisse I, Buch 1.

 

„Groß bist Du, Herr, und hoch zu rühmen“ [1]. „Groß ist Deine Macht, Deine Weisheit ist ohne Grenzen“[2]. Und ein Mensch ist es, der dein Lob verkünden will, ein winziger Teil deiner Schöpfung, der Mensch, der wandelt unter der Last seiner Sterblichkeit „und unter dem Zeugnis seiner Sünde und unter dem Zeugnis, dass du dich dem stolzen widersetzest“ [3]. Und doch unternimmt es der Mensch, Dich zu preisen, jenes winzige Etwas Deiner Schöpfung. Du selbst ermunterst ihn, dass es ihm eine Freude ist, dich zu Preisen; denn Du hast uns die Richtung gegeben hin zu Dir, und keine Ruhe hat unser Herz, bis es Ruhe findet in Dir.

Gib, Herr, dass ich es weiß und verstehe, ob ich Dich erst rufen und dann preisen soll, ob ich Dich erst verstehen und dann nach Dir rufen soll! Aber wer ruft Dich schon, ohne dass er Dich kennt?

In seinem Unwissen könnte er ja etwas anderes anrufen statt Deiner; oder ruft man vielmehr zu Dir, dass man Dich erkenne? „Wie aber sollen Sie zudem rufen, an denen sie nicht glauben? Oder wie könnten sie glauben, ohne dass einer von Dir Kunde gibt?“ [4] „Loben werden den Herren alle, die ihn suchen“[5]; denn wer ihn sucht, der findet ihn, und wer ihn findet, wird sein Lob verkünden.

Herr, suchen will ich Dich, indem ich nach Dir rufe, und rufen will ich Dich, in dem ich an Dich glaube; denn die Kunde von dir erreicht unser Ohr. Herr, mein Glaube ist es der zu Dir ruft, der glaube, den Du mir verlieren, den Du mir eingehaucht hast, da Dein Sohn Mensch geworden ist und da Dein Name verkündet ward (2, S. 15).

 



[1] Psalter 144, 3

[2] Psalter 146, 5

[3] Erster Brief Petri, 5, 5 ; Jakobus 4, 6

[4] Römer 10, 14

[5] Psalter 21, 27