Martyrium der Ursula
Martyrium der Ursula

Abb.: „Das Maryrium der Hl. Ursula“, 1499, Holzschnitt; Quelle: Stadtmuseum Köln; in dem Schiff erkennt man u.a. den "Papst" Cyriakus.

Detail aus Carpaccios telero
Detail aus Carpaccios telero

Detail aus „Die Audienz der englischen Gesandten“ von Vittore Carpaccio: Ein Schreiber kopiert die Antwort des Königs auf das Heiratsbegehren; Das Bild befindet sich heute in den Gallerie dell’Accademia, Venedig; Photo: Christian Meyer, Oktober 2000.

 

Statue der Hl. Ursula
Statue der Hl. Ursula

 

St. Ursula als Schutzmantelheilige, Köln, St- Ursula-Basilika
Photo:  Hans Peter Schaefer URL: http://www.reserv-a-rt.de

21. Oktober

 

Gedenktag der Hl. Ursula (von Köln) und der 11 000 Jungfrauen

 

Der Name Ursula ist lateinischen Ursprungs und bedeutet „kleine Bärin“.  In Ott wurde der Name als „Bären-Streiterin“ gedeutet: Ihre Mutter hätte vor der Geburt „… geträumt, sie sehe eine starke, gewappnete Jungfrau im wilden Walde mit Bären und reißenden Tieren im harten Streite“ (Ott, S. 1957, a.a.O.). 
Um Ursula entstanden eine Reihe von Legenden in verschiedenen Varianten. Sie war der „Legenda Aurea“ nach die ausnehmend schöne, fromme und weise britannische (bretonische, kornische??) Tochter des Königs Maurus (oder Dionek bzw. Dionatheus, in Ott, S. 1957, a.a.O.) von „Britannia“ (Voragine, S. 807, a.a.O.), um deren Hand sich viele Prinzen bewarben, u.a. auch Aetherius, ein Prinz aus einem nordischen (heidnischen) Königreich (oft mit England identifiziert). Sein Vater sandte deshalb eine Gesandtschaft zu König Maurus, die für Prinz Aetherius um Ursula warb, allerdings mit drohenden Beiklängen für den Fall einer Ablehnung (vgl. Voragine, S. 808, a.a.O.). Ursula aber wollte lieber unverheiratet bleiben und Nonne werden.
Schließlich aber akzeptierte Ursula die Werbung, allerdings unter drei Bedingungen: Die Hochzeit sollte erst nach einer Wartezeit von drei Jahren stattfinden, in denen der Prinz christliche Unterweisungen erhalten und sich taufen lassen sollte. Sie selbst wollte in dieser Zeit eine Wallfahrt unternehmen. Begleitet werden sollte sie von 10 Jungfrauen und deren jeweils 1000 Mägden (vgl. Voragine, S. 808, a.a.O.). 
Aetherius akzepierte die Bedingungen Ursulas und begann sich auf die Taufe vorzubereiten.

Der Legende nach reiste Ursula mit ihren Gefährtinnen [1], denen sich noch einige Bischöfe und hohe Aristokraten anschlossen, mit Schiffen: „Die Jungfrauen hätten viel Kurzweil auf dem Meer“ („Das Leben der Heiligen“, S. 295, a.a.O). Weiter fuhren sie rheinaufwärts bis nach Köln. Dort erschien Ursula im Traum ein Engel, der ihr ankündigte, sie würde auf dem Rückweg in Köln mit ihren GefährtInnen die Märtyrerpalme erlangen (vgl. Voragine, S. 809, a.a.O.).

Ganz generell ist es in den Legenden auffällig, dass in Konfliktsituationen in der Regel eine himmlische Intervention erfolgte.
Per Schiff ging es weiter bis nach Basel, dann pilgerten die Wallfahrer zu Fuß nach Rom. Dort soll sie Papst Cyriacus begrüßt haben, dargestellt bei z.B. bei Carpaccio vor der Engelsburg. Nach der „Legenda Aurea“ soll Cyriacus der 19. Papst nach Petrus gewesen sein und ein Jahr und elf (!) Monate das Amt innegehabt haben (Voragine, S. 809, a.a.O.). Der Papst sei von den Wallfahrern derart beeindruckt gewesen, dass er beschloss, sein Amt niederzulegen und sich Ursula anzuschließen. Auch stammte er selbst aus Britannien (Melchers, S. 687, a.a.O.).

Die Absicht Cyariacus‘ aber stieß bei Teilen des römischen Klerus auf heftige Ablehnung: „… Sonderlich die Cardinäle … glaubten, er sei von Sinnen kommen, daß er hinter etlichen unsinnigen Weibern möchte laufen“ (Voragine, S. 810, a.a.O.). Cyriacus aber ließ sich davon nicht abhalten, denn auch er erhielt im Traum den himmlischen Befehl, sich der Ursula anzuschließen. Cyriacus legte sein Amt nieder, bestimmte einen Nachfolger und schloss sich den Wallfahrern – der Legenda Aurea zufolge - auf der Rückreise an.  
Cyriacus Name aber wurde aus der Liste der Päpste getilgt (Melchers, S. 687, a.a.O.), ein Papst dieses Namens ist historisch nicht belegt. Im Jahre 452 saß Papst Leo der Große bereits seit 12 Jahren „auf dem Stuhle Petri“.
Voragine führte zudem aus, „… böse Fürsten des römischen Heeres“ hätten die Hunnen angestiftet, die Wallfahrer auf ihrem Rückwege in Köln zu überfallen und zu ermorden, damit „… der Christenglaube möchte  … (nicht) allzusehr wachsen“ (Voragine, S. 810, a.a.O.).
In Mainz soll sich der Bräutigam Ursulas, Aetherius, haben taufen lassen. Auch hatte er eine Traumvision, in der ein Engel ihm ankündigte, er würde in Köln „… die Märtyrerpalme erlangen“ (Melchers, S. 687, a.a.O.). Der Engel sprach zu ihm: „Wohlauf, lass deine Ruh und begegne deiner Braut und fahr mit ihr gen Cölle, da wirst du gemartert und empfahen deinen Lohn“ (vgl. „Das Leben der Heiligen“, S. 296, a.a.O.).
Als die Reisegesellschaft im Jahre 452 (zur Zeit des Kaisers Marcianus [2] , nach Voragine, S. 811, a.a.O.) weiter nach Köln gelangte, wurde die Stadt gerade von den Hunnen belagert. Die Frauen und Männer wurden gefangengenommen, die Hunnen begehrten die Jungfrauen der Legende nach als Ehefrauen. Die Ehe mit den nichtchristlichen Hunnen wurde verweigert, in der Folge wurden Ursula und ihre GefährtInnen vor den Toren der Stadt ermordet. Eine der als Märtyrerinnen verehrten Gefährtinnen war die Hl. Cordula.

Der Legende nach wollte der Führer der Hunnen Ursula selbst retten und sie zu seiner Frau erheben. Sie aber antwortete ihm: „Einem Knecht der Finsterniß, einem Mann des Bluts, der nur Feuer und Schwert liebe, könne sie nie zu eigen werden“ (Ott, S. 1962, a.a.O.). Ursula soll daraufhin durch einen Pfeilschuss von – wie zum Teil behauptet wird – dem zornigen König Atilla selbst getötet worden sein.
Der Legende nach wurden die Hunnen nach dem Martyrium der Jungfrauen von einem Engel-Heer von Köln vertrieben.
Möglicherweise aber wurde Köln um 451 von Hunnen - unterwegs zu den Katalaunischen Feldern - erobert und geplündert.

In den folgenden unruhigen Jahrhunderten vergaß man der Überlieferung nach den Ort der Gräber von Ursula und ihren Gefährtinnen, bis sie durch ein Wunder wiederentdeckt wurden. Der Hl. Kunibert (gest. am 12. November 663), Erzbischof von Köln, soll einstens im Jahre 640 die Messe gefeiert haben, als sich plötzlich eine weiße Taube erst auf seine Hand setzte, dann zu einem verfallenen Grab an der Kirchenmauer flog, wo man daraufhin wunderbarerweise Ursulas Grab samt einer Bleiplatte mit einem Bericht über die Geschehnisse fand (vgl. Ott, S. 1963, a.a.).
Aus den ursprünglich elf Jungfrauen wurden später elftausend, u.U. wegen der Skelettfunde im römischen Gräberfeld bei Köln und den Bedürfnissen des höchst profitablen Reliquienhandels. Zahllose Gebeine scheinen als Reliquien verkauft worden zu sein. Nach dem Kirchenrecht aber war der Verkauf von Reliquien eigentlich verboten, nur Reliquiare – Reliquienbehälter – dürften gehandelt werden.
Ursula-Reliquiare wurden ein regelrechter „Exportschlager": Hölzerne Mädchenbüsten, „ rundlich, mit rosigen Wangen und oft einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Vorne haben diese Büsten eine Öffnung, durch die man die kostbar umhüllten Reliquien sehen konnte“. Erst 1393 beendete Papst Bonifaz IX. das Kölner Exportgeschäft: Er verbot die weitere Ausfuhr von Ursulareliquien: Er befürchtete, dass es in Köln sonst bald keine mehr gäbe. Zu dieser Zeit sollen bereits ca. 12.000 Ursulareliquien in Umlauf gewesen sein, von denen heute noch ca. 3.000 existieren (vgl. http://cologneweb.com/ursula.htm).

Um Ursula-Reliquien entstanden bald für die Stadt Köln auch ökonomisch wichtige Wallfahrten. Erst mit der Übertragung der (angeblichen) Gebeine der Hll. Drei Könige (vgl. das Stichwort Drei Königstag) im Jahre 1164 verloren die Wallfahrten zu Ursula ihre Bedeutung.

In Köln werden die Hl. Ursula und ihre Gefährtinnen als Stadtpatroninnen verehrt. St. Ursula, die „Kirche der heiligen Jungfrauen“,  ist heute eine der zwölf großen romanischen Basiliken in der Altstadt Kölns.Sie befindet sich nördlich von Dom und Römerstadt und wurde in einem antiken Gräberfeld errichtet. Die älteste Inschrift der Kirche stammt - nach einer allerdings umstrittenen Datierung - aus der Zeit um 400. Der Inschrift nach ließ Clematius, ein Mann von Senatorenrang, damals die „basilica“ dort, „… wo heilige Jungfrauen ihr Blut für Christi Namen vergossen haben“, wiederherstellen (vgl. Henze, S. 410, a.a.O.). Die steinerne Inschrift wurde an der Südwand des gotischen Chors eingelassen.
Gesicherte Berichte über den Kult um die Märtyrerinnen liegen allerdings erst seit dem 9. Jhdt. vor, erst im späten 10. Jhdt. – d.h. ca. 500 Jahre nach der Inschrift – wurde Ursula  [3] als die Anführerin der – unterdessen – 11 000 Jungfrauen genannt (vgl. Henze, S. 410, a.a.O.).
Bei einer Stadterweiterung Kölns 1106 fand man auf dem nunmehr „ager Ursularis“ genannten antiken Gräberfeld nahe der Kirche unzählige menschliche Überreste. „Und damit hebt die emsige Suche nach Märtyrergebeinen an“ (Henze, S. 411, a.a.O.).
Seit dem 12. Jhdt. gab es mehrfache Um- und Erweiterungsbauten an der St- Ursula-Kirche. Im 13. Jhdt. wurde der gotische Chor errichtet, der von elf Fenstern „wie ein gläserner Schrein“ umgeben ist (Schäfke, S. 221, a.a.O.)..
Hinter dem gotischen Hauptaltar der Kirche steht der Ursula-Schrein, eine Neuanfertigung von 1883 unter Verwendung von Emails von 1170; früher wurde der Ursula-Schrein von dem Aetherius- und dem Hippolytus-Schrein [4] flankiert (heute ist ersterer, aus dem Jahre 1170 in der „Goldenen Kammer“ der Kirche, vgl. Henze, S. 416, a.a.O.). Im südlichen Schiff steht eine Figur der Hl. Ursula als Schutzmantelheilige aus dem Jahre 1465.

Im nördlichen Querarm der Ursula-Kirche befindet sich ein Gemäldezyklus aus 24 Tafeln (mit 30 Bildern) zur Ursula-Legende, erstellt um 1456 von der Schule Stefan Lochners (vgl. Henze, S. 415, a.a.O.).
Ebenfalls im nördlichen Querarm steht das Hochgrab Ursulas von 1659, aus schwarzem Marmor mit einer liegenden Alabasterfigur der Heiligen von Johann F. W. Lentz.  Zu Füßen der Heiligen ist eine Taube zu sehen, die an die Legende über die wundersame Auffindung der Reliquie Ursulas erinnern soll. Der schwarze Marmor umschließt den eigentlichen Sarkophag der Heiligen, der durch drei seitliche Öffnungen sichtbar ist.
Die St- Ursula-Kirche ist seit 1920 eine päpstliche „Basilica Minor“.
Besondere Verehrung genossen ein Fingerreliquiar der Hl. Ursula und zwei Büstenreliquiare von zweien der Jungfrauen, die bis heute im Zisterzienserinnen-Kloster St. Marienstern in Sachsen aufbewahrt werden.

Für das Wappen der Stadt Köln (siehe Abb. unten) sind allerdings beide Heiligenlegenden „bildgebend“ geworden: Im oberen Feld symbolisieren die drei Kronen die Drei Könige, die elf schwarzen Flammen (oder Tropfen oder Hermelinschwänze) im weißen Feld stehen für die elf Märtyrerinnen der Ursula-Legende.

Vielfach wurde die Legende der Ursula in der christlichen Kunst dargestellt, so u. a. von …
•    Hans Memling (Reliquienschrein im Sint-Jans-Hospitaat in Brügge)
•    Vittore Carpaccio [5] (1455 – ca. 1525); sein Bilderzyklus von neun „teleri[6] entstand zwischen 1490 und ca. 1496/1500 ursprünglich für die heute nicht mehr existierende Scuola di Sant’Orsola in Venedig. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurden in dem Zyklus einige Angehörige der venezianische patrizische Stifterfamilie Loredan dargestellt (vgl. Moschini, S. 16, a.a.O.). Zum Teil spielt die Legende vor der Szenerie eines phantastischen Venedigs. Heute sind die Bilder in den venezianischen Gallerie dell’Accademica (im Saal XXI). Mehrfach stellte Carpaccio mehrere der legendären Geschehnisse in einem Bild dar, getrennt z.B. durch eine Fahnenstange oder eine Säule.

Dargestellt wird die Hl. Ursula durch ihre Attribute: ein Pfeil in der Hand, ein Schiff neben sich, die Märtyrer-palme, eine Krone, einen schützenden Mantel über den Jungfrauen ausgebreitet oder eine Kreuzesfahne.

Die Gesellschaft der Heiligen Ursula (abgekürzt OSU, für „Ordo Sanctae Ursulae“), die Ursulinen  (auch Ursulinerinnen) wurde von Angela Merici 1535 in Brescia gegründet, als Frauengemeinschaft zu Ehren Ursulas von Köln, ursprünglich „… als Vereinigung von in ihren Familien jungfräulich lebenden Mädchen zwecks Krankenpflege und Jugenderziehung“ (Lanczkowksi, S. 249, a.a.O.).
Unter Paul V. (Pont. 1605 – 21) wurden die ersten Ursulinen-Klöster „… mit feierlichem Gelöbnis und strenger Klausur   nach der Augustinus-Regel“ gegründet (Lanczkowski, S. 250, a.a.O.). 
Die junge Lily Braun erlebte 1887 im westfälischen Münster die Einweihung einer jungen Frau zur Nonne. Die Tochter des Erbdrostenhofes [7]   „… nahm … im Kloster der Ursulinerinnen den Schleier. Wie eine glückliche Braut ward sie von den ihren geleitet, und sie selbst lächelte wie eine solche. Mit einem Glanz verklärter Freude auf den Zügen leisteten ihre Brüder – die übermütigsten Tänzer sonst – die Ministrantendienste bei der heiligen Handlung. Und doch wussten alle, dass es ein Abschied für immer war, denn in strenger Klausur [8] verbringen die Ursulinerinnen ihr nur dem Gebet und der Buße geweihtes Leben“ (Braun, 1909, Bd. I, S. 366, a.a.O.).
Die 1961 existierenden über 220 Ursulinen-Klöster in aller Welt bemühen sich u.a. um die katholische Mädchenerziehung. Heute (2014) gibt es keine Ursulinerinnen mehr in Münster, jedoch im benachbarten Osnabrück.

 

Der Ursulinen-Orden ist mit einem historischen Ausbruch hysterischer „Besessenheit“ verbunden. Sieben Jahre lang erlebte zu Beginn des 17. Jhdts. das Ursulinen-Kloster in Loudun (Departement Vienne) eine Art von „Erotomanie“, einen kollektiven Ausbruch von hysterischer „Besessenheit“, der sich zu einer regelrechten „Staatsaffaire“ auswuchs (vgl. Cabut, S. 20, a.a.O.).

Darüber hinaus wurde die Stadt Loudun 1632 auch von der Pest heimgesucht und die Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten waren erheblich.

 

Im September 1632 wurde Jeanne des Anges (eigentlich Jeanne de Belcier; 1602 – 1664) eine Priorin des 1629 gegründeten Ursulinen-Klosters in Loudun, eine junge, als unstabil beschriebene Frau. Sie littt unter Halluzinationen, erotischen Phantasien und Delirien, Konvulsionen und Katalepsie (Starrsucht“, die sie als Besessenheit durch Dämonen deutete.

Bald zeigten Mitschwestern ähnliche Beschwerden, klagten über Phantome und Schreckgespenster. In den Nächten irrten einige Nonnen durch die Klostergänge oder kletterten sogar auf die Dächer. Innerhalb von zwei Wochen waren mehr als 20 Nonnen in Loudun „angesteckt“. Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, dass viele der jungen Frauen nicht freiwillig ins Kloster eingetreten waren (vgl. Cabut, S. 20, a.a.O.).

Die „Besessenen“ waren junge Nonnen des Klosters in Loudun, die ungewöhnliche Symptome aufwiesen: Sie zeigten nicht nur Konvulsionen, sie heulten und brüllten, ihre Worte und Gesten waren derart „unzüchtig“, dass auch die Freizügigsten es als Skandal empfanden. Unter diesen „verrückten Jungfrauen“ war eine der jungen Ursulininen als besonders berüchtigt, Schwester Claire. Sie soll ihre Geschlechtsorgane entblößt haben, masturbierte dann und stieß dabei blasphemische und ungehörige Worte aus (vgl. Abb. unten). Sie soll sogar ein Kruzifix unter ihre Robe geschoben haben, um ihre Wünsche zu befriedigen (vgl. Bartholomew et al, S. 317, a.a.O.). 

Einige der Nonnen sollen ihre Körper rückwärts gekrümmt haben, bis ihr Kopf ihre Füße berührte: In dieser Position setzten sie sich der Überlieferung nach in Bewegung.

 Am 5. Oktober 1632 wurde ein erstes Exorzismusritual durchgeführt, bei dem der Priorin sieben Dämonen ausgetrieben werden sollten. Es war das erste von unzähligen Ritaulen in den nächsten Jahren, bei denen die „Besessenen“ von allerlei Teufeln und bösen Geistern befreit werden sollten.

 Ins Zentrum des kollektiven Ausbruchs geriet bald ein Priester, Urbain Grandier (1590 - 1634), Pfarrer an der Kirche de Saint-Pierre du Marché zu Loudun. Die Nonnen hatten ihn zwar nie gesehen, aber er galt als widerspenstiger Geist, hatte sich dadurch viele Feinde [9] gemacht und wurde zudem als Verführer von Frauen angesehen. Die „besessenen“ Nonnen, insbesondere Jeanne des Anges, klagten Grandier an, sie als „Zauberer“ verhext zu haben, der Anlass ihrer erotischen Besessenheit zu sein.   

Grandier war der ideale Schuldige, er wurde zum Sündenbock.

Am 30 November 1633 wurde Grandier ins Gefängnis geworfen und grausam gefoltert. Aber er gab keinerlei Schuld zu. Dennoch wurde er – vermutlich unter Mitwirkung von Richelieu – wegen Hexerei zum Tode verurteilt und am 18. August 1634 öffentlich verbrannt. Jedoch klangen nach der Hinrichtung des angeblichen Verursachers die Symptome bei den „besessenen“ Ursulinen keinesweg ab. Die vielen weiteren öffentlichen Exorzismen scheinen die Exaltation der betroffenen Nonnen sogar eher angeheizt zu haben.

Die Kirchen von Loudun wurden durch die öffentlichen Exorzismus-Rituale zu Orten der Attraktion, Tausende drängten sich dazu, den spektakulären Handlungen beizuwohnen. Jeannes „Dämonen“ wurden einer nach dem anderen ausgetrieben. Jeanne des Anges entwickelte sogar Symptome einer Scheinschwangerschaft (vgl. Cabut, S. 20, a.a.O.).

Von 1635 an wurde Jeanne – der Überlieferung nach – in regelmäßigen Abständen stigmatisiert: auf ihrem linken Handrücken erschienen in blutigroten Buchstaben die Namen «Iesus», «Maria», «Ioseph» und «F.D.Salles»

(François de Sales). Nachdem sie im Dezember 1639 eine wundersame Erscheinung des Heiligen Joseph hatte (der auf ihrem Hemd Tropfen eines heiligen, parfümierten Öls zurückgelassen hatte, für Jeanne „die Salbung durch den Hl. Joseph“) war Jeanne geheilt. Der siebente und hartnäckigste der Dämonen, Behemoth, verließ sie – nach ihrer Aussage – erst als sie zum Grabe des Heiligen Franz von Sales (1567 – 1622) in Annecy pilgerte.

Jeaannes schließliche Heilung zog die der anderen Nonnen nach sich. Die nun als wundertätig angesehene Priorin und Ex-„Besessene“ machte sogar eine Tour durch das ganze französische Königreich. Das Ursulinen-Kloster in Loudun fand seine Ruhe wieder. 

Auf dem Höhepunkt der Besessenheitshysterie zeigten auch weitere Personen ähnliche Symptome, unter den Exorzisten, den Wärtern/Verhörenden von Grandier und unter Laien. Auch später kam es im 17. Jhdt. in anderen Klöstern zu ähnlichen Ausbrüchen, so z.B. in Aix-en-Provence, Louviers oder Auxonne (vgl. Bartholomew et al., S. 32, a.a.O.). Auch hier wirkten sie „ansteckend“ und suchten nach Sündenböcken.

 

Der Soziologe in Montpellier, Jean-Bruno Renard, hob hervor, dass die kollektiven Besessenheitshysterien [9] à la Loudun in einer „intermediären“ Zwischenzeit erfolgten, zwischen den Hexenjagden des 15. und 16. Jhdts. und dem Prestigegewinn von Medizin und Psychiatrie, durch den man begann, Frauen dieser Art als Opfer oder als Kranke zu betrachten.

Einige Jahrzehnte später – führte Renard aus – wäre Grandin vermutlich der Scheiterhaufen und den Nonnen jahrelanges Leiden erspart geblieben. Denn die Medizin hatte gezeigt, dass bei kollektiven Hysterien das beste Mittel zum Beenden ansteckender Symptome die Isolierung der Betroffenen sei – gerade das Gegenteil von öffentlichen Exorzismus-Ritualen.

Dennoch betonte Renard, dass für die Psychosoziologie die kollektive Hysterie eine Erscheinung sei, wie der Kugelblitz für die Physik: Ein bekanntes, belegtes, seltenes, aber weitgehend unerklärbares Phänomen (Renard, in Delouvée et al., a.a.O.).  

 

Grandiers Gerichtsverhandlung und die „Besessenheit“ der Ursulinen wurden Thema mehrerer literarisch-künstlerischer Bearbeitungen:

  • Alexandre Dumas (d.Ä.) thematisierte 1840 den Prozess im 4. Band seiner „Crimes célèbres“ und 1850 im Schauspiel „Urbain Grandier“
  • Der deutsche Schriftsteller Willibald Alexis (1798 – 1891) veröffentlichte 1843 seinen Roman „Urban Grandier oder die Besessenen von Loudun“
  • Der 1949 publizierte Roman „Träume von Rosen und Feuer“ des schwedischen Romanciers und Nobelpreisträgers von 1974 Eyvind Johnson (1900 – 1976)behandelt das Schicksal Grandiers.
  • Im Jahre 1952 erschien Aldous Huxleys Essay „The Devils of Loudun“, ein Text der 1969 die Grundlage für Krzysztof Pendereckis Oper „Die Teufel von Loudun“ und 1971 von dem Film „Die Teufel“ von Ken Russell darstellte. Der Essay gilt als eines der besten Werke Huxleys, der darin auch die Persönlichkeitsstörung der multiplen Identität anspricht.
  • Der Film „Mutter Johanna von den Engeln“ des polnischen Regisseurs Jerzy Kawalerowicz (1922 – 2007) kam 1961 in die Kinos und behandelte auch die damaligen Ereignisse von Loudun. Der erfolgreiche Film hatte als Grundlage den gleichnamigen Roman des polnischen Schriftstellers Jarosław Iwaszkiewicz (1894 - 1980) aus dem Jahre 1946.

Es gibt bis heute zahlreiche Ursulakirchen und St.-Ursula-Schulen in verschiedenen Ländern.

Zudem wurden …
•    die karibischen Jungferninseln (Virgin Islands) in der Karibik (östlich von Puerto Rico) wurden von Christoph Kolumbus zu nach der Märtyrerinnen benannt: Santa Ursula, Once Mil Virgines, Archipiélago de las Vírgenes. Das Wappen und die Flagge der Britischen Jungferninseln zeigen die Hl. Ursula.
•    das Kap an der Einfahrt zur Magellanstraße (nahe dem 52. Breitengrad) wurde von Ferdinand Magellan „Kap der Jungfrauen“, Cabo Virgenes genannt, da er es am 21. Oktober 1520 sichtete.
•    Die hessische Stadt Oberursel im Taunus führt ihren Namen auf die Hl. Ursula zurück und führt sie bis heute auch im Wappen.

Bis zum Ursulatag am 21. Oktober sollten die Bauer ihre Ernte eingefahren haben. Bauernregeln besagen:
                              „Wie der Ursulatag anfängt, so soll der Winter beschaffen sein“.
                             „An Ursula räums Kraut rein, sonst schneit’s drein“
                             „Sankt Ursulas Beginn zeigt auf den Winter hin“ (Klein, 1998, S. 239, a.a.O.).
 

 

(unveränderlich nach dem Gregorianischen Kalender)

 
 © Christian Meyer


[1] Ganz ähnlich erzählte man sich auch Legenden von der Heiligen Pinnosa, die mit ihren 11 (oder 11 000) Jungfrauen auf einer Pilgerfahrt vor Köln von den Hunnen ermordet worden seien. Pinnosa war eine Art Vorgängerin der Ursula von Köln.

[2] Der oströmische Kaiser Marcianus regierte von 450 – 457. In seine Regierungszeit fiel der Tod Atillas (453) und der Niedergang des Hunnenreiches.

[3] Jedoch war ein Grabstein in der Nähe der Kirche gefunden wurden, der aus dem 4./5. Jhdt. stammen könnte und auf ein verstorbenes achtjähriges Mädchen namens Ursula verwies (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/ St._Ursula_%28K%C3%B6ln%29).

[4] Im Jahre 1948 wurden die Reliquien von St. Ursula zurück nach Gerresheim/Düsseldorf gebracht. Die Hippolyt-Reliquien ruhen dort in einem neuen Silberschrein unter dem Altar (vgl. http://www. heiligenlexi-kon.de/MRFlorilegium/13August.html</a>).

[5] Die italeinische Vorspeise aus rohem Rindfleisch, „Carpaccio“, wurde um 1950 in Venedig kreiert. Benannt wurde sie nach  Vittore Carpaccio, der für seine leuchtenden Rottöne berühmt war und dem gerade 1950 eine große Ausstellung in Venedig gewidmet worden war.
[6] „Teleri“ heißt im venezianischen Dialekt „Tuch“ (wohl vom italienischen „tela“ ≙ Gewebe, Tuch, Leinen, Leinwand“). Teleri war eine besondere venezianische Maltechnik, bei der auch großformatige Gemälde auf Gewebe mit Ölfarben gemalt und direkt auf die Wände gebracht wurden. Fresken waren in dem venezianischen Klima mit seiner hohen Luftfeuchtigkeit immer besonders gefährdet.

[7] Die Droste oder Erbdroste hatten im norddeutschen Raum Verwaltungsaufgaben (in rechtlicher, polizeilicher oder auch miltärischer Hinsicht) für den „Landesherren“ wahrzunehmen. Vor allem die Erbdroste waren waren oft Adlige, aber auch viele Nichtadlige hatte diese Verwaltungsfunktion inne. Viele Familiennamen v.a. in Westfalen sind mit der Funktion verbunden worden, so z.B. bei Annette von Droste-Hülshoff oder der Freifrau von Droste-Vischering (vgl. Stichwort Hl. Helena, 18. August). Zudem gab und gibt es in Westfalen eine Reihe von Gasthäusern, die den Namen Droste tragen (z.B. in Enger-Besenkamp).

[8] Mit Klausur im theologischen Sinne (vom lat. „cludere“ abschließen, sperren) werden bestimmte Räume innerhalb eines Klosters bezeichnet, die …

·      speziell für die Ordensmitglieder vorgesehen sind; dabei kann es sich um Zellen, Gebets-,           Aufenthalts- oder Arbeitsräume handeln.

·         von Ordensangehörigen ohne eine spezielle Erlaubnis nocht verlassen werden dürfen („aktive           Klausur“).

·               von Nicht-Ordensangehörigen nicht betreten werden dürfen („passive Klausur“, vgl. Lanczkowski,

             S. 148, a.a.O.).

[9] Grandier hatte sich durch eine Publikation gegen den mächtigen Kardinal Richelieu gewandt: Er widersetzte sich darin der von Richelieu verlangten Zerstörung der Stadtmauern von Loudun.

[10] Der US-Soziologe Neil J. Smelser (*1930) definierte in seiner „Theorie des kollektiven Verhaltens“ hysterische Kollektiv-Phänomene als eine „… Vorstellung, die ein mehrfach ausdeutbares Umweltelement dahingehend interpretiert, als handle es sich um eine macht, die alle bedrohen oder zerstören könne“ (Smelser, S. 97, a.a.O.). Beispiele seien die Angst vor Hexerei oder Dämonen, aber auch Vorhersagen von Katastrophem oder Schreckensgerüchte, die Vorspiele zu Paniken werden können.

Wappen der Stadt Köln
Wappen der Stadt Köln
Carpaccio: "Der Traum Ursulas"
Carpaccio: "Der Traum Ursulas"

Vittore Carpaccio „Der Traum der Heiligen“, in den Gallerie dell'Accademia / Venedig

Die "Besessenheit" der Ursulinen
Die "Besessenheit" der Ursulinen

Abb. von Cristelle Enault, aus „Le Monde“, 31. Juli 2014, S. 20