Cellini: Hyazinth (Abb. aus Cellini, 1961, Abb. 14, a.a.O.).

ca.  Beginn des Juli 

 

Altgriechische Hyakinthien, das höchste spartanische Fest

 

Im Zentrum des Festes stand der Mythos um Hyakinthos (gr. UaκινJoz [1] ), einem Sohn des spartanischen Königs Amyklaios und der Nymphe Diomede. Andere nennen Oedalos oder Pieros als Vater, die Muse Klio als Mutter des Hyakinthos.

Der Überlieferung nach war Hyakinthos ein Jüngling von außergewöhnlicher Schönheit, zuerst soll ihn Thamyris verführt haben. Später verliebte sich Apollon in den schönen Knaben, Hyakinthos wurde der Geliebte des Gottes. Allerdings bewarb sich auch Zephyros, der Gott des Westwindes, um die Liebe des schönen Jünglings - vergeblich.

Als Apollon einst den Hyakinthos im Diskoswurf unterrichtete, stürmte Zephyros eifersüchtig vom Taygetos–Gebirge herab und trieb den von Apoll geschleuderten Diskos dem Hyakinthos an den Kopf, so dass dieser schwer verletzt wurde und starb. 

Wütend soll seither Apollo den Westwind mit seinen Pfeilen verfolgen.

Der tief betrübte Gott aber ließ aus dem Blut des Geliebten eine dunkle, süß duftende Blume [2] entstehen und bezeichnete sie nach seinem Namen „Hyazinthe“. Die Blume sollte den Schmerz Apollos verkünden: auf ihren Blättern standen die Seufzer des Gottes geschrieben: „Ai“ (= „Wehe, Wehe“, ein griechischer Klageruf) sowie „U“, der griechische Anfangsbuchstabe des Namens des Hyakinthos [3] .   

Die Blume  erscheint alle Jahre neu:

                                                            „Denn immer,

                                                             wenn Frühling scheucht den Winter,
                                                             der Widder dem Fisch, dem Wasserbewohner
                                                             folgt, so erhebst du dich neu
                                                            und blühst im grünendem Rasen.”
                                                                                             (Ovid, Metamorphosen X,164 ff., S. 312, a.a.O.)

  Hyakinthos soll am Fußgestell der Apollon-Statue im Apollon-Tempel zu Amyklai (bei Sparta) begraben worden sein. Als bärtiger Heros war Hyakinthos an der Seitenwand des Altar-Unterbaues in Amyklai dargestellt.

Nach der Eroberung von Amyklai durch die Spartaner um 800 v. Chr. wurde es zu einer der wichtigsten spartanischen Kultstätten. Sie errichteten im 6. Jhdt. v. Chr. auf dem angeblichen Grabhügel des Hyakinthos einen „Thron des Apoll“, eine damals überdachte Plattform mit einer großen Statue Apollons.

 

Gustav Schwab „reinigte“ und verharmloste den Hyakinthos – Mythos: „Phöbos Apollon sah den lieblichen Knaben und gewann eine herzliche Zuneigung zu ihm. Ja, er gedachte ihn einstens in den Olymp zu erheben, damit er ihn ewig in seiner Nähe hätte“ (Schwab, S. 80, a.a.O.). Keine Homosexualität, keine Eifersucht, kein Mord: „Lange währte es, bis das runde Erz wieder auf die Erde herabfiel. Begierig, es seinem göttlichen Lehrmeister nachzutun, sprang der Knabe hinzu und wollte die Scheibe fassen. Aber vom felsigen Grunde prallte sie jäh in die Höhe und ach, dem holden Knaben ins Antlitz“ (Schwab, S. 80, a.a.O.).   

 

Der Hyakinthos-Mythos als Liebhaber des Apollo ist vielleicht auch eine Umdeutung gewesen: Hyakinthos sei eigentlich der Liebhaber von dessen (jungfräulich-keuscher) Schwester, Artemis, gewesen. Tatsächlich standen Artemis-Priesterinnen, die Hyakinthiden, den spartanischen Riten vor.

 

Hyakinthos gilt Mythenforschern als Personifikation der im Frühling durch den Regen geweckten und genährten Vegetation, die aber im Sommer, durch die Glut der Sonne (ihr Symbol ist der Diskos) rasch dahin stirbt.

Vielfach wird Hyakinthos als ein vorgriechischer Vegetationsgott mit dem Kultort Amyklai betrachtet, der als Gott von Apollon verdrängt wurde und zum Heros absank.   

Einige Mythenforscher nehmen an, dass der Hyakinthos – Mythos ein ferner Reflex früher Menschenopfer sei, die zur Erhaltung der Fruchtbarkeit des Bodens vollzogen wurden (vgl. Guirand, S. 719, a.a.O.).

Im frühen matriarchalischen Mittelmeerraum gab es vermutlich Männeropfer: das Blut eines getöteten jungen Mannes wurde im Frühjahr über die Felder verstreut, um eine gute Sommerernte zu bewirken. 

Bei den Dorern (insbesondere in Sparta und Amyklai  wurde der Heros Hyakinthos hoch verehrt. Ihm zu Ehren wurden die neuntägigen Hyakinthien gefeiert, die bis in die römische Kaiserzeit hin historisch belegt sind. Die Hyakinthien waren der Sage nach von Apollon selbst eingeführt worden.  

Es handelte sich um eine Art altgriechisches Allerseelenfest, gedacht wurde während der Hyakinthien mit Wehmut des Frühverstorbenen, mit Heiterkeit des vergötterten Jünglings. Daher waren die ersten Festtage Trauertage, dann aber folgten Wettspiele,poetische Wettkämpfe, Festzüge und -mahlzeiten, zu denen auch die sonst vielfach verachteten Sklaven zugelassen waren.

Athenaios von Naukratis (2./3. Jhdt. n. Chr.) referierte in seinem enzyklopädischen „Gelehrten-Mahl“ (geschrieben vermutlich nach 192) den Historiker Polykrates, der in seiner „Geschichte Spartas“ von dem dreitägigen Hyakinthieen-Opferfest berichtete: „als Zeichen der Trauer um Hyakinthos tragen sie dabei keine Kränze beim Gelage, Essen kein Weizenbrot noch anderes Backwerk mit den entsprechenden Zutaten, singen auch nicht den Paian für Apollon und führen nichts von dem auf, was sie bei anderen Opferfesten tun, sondern sie speisen in gemessener Ordnung und gehen dann wieder. Aber am zweiten Tag der drei Tage findet eine abwechslungsreiche Darbietung und eine aufwändige, viel besuchte Festversammlung statt. Knaben in hochgeschürztem Gewand spielen Kithara, und wenn sie zur Flöte singen und mit dem Plektrum über alle Saiten streichen, preisen Sie den Gott in anapästischen Rhythmen [4] mit hoher Stimme. Andere ziehen mit aufgeputzt werden durch das ganze Theater. Verstärkte Jünglingschöre marschieren ein und singen traditionelle Lieder. Tänzer mischen sich zwischen sie und tanzen altertümliche Figuren zur Flöte und zum Gesang. Die Jungfrauen werden teils in prächtig geschmückten Korbsänften getragen, teils paradieren sie auf Wagen mit zwei Pferden. Die ganze Stadt nimmt in freudiger Bewegung an dem Schauspiel teil. Man opfert an diesem Tage eine große Zahl Tiere, und die Bürger speisen mit allen ihren Freunden und auch mit ihren Sklaven. Niemand lässt sich das Opferfest entgehen, und so ist die Stadt wegen des Schauspiels ganz leer“ (Athenaios, S. 65/66, a.a.O.).

Die jungen Mädchen fuhren feierlich in geschmückten Wagen nach Amyklai (vgl. http://alkman.georgehinge.com/ archaeol.html) wenige Kilometer südlich von Sparta.  Ovid schrieb in den „Metamorphosen“ zu den spartanischen Hyakinthien:

„Sparta empfindet nicht SchaM, Hyacinthus geboren zu haben:

Heute noch dauert sein Ruhm: Hyacinthien feiert man jährlich,

So wie die Alten getan, und entfaltet ein festlich Gepränge“

                                (Ovid, Metamorphosen, X, 217 f., S. 323, a.a.).

Gefeiert wurden die Hyakinthien u.a. auch in Byzantion, Knidos, Kos, auf Rhodos, Thera und Kreta.

 

Außer von  Ovid (43 v. Chr. – 18 n. Chr.) wurde der Hyakinthos-Mythos auch von Palaiphotos [5] und Lukian (ca. 120 – ca. 180 n. Chr.) überliefert.

 

In der Kunst wurde der Hyakinthos –Mythos relativ selten thematisiert. Neben Darstellungen auf Vasen war in der Antike ein Gemälde des aus Athen stammenden Malers Nikias (4. Jhdt.) berühmt, das Hyakinthos als jugendlichen Geliebten Apollos darstellte. Augustus entführte das Gemälde aus Alexandria und Tiberius stiftete es später dem Apollo–Tempel in Rom.Der florentiner Bildhauer und Goldschmied Benvenuto Cellini (1500-1571) erstellte um 1540 eine Marmorgruppe, Apollo und zu seinen Füßen Hyazinth. Die  Szene sollte den Moment darstellen, als Apoll – nach Ovids Erzählung – für den toten Hyazinth ein lyrisches Lied komponiert (Ovid, Metamorphosen, X, 204 f., S. 323, a.a.).

Allerdings war der Marmorblock schadhaft, er gab beim Arbeiten „… einen ‚schlechten Ton‘ von sich“ (Braunfels in Cellini, 1961, S. 18, a.a.O.). Wegen des fehlerhaften Marmors konnte der Künstler die Gruppe nicht vollenden und sie wurde erst nach seinem Tod im Nachlaß dem auftraggebenden Medici-Herzog Francesco I. übergeben.

Die Gruppe wurde im Florentiner Giardino Boboli, dem Park des Palazzo Pitti aufgestellt und geriet im dortigen „Statuenwald“ (Braunfels in Cellini, S. 18, a.a.O.). Erst durch den deutschen Kunsthistoriker und damaligen Direktor des Florentiner Kunsthistorischen Instituts Friedrich Kriegbaum (1901 – 1943) wurde die Statue wieder aufgefunden und befindet sich heute im florentiner Museo Nazionale del Bargello (vgl. Abb. oben).

 

Im Jahre 1729 führte Johann Sebastian Bach im Leipziger Zimmermann’schen Kaffehaus mit dem Collegium musicum seine weltliche Kantate „Geschwinde, geschwinde ihr wirbelnden Winde -  Der Streit zwischen Phoebus und Pan“ (BWV 201) auf, deren Text aufbauend auf den „Metamorphosen“ Ovids von Picander stammte.

Die kunstvolle Probearie  des Apoll in h-Moll „Mit Verlangen drück ich deine zarten Wangen“ ist ein Klagelied und thematisiert den Tod von Hyazinth. Vielfach  gilt dies als erstes Werk der Musikgeschichte, in dem die gleichgeschlechtliche Liebe – zwischen Phoebus-Apollo und Hyakinthos – besungen wird (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Geschwinde,_ihr_wirbelnden_Winde).

 

Zu Beginn des Jahres 1767 trat Pater Rufus Widl, der Leiter des Salzburger Knabengymnasiums, an die Familie Mozart mit einer Bitte heran. Der damals elfjährige Wolfgang sollte eine Oper zum Jahresabschluss der Schule schreiben. Das (lateinische) Libretto nach dem griechischen Hyakinthos – Mythos stammte von Pater Widl selbst.

Das „Intermedium“ W. A. Mozarts „Apollo und Hyazinth“ (KV 38) wurde am 13. Mai 1767 in der Großen Aula der Universität Salzburg uraufgeführt.

Bei Widl / Mozart findet sich nichts von der Homosexualität: Apollo wirbt um die Königstochter, ihr Bruder ist Hyazinth. Der Höfling Zephyrus begehrt selbst die Prinzessin, tötet Hyazinth und beschuldigt - vergeblich - Apollo des Mordes an Hyazinth. Im Herbst 2006 fand in dem wiedereröffneten Berliner Bode-Museum eine szenische und tänzerische Aufführung von Mozarts „Interludium“  statt (vgl. www.apolloundhyazinth.de)

 

(veränderlich, nach einem der antiken griechischen Kalender; ein neuntägiges Fest zu Sommerbeginn, vermutlich im spartanischen Monat Yakinthios, zu Beginn des Gregorianischen Juli)

 

© Christian Meyer

 


[1] Die Etymologie des Namens Hyakinthos ist bis heute ungeklärt. „Yakinthos“ ist vermutlich vorgriechischen Ursprungs; lat. Hyacinthus, dt. Hyazinthus.  

[2] Neben Hyakinthos kennt die griechische Mythologie noch weitere zu Blumen gewordene Gestalten, so Narkissos, Antheos oder Adonis.

[3] Welche Pflanze in der Antike mit der „Hyazinthe“ gemeint war, ist ungewiss, vermutet werden Gladiolen- oder Iris-Arten. Die heutige Garten–Hyazinthe wurde erst im 16. Jhdt. aus Kleinasien eingeführt, der Name im 17. Jahrhundert eingedeutscht. Die Zwiebelpflanze mit trichterförmigen, in Trauben stehenden Blüten wurde im Jahre 1737 von Linné nomenklatorisch erfasst („Hyacintha orientalis L.“). 

„Hyacinth“ ist zudem noch die Bezeichnung für einen Edelstein, u.a. für Zirkone, gewisse Varietäten des Granats und Saphirs (weißliche, gelbliche und rötliche Saphire).

[4] In der Form eines Anapästs (Versmaß aus zwei Kürzen und einer Länge).

[5] Palaiphotos (4. Jhdt. v. Chr.) war der pseudonyme Verfasser des Werkes „Über unglaubliche Geschichten“, das als Auszug erhalten geblieben ist. Der Autor tendierte zu einer rationalen Mythendeutung.

Tiepolo: "Tod des Hyazinth"
Tiepolo: "Tod des Hyazinth"

„Der Tod von Hyazinth“ - Ölgemälde von Giovanni Battista Tiepolo (1696 – 1770), entstanden ca. 1753/54, heute in der Thyssen – Bornemisza – Sammlung / Madrid; man beachte die Hyazinthen unten rechts. Tiepolo kannte eine italienische Übersetzung der „Metamorphosen“, in der Apollo und Hyazinth nicht Diskus warfen, sondern Tennis spielten, deshalb der Tennisschläger und das Tennisnetz.