Katsushika Hokusai (1760 - 1849): „Drei Sperlinge und eine Winde“; kolorierter Holzschnitt; Edo-, Tokugawa-Zeit (Abb. aus: http://www.zeno.org/nid/20004103823

22. Mai: Welttag der biologischen Vielfalt, der Biodiversität

 

Der Verlust der Biodiversität ist eines der größten Probleme auf der Erde. Der 22. Mai soll darauf aufmerksam machen, wie rasend schnell die Biodiversität weltweit verloren geht –  mit schwerwiegenden und irreversiblen Folgen für Natur und Mensch. Hauptverantwortlich für das schnelle Artensterben ist der Mensch.

Vor ca. 3,5 Mio. Jahren waren Vorfahren der Nostoc commune (einer gerne Kolonien bildende Art der Cyanobakterien) „… die ersten Lebewesen, die lernten, wie sich das Sonnenlicht als Energiequelle nutzen ließ. Sie entdeckten die Photosynthese“ (Freistetter, S. 86, a.a.O.). Als Abfallprodukt gelangte damals – erstmals – Sauerstoff in die Atmosphäre, der für die damaligen Erdbewohner, ausschließlich Mikroorganismen, extrem giftig  war: „Es fand das größte Massensterben der Geschichte statt, und nur wenige überlebten diese Katastrophe. Die aber lernten den Sauerstoff zu nutzen, und von ihnen stammen fast alle heutigen Lebewesen ab“ (Freistetter, S. 86, a.a.O.).  

Da auch heute nur Pflanzen die Fähigkeit haben, aus Licht, Luft und Wasser Biomoleküle herzustellen, sind sie die unverzichtbare Grundlage der irdischen Ökosysteme. Alles tierische Leben existiert nur parasitär direkt oder indirekt von Pflanzen.  

 

Nach Berechnungen sterben gegenwärtig (2020) auf der Erde die Tier. und Pflanzenarten hunderte Male schneller aus, als in den vergangenen 10 Mio. Jahren (vgl. Knauer 2020, a.a.O.). Von diesem „Massenaussterben“ sind mittlerweile mehr als eine Million bekannter Arten bedroht.

 

Eine neue Untersuchung von David Eichenberg, Florian Jansen et al. [0] (veröffentlicht im Dezember 2020 in „Global Change Biology“, vgl.  https://doi.org/10.1111/gcb.15447) erfasste die Verluste an pflanzlicher Diversität in Deutschland systematisch, denn bisher gab es nur die punktuellen Eintragungen in der Roten Liste.

Ganz Deutschland wurde für die Untersuchung in Quadratflächen von 5 x 5 km aufgeteilt, dann wurde erfasst, wie sich die Zahl der dort jeweils wachsenden Arten von 1960 bis 2017 verändert hat.   

Festgestellt wurden dramatische Verluste bei der heimischen Flora, 71 % der untersuchten 2136 Pflanzen sind seit 1960 auf dem Rückzug.  Die Forscher stellten auch fest, dass es bis zum Jahre 2017 keinen Totalverlust gab: Keine der untersuchten Pflanzen verschwand völlig aus den Rasterflächen.  

Evident erschienen den Autoren die Unterschiede in der Artenzahl. So wachsen auf den Grünflächen Nordost-Deutschlands (z.T. durch Entwässerung von Mooren entstanden) oft nur 6-7 Arten pro Quadratmeter. ganz ähnliches gilt für überdüngte Flächen in Nordwest-Deutschland. Hingegen wachsen auf nachhaltig bewirtschafteten Flächen zehnmal so viele Arten, die Autoren fanden dort Spitzenwerte von über 100 Pflanzenarten auf dem Quadratmeter.

Seit den 90er Jahren – wurde festgestellt – verlangsamte sich der Artenrückgang deutlich, wobei die Autoren vermuten, dass seither Naturschutzmaßnahmen „griffen“ (vgl. Knauer, a.a.O.). Gleichzeitig aber verstärkte sich der Siegeszug verschiedener Neophyten, pflanzlicher Neuankömmlingen aus aller Welt, die durch die Klimaveränderung auch in Mitteleuropa heimisch werden und die heimische Flora z.T. verdrängen. Außerdem reicht die Neophyten-Artenzahl nicht aus, um den Gesamtverlust an Arten auch nur ansatzweise auszugleichen.     

Die Spezies mit dem deutlichsten Rückgang (−99,8 %) in dem untersuchten Zeitraum ist Anagallis Tenella - Zarte Gauchheil, eine Art, die auf nährstoffarmen moorigen Böden lebt. Umgekehrt erlebte unter den den Neophyten  Senecio inaequidens DC, das Schmalblättrige Greiskraut, das stärkste Wachstums mit +696 %: Ein aus Südafrika und Lesotho stammender Korbblütler, der in allen Pflanzenteilen giftige Alkaloide enthält (vgl.  https://doi.org/10.1111/gcb.15447).

 

Auffällig ist auch die dramatische Abnahme von früher alltäglichen Pflanzen, die mit den ersten Bauern vor ca. 4000 Jahren nach Mitteleuropa kamen, wie dem Klatschmohn (bot. Papaver rhoeas) oder dem Feld-Rittersporn (Consolida regalis). Vor wenigen Jahrzehnten wuchsen sie noch in nahezu jedem Feld, das endete aber mit der zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft. Da die Samen der beiden Pflanzen sich nur schwer von den Getreidekörnern trennen ließen, wurden sie früher oft mit dem Saatgut ausgesät und vermehrt. Heute wird das Saatgut besser gereinigt und zudem sorgen Agrochemikalien häufig für die Vernichtung der „Unkräuter“.   

Für Klatschmohn und Feld-Rittersporn bleiben so vor allem noch Feld- und Straßenränder.

Durch die „Allerweltsarten“ der Pflanzen ernähren sich etwa Insekten, fehlen diese, wird die Nahrung für Vögel knapp, die Bestäubung von Pflanzen erfolgt seltener etc.

„Bei uns geht es inzwischen also ans Eingemachte“ fassen die Autoren der Studie Zusammen (vgl. Knauer 2020, a.a.O.).

Zwar wurden z.B. im Mekong-Delta im Süden Vietnams  allein in den Jahren 2018/19 mehr als 100 neue Arten entdeckt (vgl. „Freitag“, 24. XII. 2020, S. 12), von denen viele aber, kaum entdeckt bereit vom Aussterben bedroht sind. Insbesondere die Schildkröten Südasiens sind vom Aussterben bedroht, da sie gejagt werden: Ihr Fleisch gilt dort als Delikatessen. 

 

Von wachsender Bedeutung bei der Gefährdung der Biodiversität ist die industrialisierte Landwirtschaft mit ihren Millionen Tonnen von Ackergiften, insbesondere durch Glyphosat werden immer mehr Menschen, Tiere und Pflanzen anscheinend langsam vergiftet. Glyphosat ist das weltweit am häufigsten angewendete Herbizid.

  •                  Monsanto gab bereits 1983 eine Studie in Auftrag, die auf ein erhöhtes Krebsrisiko beim Menschen durch Glyphosat hinwies.
  •                  Neue Studien belegten einen „signifikanten Zusammenhang“ zwischen Glyphosat und Lymphgewebe-Krebs: Die Gefahr stiege beim Menschen um 41 %.
  •                    Bereits jetzt (2021) haben ca. 50 % aller Städter in Europa Spuren von Glyphosat im Körper: Niemand, nicht Mensch nicht Tier kann vor dem Gift sicher sein.
  •                     Im Jahre 2019 stießen Bayer-Monsanto 3,71 Mio. t Co2 aus, ein großer Anteil davon geht auf die energieintensive Herstellung von Glyphosat zurück.
  •                    Glyphosat verseucht Flüsse, lässt Algen wachsen; dadurch wird tiefergelegenen Pflanzen das Licht vermindert, ihre Zersetzung entzieht Fischen und anderen Wasserlebewesen. den lebensnotwendigen Sauerstoff.
  •                    Böden verlieren durch Glyphosat ihre natürliche Fruchtbarkeit: Kräuter lockern nicht mehr den Boden auf, Mikroorganismen und Pilze produzieren keine Nährstoffe mehr.
  •                     In zum Beispiel Nordrhein-Westfalen sind seit 1989 bis zu 80 % der Fluginsekten ausgestorben, Brutvögel gingen um bis zu 90 % zurück.
  •                     Allein in den USA, Kanada und Australien klagen mehr als 150 000 Menschen gegen Bayer-Monsanto, da Glyphosat ihre Gesundheit zerstört habe. Monsanto versucht, die Kläger*innen mit einer Entschädigung von 10 Mrd. US-Dollar ruhigzustellen – aber die Profite von Glyphosat sprudeln bis heute weiter.

Die „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ fordert bereits seit Jahren einen sofortigen Glyphosat-Stopp!

 

Die indische Physikerin und Trägerin des alternativen Nobelpreises von 1993 Vandana Shiva (*1952) urteilte: „Konzerne wie Monsanto und Bayern sind. Eine wachsende Gefahr für die Menschheit und den ganzen Planeten“ (vgl. www.cbgnetwork.org/glyphosat-fakten).

 

Der Einsatz von Glyphosat wurde in Deutschland im September 2021 eingeschränkt und soll bis 2023 gänzlich verboten werden (vgl. „Die Zeit-online“ vom 8. September 2021). Geändert wurde die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung (PflschAnwV). Nun wurde die Anwendung von Glyphosat z.B. zur Unkrautbekämpfung vor der Ernte verboten, sowie in und nahe bei Biosphärenreservaten und Wasserschutzgebieten. Geplant wurde ein völliges Verbot von Glyphosat zum 1. Januar 2024.

Die neue „Ampel“-Bundesregierung verlautbarte im Januar 2022 das Verbot vorziehen zu wollen.

 

Notwendige Maßnahmen, um die das Leben, saubere Luft, sauberes Wasser und hinreichende Nahrung sichernde Biodiversität zu bewahren wären u.a. …..

  •        Eine Wende in der Landwirtschaft; Förderung von Bauern, die ihre Felder weniger stark düngen
  •          Die Schaffung von vielen Blühstreifen in Stadt und Land für Kräuter und Wildpflanzen, auch für die Insekten
  •         Ein konsequenter Klimaschutz
  •         Die Schaffung von mehr Schutzgebieten und Nationalparks
  •          Eine grundlegende ökologisch-soziale Umorganisierung von Wirtschaft und Gesellschaft

Biodiversität –  Beispiel Spatzen

Spatzen/Sperlinge [1] sind ein interessantes Beispiel für die ökologischen Folgen eines traditionell zumindest ambivalenten Images, das nicht nur zu privater Nachstellung, sondern sogar mehrfach zu Verfolgungen durch den Staat führte. Zum einen werden Spatzen als putzig und niedlich empfunden, „Spatz“ ist ein verbreitetes Kosewort. Umgekehrt werden Spatzen bis heute regional z.B. auch als „Korndieb, Gerstendieb, Speicherdieb“ bezeichnet. Der heute negativ benutzte Begriff „Dreckspatz“ bezog sich eigentlich auf die von Spatzen zur Reinigung benötigten Staubbäder.

In der Bibel werden Sperlinge von Jesus als Beispiele für wertlose Handelsgegenstände genannt: „Verkauft man nicht fünf Sperlinge um zwei Pfennige?“ (Luk 12, 6.7; ganz ähnlich Matth 10, 29.31).

Berühmt ist das Gleichnis vom Sämann: „… und indem er säte, fiel etliches an den Weg; da kamen die Vögel und fraßen’s auf“ (Matth 13, 3.4.). Unter den hier angeführten Vögeln waren sicher auch Sperlinge mit gemeint –

als „Korndiebe“ traditionelle Feinde der Bauern und als Schädlinge bekämpft.    

Der Haussperling (zool. „passer domesticus“) gehört zur weltweit verbreiteten Ordnung Passeres, zu der mehr als die Hälfte aller Vogelarten zählen. Alle Sperlingsvögel haben Gangfüße mit nach hinten gerichteter Innenzehe und kratzen sich „hinten herum“ den Kopf. Des Weiteren sind die Sperlingsvögel Nesthocker und sperren den Schnabel den fütternden Eltern entgegen auf (vgl. Stöcker, S. 773, a.a.O.).    

Der Haussperling war ursprünglich in Baumsavannen beheimatet, ist ein typischer Kulturfolger, der sich schon vor ca. 10 000 Jahren dem Menschen angeschlossen hat und dabei vermutlich vom Zug- zum Standvogel wurde. Spatzen sind ausgesprochen standorttreu und bewegen sich auch auf dem Lande meist nur in einem Radius von maximal 5 km. Der Sperling ist – außer in den Tropen und den Polargebieten – weltweit verbreitet, von den Menschen wurde er in Amerika und Australien eingeführt. Spatzen leben gesellig und brüten gerne in Gemeinschaft, in Kolonien mit anderen Paaren. Zwischen März und August liegt die Brutzeit, meist gibt es pro Jahr zwei bis vier Bruten mit 4 bis 6 Eiern. Allerdings überleben durchschnittlich nur weniger als 50 % der Jungvögel das erste Jahr. Die Brutdauer beträgt ca. 14 Tage, die Nestlingsphase bis zum Flügge-Werden beträgt nochmals ungefähr 16 Tage. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 2 Jahren können Spatzen ein Alter von bis zu 10 Jahren erreichen. Die Spatzengeschlechter sind leicht zu unterscheiden: Das Männchen hat einen grauen Scheitel, einen dunkelbraunen Nacken, eine schwarze Kehle und weiße Wangen. Das Weibchen hingegen ist graubraun ohne auffällige Merkmale.

Schon in der Antike wurden Spatzen mit sexueller Aktivität [2] assoziiert, vermutlich weil sie sich oft und auch „ungeniert“ vor den Augen der Menschen paaren. So nahm man an, der Verzehr von Spatzenfleisch würde sexuelle Wünsche stimulieren. Dabei pressen bei nahezu allen Vögeln Männchen und Weibchen ihre Hinterteile aneinander, tauschen Körperflüssigkeiten aus und fliegen wieder auseinander. In wenigen Sekunden ist dann alles vorbei.

In der 3. Szene von Aristophanes „Lysistrata“ wollen rebellische, aber „männertolle“ Frauen aus der Akropolis zu ihren Männern zurück in die Stadt. Eine der Frauen wollte bezeichnenderweise „… mit den Spatzen … gar fliegen zum Orsilochos hinab“, ihrem Mann (Aristophanes, in Werner 1987, S. 232/33, a.a.O.).

Der römische Lyriker Catull (ca. 87 – 55 v. Chr.) schrieb in seinem 2. und 3.  überlieferten Gedicht, gerichtet an seine langjährige Geliebte Lesbia/Clodia „Passer, deliciae  meae puella…“:

            „Sperling, meiner Geliebten süße Freude,

                                                                Den sie nahe dem Herzen hegt und hätschelt,

                                                                Dem sie neckend den kleinen Finger hinhält…“.

                                                              

                                                               „Tot ist meiner Geliebten schöner Sperling,

                                                                Freude meiner Geliebten, schöner Sperling,

                                                                Den sie noch mehr geliebt als ihre Augen…“ (Catull, o.J., S. 53, a.a.O.).

Von anderen Übersetzern wurde „Passer” mit „Vöglein“ wiedergegeben (vgl. Catull, 1981, S. 5, a.a.O.) – an dem erotischen Bezug ändert das nur wenig. Im Mittelalter wurden Spatzen zu einem Symbol der Unkeuschheit.

 

Nach Schätzungen beläuft sich der weltweite Bestand an Spatzen auf ca. 500 Mio. Exemplare – in einigen Regionen ist der Spatz auf der Vorwarnliste bedrohter Arten. Im Jahr 2018 hat Hamburg als erste deutsche Großstadt den Haussperling auf die Stufe der gefährdeten Vögel gesetzt.

Der Hausspatz war der Vogel des Jahres 2020.

Hinsichtlich der Habitate sind Sperlinge variabel, nicht besonders wählerisch: Sie gehören zu den Gebäudebrütern. Meist werden die Nester in Mauernischen oder Hohlräumen unter Dachziegeln, Höhlen hinter Regenrohren oder Stellen an Efeuwänden gebaut, gerne auch in Baumhöhlen, aber auch mal frei in Büschen oder Bäumen, in Nistkästen mit großer Öffnung. Es  gab schon Brutplätze in Lüftungsschächten, Ampeln oder unter Storchennestern. Haussperlinge leben heute in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, ein kleiner Hohlraum hinter einer Spalte genügt. Sperlinge besetzen keine eigentlichen Reviere, sie verteidigen nur ihren direkten Brutplatz. Ihre Nester bauen sie aus Gras, Halmen und Moos [2a] , polstern es innen mit Federn aus.

Nachweislich bringen seit einigen Jahren Spatzeneltern Müll, auch Plastikmüll in ihre Nester. Wenn die Jungtiere davon fressen, können sie sterben: Mit zu viel Plastik im Magen verhungern sie mit vollem Magen ( https://www.brodowski-fotografie.de/themen/alles-ueber-vogelsterben.html). 

 

In ländlichen Gebieten der Erde machen die Samen von Getreidearten (v.a. Weizen) bis zu 75 % der Nahrung aus. Hinzu kommen die Samen von Wildkräutern und –gräsern.

Vor allem für die Fütterung der Jungen benötigen Sperlinge tierische Nahrung, insbesondere Insekten.

Da Insekten wie auch Wildkräuter und –gräser sowie auch geeignete Habitate für Sperlinge durch menschliche Einwirkungen (neue und sanierte Gebäude mit glatten und gedämmten Fassaden ohne Nischen) immer seltener werden, ist der Bestand dieser Art vielfach gefährdet.      

In den Städten zeigen Sperlinge ein „opportunistisches“ Verhalten, sie wurden zu Allesfressern. Für die Fütterung der Jungen benötigen die Spatzen allerdings auch tierische Nahrung, sonst drohen den Küken schwere Gesundheitsprobleme.

Indizien für das zwiespältige Bild der Spatzen bieten z.B. auch deutsche Sprichwörter:

„Aus dem Sperling wird kein Falke und wenn er noch so hoch fliegt“

„Der Sperling singt wenig, aber er lärmt viel“

„Ein Sperling schimpft den anderen Dachscheisser“

„Jungen Sperlingen und jungen Edelleuten soll man beizeiten die Köpfe eindrücken“

„Wenn alle Sperlinge Korn kennten, würde man nicht ernten“

„Wer Sperlinge scheut, wird kein Korn säen“

„Es gibt mehr Spatzen als Lerchen“

 „Der Spatz ist ein tückischer Fratz“

„Ein Spatz frisst mehr im Jahr wie ein Mensch“ (vgl. Wander, Bd. IV, S. 669 – 689, a.a.O.). 

 

Der französischer Naturforscher Georges-Louis Leclerc de Buffon (1707 - 1788) urteilte resümierend in seiner Naturgeschichte der Vögel“: „Da sie (die Sperlinge C.M.) faul sind und viel fressen, so nehmen sie ihren Unterhalt aus schon ganz angefüllten Vorräthen, das heißt, sie leben von den Güthern eines anderen. Unsere Scheunen, Kornböden, Höfe, Taubenhäuser, mit einem Worte, alle Oerter, wo man Korn sammlet und ausschüttet, besuchen sie am vorzüglichsten. Und da sie eben so gefräßig als zahlreich sind, so thun sie mehr Schaden, als sie Nutzen stiften, denn ihre Federn taugen zu nichts, ihr Fleisch ist nicht wohlschmeckend, ihre Stimme beleidigt unsere Ohren, ihre Zudringlichkeit ist beschwerlich, ihr unverschämter Muthwillen ist lästig, sie sind überhaupt Geschöpfe, die man überall antrifft, und von denen man nicht weiß, was man mit ihnen machen soll und die so viel Verdruß verursachen, dass sie in gewissen Gegenden in die Acht erklärt und ein Preis auf ihr Leben ausgesetzt ist."

Vielfach werden Sperlinge bis heute v.a. in der Landwirtschaft als Schadvögel betrachtet.

Im Brockhaus „Landwirtschaft“ von 1974 wurden Spatzen deutlich negativ charakterisiert: „Die Sperlinge schaden durch Knospenverbiss, durch Fraß der keimenden Samen, an jungen Pflanzen und reifendem Getreide, von dem ein Sperling im Jahr etwa 2,5 kg vernichtet. Der Nutzen durch Verfüttern von Insekten an Jungsperlinge ist geringer als der Schaden … Die Bekämpfung erfolgt v.a. durch Auslegung von Giftgetreide. Auf kleinen Flächen können die Saaten durch Vogelscheuchen oder Abdecken geschützt werden. Alle Bekämpfungsmaßnahmen müssen in größeren Gebieten durchgeführt werden“ (Leibnitz 1974, Bd. II. S. 1937, a.a.O.).

Bis in die Gegenwart hat sich bei der Sicht auf die Spatzen viel verändert: Sie sind seltener, eine bedrohte Art. Zudem spielt die Landwirtschaft im Bewusstsein und der Erfahrung vieler Menschen eine geringere Rolle, so dass das Erlebnis einer bedrohlichen Nahrungskonkurrenz seltener geworden ist. Viel öfter erleben Menschen die Spatzen als putzig hüpfende, bettelnde Vögel.

Eine Bekämpfung der Spatzen spielt von daher nur noch eine geringere Rolle. Sie sind keine zu jagenden Tiere, Giftgetreide muss farblich gekennzeichnet sein, so dass Sperlinge es nicht annehmen.

Wo Vögel durch ihre pure Anzahl zu einem Problem für Menschen werden, können sie durch Herbeiführung einer Nahrungsknappheit oder die Ansiedlung natürlicher Feinde (Sperber, Turmfalken) bekämpft werden. Auch Scheuchen, Tierfiguren etc. werden angewandt. Inwieweit technische Hilfsmittel wie Ultraschall als Vogelschreck längerfristig funktionieren ist m. E. umstritten.

 

Geradezu ein Lehrstück zur Biodiversität stammt aus der Zeit Mao Tse-tungs aus China. Kurz vor dem „Großen Sprung nach vorn“ [3] wurde in der Volksrepublik unter dem Slogan eine Kampagne eingeleitet: „Eröffnet das Feuer gegen die Natur, verwirklicht technische Innovation und technologische Revolution“. Tatsächlich sah Mao zumindest damals die Natur als zu überwindenden Feind an, was auf einen missverstandene Text von Friedrich Engels („Dialektik der Natur“) zurückzuführen sein soll [4]

Ausgerottet werden sollten durch Massenkampagnen die vier Plagen (chin.: 除四害 chú sìhài), oder die vier Übel, die Ratten, Fliegen, Stechmücken und eben die Spatzen [5]. Wie der deutsche Journalist und Autor Stephan Reich in seinem Spiegel-Artikel anführte, meinte Mao: "China muss zu einem Land werden, in dem es keinen einzigen der vier Schädlinge mehr gibt"; denn sie seien Schädlinge, die dem Menschen Krankheiten bringen und Nahrung nehmen (vgl. Reich, a.a.O.).

Hintergrund der Massenkampagnen waren auch die immer wieder akute Nahrungsmittelknappheit und drohenden Hungersnöte im damaligen China.

Mao Tse-tung meinte, „… es wäre eine gute Idee, alle Spatzen loszuwerden, weil sie Getreidekörner aufpickten“ (Chang, S. 563, a.a.O.). In China trug die Kampagne die Bezeichnung „Große Spatzenkampagne“ (||||) oder „Kampagne zum Töten der Spatzen“ (灭麻雀运动; || – máquè Spatz).

 

Der chinesische Dichter, Übersetzer (z.B. Goethe und Schiller) sowie (zeitweise) hochrangige Politiker Guo Moruo (1891 – 1978) schrieb zu der Kampagne ein 18-zeiliges Gedicht, in dem es hieß:  

„Spatz, du bist ein Mistvogel, ein Verbrecher seit Tausenden Jahren. Heute rechnen wir mit dir ab. Wir schlagen dich und zerstören deine Nester. Am Ende werden wir dich verbrennen. Wenn du und alle vier Übel vernichtet seid, ist die Welt wieder in Harmonie" (zit. n. Reich, a.a.O.).

 

In der Folge wurde in ganz China die gesamte Bevölkerung zu einer beispiellosen Hetzjagd auf Spatzen mobilisiert, der vermutlich ein sehr großer Teil der Vögel zum Opfer fielen. Ende April – Anfang Mai 1958 gab es zur Ausrottung der Spatzen landesweit die drei „Tötet die Spatzen-Tage“ (vgl. Paloczi-Horvath, S. 240, a.a.O.). Stundenlang wurde gelärmt und Unruhe verbreitet, „… damit die Spatzen es nicht mehr wagten, sich irgendwo niederzulassen, so dass sie schließlich erschöpft vom Himmel fallen würden und beseitigt werden könnten“ (Chang, S. 563, a.a.O.).  Nach Schätzungen waren bis zu 2 Mrd. Vögel – nicht nur Spatzen – Opfer der Hetzkampagne.

Der nach Deutschland emigrierte Hamburger Historiker und Sinologe Kuan Yu-Chien (1931-2018) schrieb dazu: „Ich erinnerte mich an einen Tag, an dem die ganze Bevölkerung nichts anderes machte, als mit Gongs und Töpfen und allen möglichen anderen zum Krachmachen geeigneten Gegenständen auf den Straßen und in den Höfen herumzulaufen, um die Spatzen aufzuscheuchen. Den ganzen Tag war so laut gescheppert worden, dass die Vögel sich nirgends niederlassen konnten und schließlich tot vom Himmel fielen. An jenem Tag wurden Millionen von Vögeln getötet, und wir waren alle ganz stolz darauf gewesen. War es nicht fantastisch, wie es Mao Zedong gelang, die gesamte Bevölkerung für ein gemeinsames Ziel zu mobilisieren? Erst später erfuhren wir, dass die Vögel, die in der Stadt lebten, immer in der Stadt blieben und deshalb gar keinen Schaden auf den Feldern anrichten konnten. Im Gegenteil: Da nicht nur die körnerfressenden Spatzen von der Aktion betroffen waren, hatten wir anschließend eine Insektenplage erlebt“ (Kuan, S. 468, a.a.O.).

Vergeblich warnten einige Wissenschaftler davor, durch die Spatzenjagd drohe das ökologische Gleichgewicht zerstört zu werden.

Und tatsächlich stellte sich rasch heraus, dass die Spatzen eben nicht nur Getreidekörner aufpickten, sondern auch Unmengen von Insekten. In der Folge der Spatzenjagd kam es deshalb zu einer katastrophalen Insektenplage. Z.B. konnten sich Heuschrecken durch das Fehlen des Fressfeindes Spatzen ungestört vermehren: Riesige Heuschreckenschwärme fraßen ganze landwirtschaftliche Regionen leer. In der Provinz Nanking waren zwei Drittel der Anbauflächen von Schädlingen befallen.

 

Die Spatzen-Kampagne war eine der Ursachen durch den „Großen Sprung nach vorn“ für die Große Chinesische Hungersnot (chin. 三年大饑荒 / 三年大 - Sānnián dà jīhuāng – „Die dreijährige große chinesische Hungersnot“) von 1959–61. Diese Hungersnot wird bis heute auch „die drei bitteren Jahre“  genannt. Sie gilt vielfach als die größte Hungersnot in der Geschichte der Menschheit (Schätzungen zwischen 15 und 55 Mio. Opfern).

Im Jahr 1960 erfolgte eine Änderung der Kampagne: Da nun wegen des Populationseinbruches bei Vögeln wichtige Fressfeinde von Agro-Schädlingen fehlten, wurde jetzt von Mao die Ausrottung von Bettwanzen anstelle von Spatzen als Kampagnenziel genannt: "Stellt die Jagd auf Spatzen ein und ersetzt sie durch die Bettwanzen. Unsere neue Parole soll heißen: Vernichtet Ratten, Bettwanzen, Fliegen und Moskitos" (zit. n. Reich, a.a.O.).   

 

Später wurde die Sowjetunion um Hilfe gebeten: Es wurden – im „Rahmen der Internationalen Solidarität“ -aus dem Fernen Osten der UdSSR ca. 200 000 Spatzen nach China exportiert (vgl. Chang, S. 564, a.a.O.), so dass der Spatzenmangel nach einigen Jahren vermindert werden konnte.

Die staatlichen Stellen tendierten allerdings dazu, auch das Spatzenproblem, wie alle Folgen des „Großen Sprungs nach vorn“, zumindest z.T. auf Wetter- und Klimaereignisse zurückzuführen (vgl. Bettelheim 1968, S. 33, a.a.O.). 

Erst nach Mao Tse-tungs Tod (9. September 1976) verlautbarte Xinhua, die chinesische Nachrichtenagentur: Sperlinge/Spatzen sind eher Nützlinge als Schädlinge. Die Behörden in der Provinz Shandong bemühten sich damals immer noch, die Sperlingspopulation zu erhöhen.

Seit Jahren steht der Spatz in China auf der roten Liste der bedrohten Arten. FürWilderei bedrohter Vögel" kann man sogar ins Gefängnis gehen. Bis heute hat sich die Spatzen-Population in China nicht vollkommen erholt.

 

Fußnoten: 

 

[0] Beteiligt an der Untersuchung waren u.a. das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ, in Leipzig), die Universität Rostock und das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv, in Halle, Jena und Leipzig).  

[1] Die Namen „Spatz - Sperling“ kommen vom ahd. (8.Jhdt) „sparo“ „zappeln“ mit der deminutiv gebrauchten Endsilbe „–ling“ zu mhd. „sperlinc“; „Sperling“ bedeutet also eigentlich „kleiner, junger Spatz“ (verwendet v.a. in Nord- und Ostdeutschland). „Spatz“ ist dagegen oberdeutsch: „sparo“ mit dem vor allem für Kurznamen verwendeten Suffix „– (i)zo“ zu mhd. „spaz“ und „spatze“ (14. Jhdt.). Verwandt sind die Worte mit den gleichbedeutenden got. „sparwa“ und gr. „spergulos“ (vgl. Pfeifer, Bd. III, S. 1664 & 1669, a.a.O.).

[2] Vögel symbolisieren generell oft die Stärke, das Leben und die Unsterblichkeit, die Seele, und auch die Fruchtbarkeit (vgl. Chevalier, S. 697, a.a.O.). Schon seit dem 15. Jhdt. (spätmhd. „vogelen“) ist das Verb „vögeln“ ein abwertender, derb-umgangssprachlicher Begriff auch für den menschlichen Geschlechtsverkehr (vgl. Pfeifer, Bd. III, S. 1916, a.a.O.).

[2a] Im Botanischen Garten in Berlin werden deshalb im Winter die Moosgärten mit Plastiknetzen abgedeckt, um Abfraß der Vögel zu verhindern. Denn diese lieben es, ihre Nester mit frischem Moos auszupolstern.   

[3] Der einst prominente sowjetische Ökonom und Soziologe Alexei Matwejewitsch Rumjanzew (1905–1993) kritisierte die Vorstellung eines „Großen Sprungs nach vorn“ unabhängig von den materiellen und sozialen Voraussetzungen für den „Sprung“ als „voluntaristisch“ (vgl. Rumjanzew, S. 73, a.a.O.).

[4] Friedrich Engels sah die Natur keineswegs als „Feind“ an, sondern meinte, die Menschen würden sie ihren „Zwecken dienstbar“ machen, sie zu beherrschen versuchen. „Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unseren menschlichen Siegen über die Natur … Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns … Die Verbreiter der Kartoffel in Europa wussten nicht, dass sie mit den mehligen Knollen zugleich die Skrofelkrankheit verbreiteten“ (Engels 1971, S. 173, a.a.O.). Weiter betonte Engels, dass wir Menschen nicht „… außer der Natur stehen“, ihr vielmehr „… mit Fleisch und Blut und Hirn … angehören und mitten in ihr stehen“ (Engels 1971, S. 173/74, a.a.O.). Ziel müsse es sein, die Gesetze der Natur „… richtiger (zu) verstehen und die näheren und entfernteren Nachwirkungen unserer Eingriffe in den herkömmlichen Gang der Natur (zu) erkennen, … sich wieder eins mit der Natur nicht nur (zu) fühlen, sondern auch (zu) wissen …“ (Engels 1971, S. 174, a.a.O.). Ach, hätte doch Mao Engels sorgfältiger studiert….         

[5] Ganz ähnliche Bekämpfungsaktionen gegen Spatzen waren…

·         … der „Spatzenkrieg“ des preußischen Königs Friedrich II., der als erster überlieferter Fall dieser Art gilt. Seit dem Jahr 1744 wurde ein Kopfgeld für Spatzen durch den König ausgesetzt, um die Felder vor den Spatzen zu schützen. Wegen der durch die Dezimierung der Sperlinge verursachten starken Ausbreitung der Insekten wurde dieses Kopfgeld jedoch bald wieder abgeschafft. Der König ließ sogar für teures Geld aus dem Ausland neue Spatzen importieren.

·         … die „Spatzenkriege“ Herzog Karls I. von Braunschweig-Wolfenbüttel 1749, des Markgrafen Karl Alexander von Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Bayreuth 1771 oder der „Sperlingskrieg“ in Westfalen zwischen 1816 und 1845 – alle mit ähnlich negativen Folgen.

 

(unveränderlich, nach dem Gregorianischen Kalender)

 

© Christian Meyer 

 

Vincent van Gogh: „Der Sämann“, Öl auf Leinwand, 1888, Arles; heute im Köller-Müller-Museum, Otterlo/NL (niederländische Postkarte, ca. 2002). Es hier sind es allerdings eher Krähen, die dem Sämann „helfen“. Das Bild gehört zu einigen thematischen Varianten, die van Gogh dazu erstellte.

 

Heutige Sä- oder Drillmaschinen bringen das Saatgut  in eine genaue und gleichmäßige Tiefenablage, was auch zu weniger Vogelfraß führt.

 

 

 

 

 

 

 

 

Chinesisches Propagandaplakat gegen u.a. die Spatzen (Foto: IISH/ Stefan R. Landsberger/ Private Collection , aus Reich, a.a.O.).

 

 

 

 

 

 

 

Propagandaplakat: „Kampagne zum Töten der Spatzen“, Farblithographie von Bi Cheng  (Abb. aus: http://www.fine-art-images.net/de/showIMG_28181.html)

 

 

Ein Elefant braucht zum Überleben täglich ca. 150 l Wasser und ca. 300 kg Nahrung. - angesicht von Dürrezeiten ein riesiges Problem.