Die Feuerprobe
Die Feuerprobe

Abb.: „Die Feuerprobe“ Santo Domingo y los Albigenses; Gemälde von Pedro Berruguete (um 1450 – 1504), entstanden um 1495, heute im Museo del Prado/Madrid. Links stehen Dominicus und die Seinen, rechts die Albigenser. Ein knieender Mann wirft gerade ein Buch ins Feuer, in dem einige "häretische" Schrften brennen, während ein "rechtgläubiges" Buch wunderbarerweise über den Flammen  schwebt. 

10. Mai 1933 - Tag der Bücherverbrennungen in Deutschland

Unter einer Bücherverbrennung versteht man  eine demonstrative, meist öffentlich durchgeführte Zerstörung von Büchern und Schriften durch Feuer. Die Verbrennung kann symbolisch oder de facto erfolgen, u.U. da dem Feuer vielfach eine reinigende Kraft zugesprochen wurde. Motive für die Verbrennung konnten politischer, reli-giöser oder auch moralischer Art sein. Die Bücherverbrennungen können staatlich organisiert oder geduldet sein, es gab aber auch Verbrennungen missliebiger Bücher als Protest gegen staatliche Politik: So z.B. bei dem Wart-burgfest der Burschenschaften am 18. Oktober 1817. 

„Biblioklasmus“ [1], Bücherverbrennungen, „Bücherhinrichtungen" haben eine üble, aber leider uralte und weltweite Tradition. Sie begleiten die gesamte bekannte Geschichte der Menschheit, von der Antike bis in die Gegenwart. Einen traurigen Höhepunkt bildete das europäische 17., 18. und 20. Jhdt. 



Der als erster chinesischer Kaiser bekannte Qin Shihuangdi (259 – 210 v. Chr.) und Gründer der Qin-Dynastie [2]  wendete bei seiner staatlichen Einigung und Vereinheitlichung von Maßen, Gewichten etc. rigorose Mittel an. Die vielfältigen divergierenden philosophischen Schulen sollten abgeschafft und verboten werden, nur noch die als staatstragend angesehene Philosophie des Legalismus sollte erhalten bleiben. Ein Edikt des kaiserlichen Kanzlers Li Ssu aus dem Jahre 213 „… stellte den privaten Besitz bestimmter Schriften unter Todesstrafe; alle vorhandenen Exemplare mussten abgeliefert und durch die Behörden vernichtet werden … Die Proskription er-streckte sich … auf das politisch relevante Schrifttum und diejenigen Werke, die im Rahmen einer regionalen oder philosophischen Tradition standen. … Nicht betroffen von der Aktion war das politisch neutrale Sach- und Fachschrifttum über Medizin, Ackenabu, Orakelkunde etc.“ (Franke / Traugott, S. 76, a.a.O.). Der Überlieferung nach wurden noch im Jahre  213 v. Chr. die beschlagnahmten Bücher verbrannt.

 

In der Apostelgeschichte wird von einer Bücherverbrennung besonderer Art berichtet. Der Apostel Paulus mach-te auf seiner 3. Missionsreise für ca. zwei/drei Jahre in Ephesos Station (um 52 – 56). Angesichts der Kranken-heilungen und anderer Wundertaten des Apostels bekehrten sich dort viele Juden und Griechen, insbesondere einige Magier: „Viele aber, die da vorwitzige Kunst getrieben hatten, brachten die Bücher zusammen und ver-brannten sie öffentlich und überrechneten, was sie wert waren, und fanden des Geldes fünfzigtausend Groschen“ (Apg 19, 19) – nach heutigem Wert ca. 100 000,- €.  
Mit „vorwitziger Kunst“ waren magische Beschwörungen und Zauberei gemeint. Wie Rudolf Bultmann ausführte, fühlten sich viele damalige Menschen „… den Nachstellungen ungreifbarer tückischer Mächte preisgegeben“ und sahen „… sich um nach übernatürlichen Kräften, die … helfen können“. Sie öffneten „… sich … dem Angebot berufsmäßiger Beschwörer und Zauberer, die Geister bezwingen und sogar in ihren Dienst stellen können …“ (Bultmann, S. 147, a.a.O.).
Die von der Apostelgeschichte erzählte Aktion in Ephesos war von Freiwilligkeit gekennzeichnet, was bei späteren kirchlichen Bücherverbrennungen keineswegs immer der Fall war.

Im Zuge der (letzten) römischen Christenverfolgungen ließ Kaiser Diokletian (284-305) im Jahre 303 christliche Schriften auf Marktplätzen im ganzen Römischen Reich verbrennen. 

 

Die Brände der Bibliotheken von Alexandria, die 288 v. Chr. gegründeten größten und berühmtesten der Antike, waren Katastrophen, die viele antike Schriften unwiederbringbar zerstörten. Die größere Bibliothek, das Museion, erlitt bereits 47 v. Chr. bei der Eroberung Alexandrias durch Caesars Soldaten massive Schäden. 391 ging das Serapeum, Gelehrtenzentrum und Bibliothek vieler Jahrhunderte, in Flammen auf: Fanatische Christen wollten das „heidnische“ Schrifttum zerstören. Die letzte Bezeugung des Gebäudes datiert um 380 (vgl. Lewis, a.a.O.). Später, im 13. Jhdt. wurde in Europa die Legende erfunden, die muslimischen Araber hätten 642 nach der Eroberung Alexandrias die Bibliothek verbrannt: Wenn die Inhalte der vielen Bücher dem Koran entsprächen, wären sie überflüssig. Wenn die Bücher aber dem Koran widersprächen, müssten sie umso eher brennen – besagt die bösartige Legende.

Der Hl Dominicus (1170- 1221), der Gründer des (später) mit der Ketzerbekämpfung beauftragten Prediger-Ordens (auch: Dominikaner) vollführte in Albi im Jahre 1207 in einer Disputation mit Katharern eine Art experimentelle Bücherverbrennung. Katholische Schriften wie auch Schriften der Albigenser wurden den Flammen übergeben. Dominicus prüfte die Bücher auf eine eigene Art: die – häretischen – Schriften der Katharer würden – meinte er – im Feuer bleiben und verbrennen, während das Feuer den - rechtgläubigen - katholischen Büchern nichts anhaben könne: sie würden in den Himmel emporgehoben – wie es wunderbarerweise auch geschehen sei, behauptet zumindest die Legende.  
Eine weitere Legende erzählt zudem, dass einst der Hl. Dominicus seine Argumente, die er in einer Predigt gegen die Katharer angeführt hatte, einem die „Ketzer“ anschließend auf einem Stück Papier aufgeschrieben habe damit er sie in Ruhe überdenken könnte. Der katharische Empfänger des Zettels aber habe diesen einer Feuerprobe unterzogen, wobei das Papier dreimal den Flammen widerstand und heraussprang (vgl. Scholz-Hänsel, S. 111/112, a.a.O.). Jedoch hatten auch die wunderbaren Feuerproben nicht den gewünschten Effekt, 2009 rief der Papst zum Kreuzzug gegen die Albigenser auf.

 

Am 7. Februar 1497 und am 17. Februar 1498 (vgl. auch „Karneval“) ließ der Dominikaner Girolamo Savonarola in Florenz durch die „Kinderpolizei“ z.T. freiwillig, z. T. durch Haussuchungen viele in seiner Sicht sündige Objekte (auch allerlei Kunstwerke) sammeln und in einer „Verbrennung der Eitelkeiten” („bruciamenti delle vanità“) auf der Piazza della Signoria öffentlich vernichten.  Neben Glücksspielen, Kosmetikartikeln, (an-geblich) „lasziven Bildern“ (u.a. von Botticelli, vgl. Lévy, S. 106) ließ Savonarola viele „ruchlose Bücher“ (Lévy, S. 106, a.a.O.) verbrennen. Unter den anstößigen, beschlagnahmten Büchern, die den reinigenden Flammen übergeben wurden, waren u.a. Schriften Dantes, Petrarcas, Boccaccios und Ovids. Wie Bernard-Henri Lévy meinte, wandte sich unter Savonarola der Reinheitswahn gegen die Schönheit, die Kultur: Der Reinheitswahn entzündete das Holz der Scheiterhaufen (vgl. Lévy, S. 107, a.a.O.).

 

 

Martin Luther veranlasste am 10. Dezember 1520 die Akano­­­­ni­schen Rechtsbücher und die päpstliche Bannandrohungsbulle in Wittenberg zu verbrennen. Diese Aktion markierte und symbolisierte die endgültige Abkehr vom Katho­lizismus und das Ende der Bestrebungen, eine gütliche Einigung im Konfes­si­onsstreit zu finden.

 

 

Am 12. Juli 1561 ließ der Bischof von Yucatán, Diego de Landa, vor dem Franziskanerkonvent in Mani/Yucatán alle „heidnischen“ Objekte auf einem Scheiterhaufen in einem Autodafé verbrennen. Dazu gehörten auch alle verfügbaren, von Maya-Priestern gesammlten Codizes: „Wir fanden bei ihnen eine große Zahl von Büchern mit diesen Buchstaben, und weil sie nichts enthielten, was von Aberglauben und den Täuschungen des Teifels frei wäre, verbrannten wir sie alle, was die Indios zutiefst bedauerten und beklagten“ (de Landa, S. 227, a.a.O.).  Nur drei Codices (so der Codex Dresdensis) überlebten diesen Zivilisationsmord.

 
Berühmt ist das Zitat aus Heinrich Heines Tragödie „Almansor“ (1821, erschienen 1823). Der Titelheld Al-mansor berichtet, dass „… der furchtbare Ximenes [3] … inmitten auf dem Markte zu Granada – mir starrt die Zung’ im Munde – den Koran in eines Scheiterhaufens Flammen warf“. Darauf antwortete Hassan, in der Tragödie ein muslimisch gebliebener Guerillero im spanisch eroberten Anadalusien um das Jahr 1499/1500: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“ (vgl. Heine, o.J., Bd. IV, S. 11, a.a.O.). Heines Zitat wurde vielfach als prophetisch für die Bücherverbrennung im Mai/Juni 1933 durch die Nationalsozialisten in Deutschland betrachtet.

 

Zur Bücherverbrennung auf dem Wartburgfest äußerte sich Heine an anderer Stelle:

»Auf der Wartburg krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren! (…) Auf der Wartburg herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anderes war als Haß des Fremden und dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand, und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wußte als Bücher zu verbrennen! Ich sage Unwissenheit, denn in dieser Beziehung war jene frühere Opposition, die wir unter dem Namen »die Altdeutschen« kennen, noch großartiger als die neuere Opposition, obgleich diese nicht gar besonders durch Gelehrsamkeit glänzt. Eben derjenige, welcher das Bücherverbrennen auf der Wartburg in Vorschlag brachte, war auch zugleich das unwissendste Geschöpf, das je auf Erden turnte und altdeutsche Lesarten herausgab: wahrhaftig, dieses Subjekt hätte auch Bröders lateinische Grammatik ins Feuer werfen sollen!« (Heinrich Heine: Ludwig Börne. Eine Denkschrift. Viertes Buch, 1840)

 

Die Nazis waren deutlich antiintellektuell orientiert, sie hassten Intellektuelle, Bücher und Brillenträger. Der Hass speiste sich zumindest zum Teil aus ihrem Antisemitismus, Juden erschienen den Nazis als die Intellektuellen par excellence (vgl. Bering, S. 149 f.). 
Eine Art „Generalprobe“ fand bereits am 15. April 1933 statt. Ca. 500 SA-Männer und Bereitschaftspolizisten stürmten im Morgengrauen die Künstlerkolonie (den sog. Roten Block) am damaligen Laubenheimer Platz (dem heutigen Ludwig-Barnay-Platz in Berlin-Wilmersdorf, nahe dem Breitenbachplatz). Bewohner der Künstlerkolo-nie waren zeitweise u.a.  Ernst Bloch, Ernst Busch, Walter Hasenclever, Alfred Kantorowicz, Arthur Koestler, Manès Sperber, Wilhelm Reich., Peter Huchel oder Axel
Eggebrecht (vgl. „Tagesspiegel“, 12. März 2013).
Wenn nicht sofort geöffnet wurde, trat man „… die Wohungstüren ein und beschlagnahmte Bücher aus den Federn 362 linker Autoren, von Salomon Asch bis Stefan Zweig.
In Wäschekörben wurden die Bücher aus den Häusern geschleppt zur Platzmitte, wo der braune Mob die Werke gröhlend in die Flammen eines Scheiterhaufens warf“ (Kleinheinrich, S. 36, a.a.O.). Verbrannt wurden u.a. Schriften von Ernst Bloch, Walter Hasenclever, Ludwig Renn und Erich Weinert (Kleinheinrich, S. 46, a.a.O.).

Am 10. Mai  1933 wurden u.a. auf dem Berliner Opernplatz (neben der Staatsoper, dem heutigen Bebelplatz) tausende von Büchern verbrannt. Ein berühmtes Photo zeigt " ... neben den in Flammen stehenden Büchern uniformierte Nazis mit Hakenkreuzbinden, Hakenkreuzfahnen und Schwarz-Weiß-Roten Reichsfahnen, aber auch Zuschauer mit Anzug, Mantel und Hut" (vgl. Heni, S. 53, a.a.O.). Da es an diesem Abend in Berlin regnete, ließ sich der Scheiterhaufen nicht leicht entzünden, so dass die Feuerwehr mit Benzin nachhalf (vgl. „Tagesspiegel“, 10. Mai 2008, S. 8). „Begräbniswetter hing über der Stadt“ erinnerte sich Erich Kästner, der selbst Zeuge der Verbrennung seiner eigenen Bücher auf dem Opernplatz wurde (vgl. Treß, S. 7, a.a.O.).

„Wir übergeben den Flammen die Bücher von Erich Kästner und Bertolt Brecht …“ usw., mit dieser Floskel wurden die Bücher von politischen Gegnern und jüdischen Autoren in die Flammen geworfen. Es waren allein in Berlin auf dem Opernplatz ca. 20 000 Bücher, von Heinrich Heine, über Heinrich und Thomas Mann, Kurt Tucholski, Maxim Gorki, Arnold und Stefan Zweig, Alfred Döblin und Franz Werfel, von Karl Marx über Sigmund Freud bis zu Albert Einstein.

 

1933 gab es an mindestens 90 verschiedenen Orten in Deutschland Bücherverbrennungen…

 

Der Schriftsteller Erich Kästner, der die Verbrennung seiner eigenen Bücher und die seiner Freunde und Kollegen selber mitverfolgen konnte, beschrieb die Situation wie folgt: „Ich stand vor der Universität eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. (...)In dem folgenden Jahrdutzend sah ich Bücher von mir nur die wenigen Male, die ich im Ausland war. In Kopenhagen, in Zürich, in London. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ein verbotener Schriftsteller zu sein und…)seine Bücher nie mehr in Buchläden zu sehen (…) Man ist lebender Leichnam."

 
Die Bücherverbrennungen 1933 waren eine lange und sorgfältig geplante, u.a. antisemisch orientierte gesamtdeutsche Aktion. In einem Schreiben der Deutschen Studentenschaft (DSt, sie stand in Kokurrenz zum NSDStB) vom 6. April 1933 hieß es: "Die Deutsche Studentenschaft plant anlässlich der schamlosen Gräuelhetze des Judentums im Ausland eine vierwöchige Gesamtaktion gegen den jüdischen Zersetzungsgeist und für volksbewusstes Denken und Fühlen im  deutschen Schrifttum. Die Aktion beginnt am 12. April mit dem öffentlichen Anschlag von 12 Thesen 'Wider den undeutschen Geist' (die wir ihnen als vorläufigen Entwurf in der Anlage beifügen) und endet am 10. Mai mit öffentlichen Kundgebungen an allen deutschen Hochschulorten" (vgl. Heni, S. 53/54). An vielen Hochschulorten nahmen auch Professoren und Dozenten an den Bücherverbrennungen teil. Vielfach mündeten die Bücherverbrennungen in große Feste, so z.B. in Würzburg (vgl. Heni, S. 54).

Die Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 waren - wie Clemens Heni betonte - ein wichtiger Teilschritt zu den Nürnberger Gesetzen, zur Reichspogromnacht 1938 und zum Völkermord in Auschwitz und anderswo!

Werner Treß veröffentlichte in seinem „Verbrannte Bücher“ (a.a.O.) eine repräsentative Textauswahl von 54 der verbrannten Bücher.

 

Nach dem Anschluss Österreichs kam es auch dort zu Bücherverbrennungen, so z.B. in Salzburg auf dem Residenzplatz am 30 April 1938, u.a.  erneut Bücher von Stefan Zweig (vgl. http://www.friedensbuero.at/files/v5d65d1g44c10xjny5.pdf)

 


Götz Aly setzte in seinem Band "Unser Kampf" nicht nur Joseph Goebbels mit Rudi Dutschke gleich, er verglich auch die Bücherverbrennungen von 1933 mit dem Kampf der Studenten 1968 gegen die Bildzeitung: ".... wer 75 Jahre nach 1933 keinen Unterschied zwischen antisemitischen Bücherverbrennungen und dem Kampf der APO gegen die hetzerische Springer-Presse macht, sollte von der Analyse der Judenverfolgung in Nationalsozialismus in Zukunft besser schweigen" (vgl. Heni, S. 58, a.a.O.).
Seit den 50er Jahren erinnert in Berlin eine Gedenktafel an dem Alten Palais an die Bücherverbrennung. 1995 wurde durch den israelischen Künstler Micha Ullman ein beeindruckendes Denkmal an die Bücherverbrennung , die „Bibliothek“, geschaffen: Man blickt durch ein Plexi-Glasfenster im Straßenpflaster des Bebelplatzes hinunter in leere Bibliotheksregale, die den erlittenen Verlust anzeigen sollen. 

 

 

Im Jahre 1965 verbrannte in Düsseldorf eine Gruppe Jugendlicher („Entschiedene Christen“) öffentlich „Groschenromane“, Bravo-Hefte, aber auch Romane von Günter Grass, Erich Kästner u.a., weil diese Schriften eine „negative Wirkung“ auf sie ausgeübt hätten.  

 

 

Wie selbstverständlich die Vorstellung von einer Verbrennung missliebiger Bücher bis heute in vielen Regionen der Erde ist, zeigte ein Vorfall im 2008/2009 in Ägypten.
Im Kulturausschuss des ägyptischen Parlaments wurde im Mai 2008 der damalige Kulturminister Faruk Hosni  [4] von dem Abgeordneten Mohshin Radji dafür angegriffen, dass sich in der Nationalbibliothek zu Alexandria drei angebli-che anti-arabische israelische Bücher befänden. Daraufhin soll Hosni geäußert haben: „Bring mir diese Bücher, und wenn es sie gibt, werde ich sie vor deinen Augen verbrennen“ (zit. n. „Tagesspiegel“, 22. Mai 2008, S. 29).
Später meinte Hosni, er habe sich im ägyptischen Parlament „in Rage" geäußert und bedauere seine harten, schockierenden Worte (in „Le monde“, 27. Mai 2009). 
Faruk Hosni war nicht nur jahrelanger ägyptischer Kulturminister, zudem hatten sich die arabischen Staaten An-fang 2009 auf Hosni als ihren Kandidaten für das Amt des UNESCO-Generaldirektors geeinigt.
Das Pariser Simon-Wiesenthal-Zentrum meinte dazu: „Ein Möchtegern-Bücherverbrenner kann nicht der Leiter des intellektuellen Arms der Vereinten Nationen sein." Dagegen erklärte ägyptische Botschaft in Berlin (gegen-über der FAZ), Hosni habe „keinerlei solche Äußerung" gemacht, es gehe ihm um den Ausbau „positiver Bezie-hungen", nicht um die Zerstörung kultureller Güter.
Am 21. Mai 2009 veröffentlichten Bernard-Henri Lévy, Claude Lanzmann und Elie Wiesel eine Erklärung in der „Le Monde“ in der sie sich gegen Faruk Hosni als neuen UNESCO-Generaldirektor aussprachen. Hintergrund der Erklärung waren – neben dem Vorfall um die israelischen Bücher - antisemitische und anti-israelische Aussagen aus dem Jahre 2001, die Hosni zugeschrieben werden. Teilweise wurde jedoch die Authentizität dieser Äußerungen bezweifelt:
•    Israel habe „… nie einen Beitrag zur Zivilisation geleistet, in keiner Epoche; es hat sich nur die Güter anderer angeeignet“
•    Die israelische Kultur sei „… eine unmenschliche Kultur, eine aggressive, rassistische, überhebliche Kultur, die auf einem ganz einfachen Prinzip beruht: zu stehlen, was ihr nicht gehört, um es anschließend als etwas Eigenes auszugeben“ (Le Monde, 21. Mai 2009)
Nach der Erklärung vom 21. Mai schickte Faruk Hosni am 27. Mai 2009 seinerseits der „Le Monde“ eine Stel-lungnahme, in der es u.a. hieß: „Nichts liegt mir ferner als der Rassismus, die Negierung anderer oder der Wunsch, sich verletzend über die jüdische Kultur oder eine andere Kultur zu äußern“ (vgl. „Le monde“, 27. Mai 2009). Israel zog jedenfalls seine Einwände gegen die Ernennung Hosnis am 27. Mai 2009 zurück. Zur neuen Generaldirektorin der UNESCO wurde dann allerdings in fünf Wahlgängen unter anderem gegen Faruk Hosni die Bulgarin Irina Bokowa gewählt.

Schließlich gibt es immer wieder auch aktuelle Fälle von Bücherverbrennungen. Die „… stets schwarz gewandet“ auftretenden Mitglieder der russischen religiös-nationalistischen „Union der orthodoxen Bannerträger“ inszenierten im Oktober des Jahres 2007 in Moskau die Verbrennung von Harry-Potter-Büchern: Die Autorin J.K. Rawling sei Satanistin (vgl. Pomerantsev, S. 20/21, a.a.O.). Die Bücher „als Kinderbuch getarnte Propaganda magisch-okkulter Ideen". Die Potter-Bände seien keine Jugend-Bücher, sondern „echte schwarze Magie", die die Ideen des Bösen, des Satanismus und der Hexerei bei Kindern verbreiteten (vgl. http://hpd.de/node/2926,  vom 08.10.2007).

 

 

Schon 2005 sollten die Bücher von Orhan Pamuk (der Nobelpreisträger von 2006) in einer südtürkischen Provinz verbrannt werden; die Anordnung wird kurz darauf zurückgenommen - mangels Bücher.  

 

Nach dem versuchten Militärputsch in der Türkei 2016 wurden nach den Zahlen des türkischen Bildungsministeriums mehr als 300 000 Bücher aus Schulen und Bibliotheken entfernt und vernichtet (vgl. Namlı, S. 8, a.a.O.).

 

 

Eine ganz besondere Art von Bücherverbrennungen beschrieb Ray Douglas Bradbury (1920 – 2012) in seinem 1953 erscheinenen dystopischen Zukunftsroman „Fahrenheit 451“. In dieser Zukunftsgesellschaft gilt es als schweres Verbrechen, Bücher zu besitzen oder zu lesen. Die Gesellschaft wird vom Staat abhängig und unmündig gehalten, Drogen, allerlei Spiele und Videowände sorgen für oberflächliche Zerstreuung..Die Menschen werden in künstlichen Scheinwelten diskurslos ruhig gestellt und amüsieren sich - hedonistisch - zu Tode.

Bücher gelten als Hauptgrund für antisoziales Verhalten, selbständiges, nicht systemkonformes Denken und Handeln. Sogar wegen „Fußgängerei“ kann man verhaftet werden.  Deshalb wird der Besitz von Büchern bestraft, die staatliche Feuerwehr hat die Aufgabe, Bücher aufzuspüren und zu verbrennen: Papier hat die Selbstentzündungstemperatur von 451 Grad Fahrenheit, 232 °C (physikalisch eine Fehlannahme). Die Bücherverbrennung geschieht in speziellen Einäscherungsöfen, oft aber wird das Haus, in dem Bücher entdeckt wurden, gleich mitverbrannt. 

 

Die Feuerwehr trägt die „451“ am Helm, einen Salamander am Ärmel und eine Phönixplakette am Rock (vgl. Bradbury, S. 11, a.a.O.).Die Feuerwehr wird unterstützt von „mechanischen Hunden, die beim Aufspüren der Bücher und der Buchbesitzer helfen.

Der Wahlspruch der Feuerwehr [5] lautete: „Montag brenne Millay, Mittwoch Melville, Freitag Faulkner, brenne sie zu Asche, dann verbrenne noch die Asche“ (Bradbury, S. 13, a.a.O.).

In dem Roman fragt sich der Hauptmann der Feuerwehrabteilung: „Was ist es eigentlich, das uns am Feuer so bezaubert? Ganz gleich, wie alt wir sind, was ist daran so Anziehendes? …. Es ist die ewige Bewegung, das Perpetuum mobile, das der Mensch erfinden wollte, ohne dass es ihm je gelungen wäre. Wenn man es gewähren ließe, würde es unser Leben lang brennen. Was ist das Feuer? Ein Rätsel. Wissenschaftler erzählen und einen Schnickschnack von Reibung und Molekülen, aber im Grunde wissen sie es auch nicht. Seine Schönheit besteht wohl darin, dass es Folgen und Verantwortung verzehrt. Wird uns ein Fall zu beschwerlich, in den Ofen damit. … nichts Verwesliches bleibt übrig. Antibiotisch, ästhetisch, praktisch“ (Bradbury, S. 103, a.a.O.).  

Nach eigener Aussage wollte Bradbury mit seiner Mätupie die Menschen v.a. vor der zerstörerischen Wirkung durch ihren steigenden Medienkonsum warnen. In dem Buch heißt es: „Bedenken Sie doch, dass es der Feuerwehr kaum bedarf. Die Leute haben von selber aufgehört zu lesen. … Die aufrührerischen Gemüter sind so gut wie ausgestorben“ (Bradbury, S. 80, a.a.O.).  

 Die Hauptfigur ist ein Feuerwehrmann, der an seiner Tätigkeit zu zweifeln beginnt, anfängt Bücher zu lesen und schließlich zu den isoliert in Wäldern lebenden „Buchmenschen“ flüchtet, die Bücher auswendig lernen, um sie der Nachwelt zu erhalten.

Der französische Regisseur François Truffaut (1932-1984)  verfilmte   „Fahrenheit 451“ im Jahre 1966 englischsprachig.  

 

Auch der Islamische Staat war hinsichtlich der Bücherverbrennungen äußerst aktiv. Schon 2015 stürmten IS-Anhänger die historische Bibliothek der Stadt Mossul. Augenzeugen berichteten, dass  sie anschließend tausende von Büchern auf einen großen Haufen gestapelt und angezündet hätten. Studenten der Mossuler Universität sollen gezwungen worden sein, der Bücherverbrennung beizuwohnen.

Unter den verbrannten Büchern sollen viele historische Manuskripte gewesen sein - auch Exemplare, die auf der Raritätenliste der Unesco stehen und wertvolle Bücher sunnitischer Theologen aus dem Osmanischen Reich (vgl. Spiegel Online, 26.02.2015).

Auch später ließ der IS jeden Freitag in der Zentralbibliothek der Universität Mossul Bücher verbrennen, deren säkularen Inhalt er für „unislamisch“ hielt. Nach der Befreiung der Stadt im Sommer 2017 begannen Studenten die Reste der Bücherbestände aus den Ruinen der Universität zu bergen (vgl. TAZ, 29. Oktober 2018).


(unveränderlich, nach dem Gregorianischen Kalender)

 

© Christian Meyer

 


[1] Der Begriff „Biblioklasmus“ bezeichnet generell das Zerstören von Büchern, also auch das Einstampfen oder Makulatur (lat. „maculatura „beflecktes Ding“, von „macula „Fleck“) von Büchern zur Neuproduktion von Papier, z.B. als Folge von Rechtsstreitigkeiten, wegen Unverkäuflichkeit von Restauflagen oder Fehlerhaftigkeit von Drucken.

Vor der Papiernutzung wurde Schriftgut oft aus Mangel an Beschreibmaterialien zerstört. Beschriebenes Pergament schabte man häufig ab, um sie neu zu beschreiben (Palimpsest). Mit Hilfe moderner Techniken können „überschriebene“ Texte können vielfach wieder sichtbar gemacht und so gerettet werden.

[2]  Der König („wang“) des Staates Ch’in nahm im Jahre 221 v. Chr. den Kaisertitel „Huang-ti“ an (Franke / Trauzettel, S. 74, a.a.O.).

[3] Jimenez de Cisneros (1436 – 1517), Kardinal und Erzbischof von Toledo, Großkanzler von Kastilien und Großinquisitor von Spanien, ließ als Großinquisitor mindestens 2500 Menschen zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilen. 1499 ließ er auf dem Marktplatz von Granada viele hundert Bücher muslimischer Theologie, Philosophie, Naturwissenschaft und Geschichtsschreibung öffentlich verbrennen. Einzig medizinische Werke ließ der Kardinal ausnehmen.

[4]  Faruk Abd-El-Aziz Hosni (* 1938) stammt aus Alexandria, ist ein weltweit anerkannter abstrakter Maler und von 1987 bis 2011 als ägyptischer Kulturminister im Amt. Im Jahre 2006 hatte er heftige Auseinandersetzungen mit konservativen Teilen des ägyptischen islamischen Klerus, da er das Tragen des Schleiers als rückschrittlich bezeichnet hatte.

[5] In dem fiktiven Dienstreglement der Feuerwehr, wird über die Geschichte der Feuerwehr  behauptet: „Eingeführt 1790, um englisch-verseuchte Bücher in den Kolonien zu verbrennen. Erster Feuerwehrmann: Benjamin Franklin“ (Bradbury, S. 37, a.a.O.). Tatsächlich regte der Drucker Franklin 1728 in Philadelphia die Gründung der Freiwilligen Feuerwehr an.   

 

Salamander
Salamander

Der Salamander soll nach mythologisch-alchemistischen Vorstellungen eines der vier Elementarwesen (bei Paracelsus neben den Gnomen - Erde, den Sylphen -Luft und den Undinen - Wasser) sein, auch im Feuer leben können ohne zu verbrennen und sich vom Feuer ernähren; vielmehr würde er sich im Feuer verjüngen und könnte Feuer löschen (vgl. Hein-Mohr, S. 251, a.a.O.).
Die Abb.entstammt einer Schrift von 1487/88, in der Universitätsbibliothek Salzburg W I 193 (Abb. aus
http://www.ubs.sbg.ac.at/sosa/inkunabeln/WI193.htm)

Abb.: Vom IS verbrannte Bücher der Universitätsbibliothek Mossul (Abb aus TAZ, 29. Oktober 2018).