Abb.: Der kostümierte Darsteller des Merkez Efendi bei einer szenischen Aufführung; türkische Postkarte: „Temsili Merkez Efendi“ „Darsteller des Merkez Efendi“)

 

Abb. Mesir Hafsa Sultan

Beginn des traditionellen Mesir - Festes (Mesir Bayramı), in Manisa / Türkei

 

Der osmanische Padischah Süleyman der Prächtige (trk. „Kanunî Sultan Süleyman“ = Süleyman der Gesetzgeber) wurde als Prinz 1514 Gouverneur der Provinz Manisa (des antiken Magnesia).

Seine Mutter Ayşe Hafsa Sultan, die Frau Sultan Selims (Yavuz Sultan Selim) ließ 1522 die große Sultan Moschee in Manisa errichten, durch den Architekten Acem Alisi. Der Stiftungskomplex umfasste neben der Moschee auch ein Hamam, eine Medrese, ein Krankenhaus („Darüşşifa“, ar. „Haus der Genesung, Heilung“), eine Armenküche (Imaret), ein Derwischkloster (Hanikah) und einen Brunnen.

Das Krankenhaus soll in den ersten Jahren von Merkez Efendi [1] geleitet worden sein.

Der Überlieferung nach soll Hafsa Sultan eines Tages im Palast in Istanbul schwer erkrankt gewesen sein, die Ärzte des Palasts konnten weder die Krankheit bestimmen noch Hafsa Sultan Abhilfe leisten.

Schließlich wurden alle Symptome und Informationen über die Krankheit zusammengefasst und an Merkez Efendi in Manisa übersandt. Dieser soll daraufhin in langwieriger Arbeit eine Medizin, eine Latwerge (eine breiartig zubereitete Arznei zum Einnehmen [2]), aus 41 verschiedenen Stoffen erstellt haben, die die Sultansmutter gesunden ließ, nachdem sie sie gegessen hatte.

 

Schon Claudius Galenus („von Pergamon“, 129 – 200), der berühmteste Arzt der Antike, beschäftigte sich in einem gesonderten 2-bändigen Werk mit „Gegenmitteln“, d.h. den „… Krankheiten heilenden Wirkstoffen, die nicht außen aufgelegt, sondern in den Körper hinein genommen werden“ (Galen, zit. n. Kollesch, S. 164, a.a.O.).

 

Ursprünglich wurden Gegenmittel gegen die Bisse giftiger Tiere (gr. „thēria“ [3]) in der altgriechischen Medizin „Theriak“ genannt. Zur Zeit Galens aber bezeichnete man bereits alle Gegenmittel gegen Gifte Theriak [4] .  

Manche Überlieferungen behaupten, das Rezept des Merkez Efendi stamme ursprünglich von dem antiken pontischen König Mithridates VI. Eupator (132 – 63 v. Chr., reg. seit 112). Er hatte ein Gegengift bestehend aus 54 Inhaltsstoffen herstellen lassen, das „Mithridatium“, das „…. nach dem, der es zusammengestellt hat, so benannt wurde“ (Galen, zit. n. Kollesch, S. 165, a.a.O.).

Der König soll die Wirkung des Gegenmittels „… an Verbrechens ausprobiert (haben), die zum Tode verurteilt worden waren. Einige von ihnen, so fand er heraus, seien speziell bei giftigen Spinnen, andere bei Skorpionen wie wiederum andere bei Vipern angebracht…. Indem Mithridates sie nun alle vermischte, stellte er ein einziges Mittel her, in der Hoffnung, er werde damit ein Hilfsmittel gegen alle tödlichen Mittel haben“ (Galen, zit. n. Kollesch, S. 165, a.a.O.).

Der Überlieferung nach ließ sich Mithridates nach seiner endgültigen Niederlage, um den nicht Römern lebend in die Hände zu fallen, mit dem Schwert töten: sein Körper soll sich zuvor durch die Einnahme des Gegenmittels als giftimmun erwiesen haben.  

 

Des Weiteren wurde behauptet, dass das Rezept des Mesir eigentlich von Ibn Sina (Avicenna) herrühren würde. Auch von Ibn Sina wird tradiert, er habe ein Gegengift, ein Allheilmittel gegen die verschiedensten Übel entwickelt.

Das Medikament von Merkez Efendi wurde Mesir (ar. „Vergnügungs- Ausflugsort“, mesir macunu = Mesir –Latwerge, -Paste) genannt und im ganzen Osmanischen Reich hochberühmt. Es galt als Heilmittel gegen verschiedenste Leiden. Hafsa Sultan befahl daraufhin, die Mesir – Paste in Manisa kostenlos zu verteilen.

Bis heute wird Mesir macunu in Manisa hergestellt und in der ganzen Türkei vertrieben. Das Mittel enthält noch immer 41 Inhaltsstoffe, u.a. Anis, Apfelsinen- und Zitronenschale, Ceylon – Zimt, Chinasteckwinde, Fenchel, Fichtenharz, Galgant, Gelbe Myrobalane, Gelbwurzel, Gewürzkörner, Gewürznelke, Indigo, Indische Walnuss, Ingwer, Kardamom, Koriander, Kreuzkümmel, Lakritze, Pfeffer, Rhabarber, Röhrenkassie, Safran, Schwarzkümmel, Senf, Traubenmost, Vanille, Zimt, Zitronensäuresalz, Zitwer und Zucker. Enthalten sind bis heute auch „Theriak“ und „Elixier“.

 

Jedes Jahr seit 1539 (nur zwischen 1926 und 1950 war es abgeschafft worden) kommen zum Mesir – Fest tausende von Menschen aus allen Regionen der Türkei nach Manisa, um die Arznei kostenlos zu erhalten. Von der Sultan – Moschee in Manisa wird alljährlich die Mesir – Latwerge verteilt und von den Minaretten - wie Bonbons eingepackt - herab geworfen. Auch wird die Geschichte von Hafsa Sultan und Merkez Efendi zu dieser Gelegenheit in farbenprächtigen historischen Kostümen szenisch nachgespielt, mit der Sultansmutter, Soldaten etc.  

In dem ehemaligen um einen Innenhof erbauten Krankenhaus wurde ein Hygienemuseum eingerichtet, in dem sich u.a. ein Demonstrationsraum für die Herstellung des „Mesir“ befindet. 

 

Viele Menschen glauben bis heute, wenn sie mesir macunu zu sich nehmen, würden sie von Schmerzen und Leiden aller Art befreit und für ein Jahr vor Schlangen- und Insektenbissen geschützt. Besonders hilfreich soll das Mittel sein, wenn man es am Newroz-Tag zu sich nimmt.   

 

(variabel nach dem Gregorianischen Kalender, alljährlich jeweils  vier Tage lang; ca. März/April)

 

 

© Christian Meyer

 


[1] Merkez Efendi („Herr Mittelpunkt“, ca. 1460 – 1552 in Istanbul) war Arzt, Theologe, Sufi – Scheich des Halveti – Ordens und wird als ein muslimischer Heiliger angesehen. Merkez Efendi war der Schwiegersohn des volksislamischen Istanbuler Heiligen Sünbül Efendi. Sein Grab in der Merkez Efendi tekkesi / Istanbul ist ein bis heute bedeutender, vielbesuchter Wallfahrtsort. 

[2] Bei einem Elixier (vom ar. „al – iksir“ – Stein der Weisen, aus „xēros“ = trocken) handelte es sich hingegen um ein trockenes Heilmittel. Heute wird der Begriff im Sinne von Heiltrank, Zaubertrank, Verjüngungsmittel (Lebenselixier) verwendet. 

[3] Theria (gr., Pl. von „thērion“ = wildes Tier“) ist bis heute in der Zoologie die Bezeichnung für die lebend geborenen Säugetiere einschließlich der Beuteltiere und der Plazentatiere.

[4] Einen berühmten Theriak erstellte der griechische aus Kreta stammende Arzt Andromachos der Ältere, der Leibarzt Kaiser Neros (37 – 68). Auch das wichtigste (opiumhaltige) Allheilmittel des europäischen Mittelalters wurde Theriak genannt. 

Abb: Mesir macunu

Abb.: Denkmal Merkez Efendis in Manisa; (Photo: Christian Meyer, 2006)