Schutzverheißende Kali – Abbildung an einem Haus in Agra (Photo: Christian Meyer, Oktober 2008)

 

Kali – Figur in Kalkutta (Photo: Christian Meyer, Oktober 2008)

 

Hinduistisches Kali  Puja (Bengali: কালীপূজা), gefeiert v.a. in Kalkutta / Kolkata und Bengalen

 

Die hinduistische Göttin Kali ist eine Göttin (skrt. „deva“) des Typs Große Mutter (skrt. „Mahadeva“). In manchen Regionen Indiens wird sie auch als „Kali Ma“, die schwarze Mutter verehrt. 

 Sie gilt zum einen als  Verkörperung von Shakti (skrt. „Macht, göttliche Energie“), einer ewigen kosmischen weiblichen Energie der Zerstörung. Die verschiedenen indischen Göttinnen, Kali, Durga [1] , Parvati [2] , Lakshmi und Saraswati, seien alle unterschiedliche Inkarnationen dieser Kraft.

 

Zum anderen gilt Kali (skrt. „die Schwarze“) als eine Frau des Gottes Shiva, neben Sati, Parvati und Durga.   

Die Shivaiten lassen sich grundsätzlich in zwei Gruppen aufteilen:

  • die Dakshinacarins, die dem „Ritual von der rechten Hand“ folgen, an dem ungeteilten Wesen der Gottheit festhalten (vgl. Hardy, S. 107, a.a.O.).
  • die Vamacarins, die „…dem Ritual von der linken Hand“ folgen und sich ausschließlich dem Dienst des Weiblichen hingeben (vgl. Hardy, S. 107, a.a.O.), vor allem in Gestalt von Parvati, Durga und Kali. Immer wieder wird hier auch von „geheimen orgiastischen Feiern“ berichtet, „… während deren Dauer sie alle Kastenunterschiede für aufgehoben erklären“ (vgl. Hardy, S. 107/08, a.a.O.).

Der mythologische Hintergrund Kalis ist alles andere als homogen.

Zum einen hängt Kali zusammen mit der Erzählung von Sati, der Tochter Dakshas, des Urvaters der Menschen. Sati wurde die Gemahlin Shivas. Als Daksha eine feierliches Opfer („Mahayagna“) veranstaltete und Shiva nicht dazu einlud, beging Sati der Schande wegen Selbstmord: sie stürzte sich in das Opferfeuer („sie gab ihren Körper auf“) und wurde so zur ersten Sati [3]. 

Der Legende nach geriet Shiva nach dem Tod seiner Frau Sati in Raserei und begann mit dem Leichnam Satis so zu tanzen, dass die ganze Welt in ihren Fugen erbebte. Die Götter versuchten vergeblich, Shiva zu bändigen, bis schließlich Vishnu seinen Sonnendiskus schleuderte und den Leichnam in 51 Teile zerstückelte. Die Leichenteile fielen zur Erde herab, überall dort, wohin sie stürzten, entstand eine „pitha“, eine Pilgerstätte für Shakti. Der Tempel Kalighat in Kalkutta soll dort errichtet worden sein, wohin der kleine Zeh Satis gefallen war.  

Zum anderen kämpfte Kali gegen den mächtigen dämonischen Riesen Raktavija und seine Dämonenarmee. Nachdem Kali die gesamte Dämonenarmee getötet hatte, kämpfte sie schließlich auch gegen Raktavija und verletzte ihn schwer. Jedoch erwuchsen aus dem vergossenen Blut des Riesen sofort tausende neue furchtbare Riesen, so dass ihr nicht übrig blieb, als Raktavijas Blut zu trinken. Dadurch kam Kali in einen Zustand von mörderischer Raserei, in dem sie sogar ihren Mann nicht erkannte und beinahe getötet hätte.

Nach einer anderen mythologischen Vorstellung verwandelte Kali durch ihren Tanz auf dem Leichnam (skrt. „shava“) des Gottes diesen in Shiva, den lebendigen Gott (vgl. Cavendish, S. 30, a.a.O.).

In Bengalen und Südindien ist Kali eine blutrünstige Göttin. Sie ist die Göttin der Cholera und generell der Epidemien. In Zeiten besonderer Unglücke (Hungersnöte, Cholera etc.) wird besonders oft Kali angerufen. Man opfert ihr z.B. Schafe, mit dem Blut der Opfertiere wird der Tempel bestrichen (vgl. Tokarew, S. 382, a.a.O.). Einst wurden ihr vermutlich auch Menschenopfer dargebracht. 

Dargestellt wird Kali mit einer Keule oder Sichel in der Hand, geschmückt mit einer Kette aus abgeschlagenen Männerköpfen und einem Pantherfell sowie einer Schlange um den Leib.

Günter Grass erzählt in „Zunge zeigen“ von der Göttin Kali: „In einer der Göttergeschichten heißt es: in rechter Hand, an einem Arm ihrer zehn Arme, die Sichel schon hoch, habe Kali in ihrer Raserei die Zunge gezeigt, als ihr (vielleicht durch Zuruf von außen) bewußt wurde, dass sie zuletzt ihrem Göttergatten Shiva, der, gleich Kali, Gottheit der Zerstörung ist, an die Gugel wollte; Zunge zeigen als Zeichen von Scham. Seitdem ist Kali in Abbildern käuflich: als bemalte Tonfigur, auf glänzenden Postern, zehnarmig, zehnfüßig, oft auch der Kopf vervielfacht, entsprechend die Zunge. Hängt den Lappen raus, bekennt Farbe Ringsum, sagt die Letgende, besorgt ihr Gefolge, zehntausend entfesselte Weiber, noch das allerletzte Kopfabgeschäft, da zögert sie, schont den schlafenden, wie immer nichtsahnenden Gott, lässt ihm sein traumseliges Lächeln und zeigt ihren Ausweis vor“ (Grass, S. 34, a.a.O.).

 

Eines der berühmtesten Heiligtümer Kalis befindet sich in Kalkutta [4], der 1809 aus Ziegeln und Mörtel errichtete Tempel Kalighat im Süden des Stadtzentrums. Im Innern des vielbesuchten Tempels befindet sich eine hochverehrte Statue der Göttin, aus einem schwarzen Monolith. Der Monolith soll einst wundersamerweise aus einem dem Tempel benachbarten Teich emporgetaucht sein und zu Statue gestaltet worden sein. Im Tempel werden bis heute Blutige Opfer vollzogen, einst vermutlich auch Menschenopfer.

 

Auf den Straßen werden zu Kali – Puja eine Unmenge von kleinen provisorischen Kali – Tempeln errichtet, die Straßen, Häuser und Tempel werden mit Blumen, Lichtern und  irdenen Öllämpchen („diyas“ [5] ) geschmückt, „… Grad wie bei uns zu Haus, wenn die Weihnachtskrippen aufgebaut“ werden (vgl. Grass, S. 57, a.a.O.).   Die Tempel und Altäre in Kalkutta werden mit hunderten von Kalifiguren ausgestattet, die in speziellen Werkstätten im Norden der Stadt angefertigt werden: „Zumeist von schwarzem Lack, seltener von stumpfem Blau überzogen, glänzt Kali. Zunge und Handflächen rot, die starren Augen umranded. Shiva, ihr Göttergatte, auf dessen Bauch sie hockt oder tanzt, hat von weißlich bleicher Farbe oder schweinchenrosa zu sein. Weiblich fett liegt er ihr unterworfen, kurz vorm angedrohten Kopfab. Dazu Kalis Gefolge: Weiber, bewaffnet mit Draculazähnen, die kindsgroße Männer mit Klauen im Griff haben, denen sie Köpfe, Hände und Schwänze samt Eiern abbeißen. Ketten, gereiht aus Männerköpfen, die Kali als Festschmuck trägt, können, wie anderes Zubehör, in Geschäften zwischen den Bildhauerschuppen gekauft werden“ (Grass, S. 56, a.a.O.).

Kinder und Jugendliche feiern Kali – Puja, indem sie Feuerwerk und Raketen anzünden und abbrennen lassen.

 

 

(veränderlich nach dem indischen Mondkalender, Kali Puja beginnt um Mitternacht am Tag des Neumondes im hinduistischen Mondmonat Kartik)

 

 

© Christian Meyer



[1] Kali und Durga werden zuweilen gleichgesetzt und sind seit dem 6. Jhdt. n. Chr. nachweisbar.

[2] Parvati gilt vielfach als eine Reinkarnation Satis  Sie erscheint in den shivaitischen Puranas als eine wohltätige und freigiebige Göttin. Puranas nennt man die traditionellen Überlieferungen einschließlich der Götterlegenden und Ritualvorschriften. Sie stammen aus nachepischer Zeit und sind alle „sektiererisch“, d.h. sie beziehen sich auf  Vishnu, Shiva und ihre Familien und Inkarnationen (vgl. Hardy, S. 103, a.a.O.).

[3] Sati nennt man traditionell eine Frau, die in Nachahmung von Shivas Frau ihr Leben auf dem Scheiterhaufen ihres verstorbenen Mannes „opfert“. Heute kommt diese Form von Selbstmord nur noch selten vor, offiziell wurde sie schon im 19. Jhd. von der britischen Kolonialmacht verboten. Immer wieder kam es auch in der jüngeren Vergangenheit vor, dass (meist ältere) Frauen für die Wiederzulassung der Selbstverbrennung demonstrierten (vgl. Speigel, 20/1984, S. 154).

[4] Der Name Kalkutta rührt vermutlich her von „Kalikutir“, d.h. „Haus bzw. Tempel der Kali“, einer Anspielung auf den dortigen Kalitempel.

[5] Die 'Diyas' werden überall in Indien zu Festlichkeiten hergestellt. Die Lämpchen werden auf einer Töpferscheibe produziert und auf den Märkten verkauft. Während der verschiedenen Puja-Zeremonien (besonders bei Diwali) werden die diyas benutzt, anschließend zerschlagen und der Erde zurückgegeben.

Pravatis Geburt (Abb. aus Chandrakand, S.4, a.a.O.)