Jom Kippur [1]; jüdischer Versöhnungstag, der zehnte und letzte der zehn Bußtage, die mit Rosch ha - Schana beginnen.

 

Jom Kippur ist das höchste, heiligste jüdisches Fest, Versöhnung und gute Vorsätze stehen im Mittelpunkt. Der Tag ist nicht der wöchentlich wiederkehrende Sabbat [2] , sondern er gilt als ein „hochheiliger Sabbat“ (3. Mose 16, 31), der Sabbat des ganzen Jahres.

Fromme Juden fasten an diesem Tage von Sonnenauf- bis –untergang. Das Fastengebot am Versöhnungstag schließt neben dem Verbot des Essens und Trinkens auch das Waschen, das Salben, das Anziehen von Sandalen und den Beischlaf mit ein (vgl. Talmud, S. 599, a.a.O.). Für Kranke, Kinder, Wöchnerinnen und schwangere Frauen gibt es Sonderregelungen.

Im alten Israel wurden am Versöhnungstage zwei gleiche Böcke vor den Hohen Priester gebracht; einer wurde durch das Los zum Opfer für Gott bestimmt, der andere dazu, mit den Sünden des Volkes beladen in die Wüste geschickt zu werden (Sündenbock). „Alle Sünden und Vergehen, die das Volk Gottes drücken, lege ich auf dein Haupt“ betete dabei der Hohepriester. Niemand außer einem speziellen Leviten, der den Sündenbock in die Wüste führte, dürfte ihn nach dieser Zeremonie noch berühren.  

Sünden, die man gegen Gott begangen hat, würden - nach dem Talmud - bei aufrichtiger Reue sofort vergeben. Sünden gegenüber Mitmenschen hingegen würden erst dann vergeben, wenn man den angerichteten Schaden wiedergutgemacht hat.

Einige Gläubige verbringen den ganzen Tag in der Synagoge, bis das Blasen des Schofars bei Sonnenuntergang Jom Kippur beendet. Die Gläubigen wünschen sich "Möge die letzte Eintragung in Gottes Buch eine günstige sein" (vgl. Ludwig, S. 70, a.a.O.), kehren nach Hause zurück, wo eine reiche und festliche Mahlzeit den Tag beschließt.

 

Der jüdisch-deutsche Schriftsteller und Kommunist Jan Koplowitz (1909 - 2001) beschreibt in seiner partiell autobiographischen Erzählung „Der Kampf um die ‚Bohemia‘“ (erschienen 1972) die alte jüdische Sitte des Gebrauchs des „Riechapfels“: „Am Fasttag, dem Jom Kippur, riechen die Juden, wenn sie der Hunger überkommt, an solchen Äpfeln, die mit Zimt, Vanille, Ingwer, Gewürznelken und Zitronenstückchen gespickt sind“ (Koplowitz, S. 44, a.a.O.) [3].

 

 

Halina Birenbaum, die als Jugendliche u.a. das Warschauer Ghetto, Majdanek, Auschwitz und Ravensbrück überlebte, beschreibt in ihren Erinnerungen auch ihre bitteren Empfindungen zum Jom - Kippur - Tag: "Ich dachte damals öfter an das religiöse Fasten, besonders am Feiertag Jom Kippur, wenn die Menschen freiwillig Gott auf diese Weise ehren. Ich schwor mir damals, dass ich, falls ich den Krieg überleben und etwas zu essen haben würde, mir niemals das Fasten auferlegen würde. Mit diesem Schwur übte ich bewusst und mit Genugtuung Rache an dem Gott, an den wir alle im Hause meiner Eltern geglaubt hatten, der uns alle im Unglück im Stich gelassen hatte und sich jetzt hier, in den Vernichtungslagern, als ein Einfall betrügerischer Kapläne erwies..." (vgl. Birenbaum, S. 257, a.a.O.).  

Ernst Bloch wies auf die ägyptischen Wurzeln der Jom–Kippur–Vorstellungen hin: „Die uralte ägyptische Idee vom Buch des Lebens wirkte ein, in welches das Gewicht der menschlichen Taten eingeschrieben wird. Der Schreibergott Thot, der dies Amt beim ägyptischen Totengericht besorgte, kehrt als Engel Jahwes wieder, ja als dieser selbst. Und die Eintragung wird jährlich jeweils am jüdischen Neujahrstag eingeleitet, am Versöhnungstag beendet, als dem höchsten und ernstesten jüdischen Feiertag. Als einem postmortal gezielten Bußtag, der freilich bezeichnenderweise, im vorexilischen Judentum noch völlig unbezeugt ist, im sogenannten Bundesbuch, bei der Anordnung der Feste (2. Mose, 23) nicht erwähnt wird“ (Bloch, S. 1325, a.a.O.).

Nach der spätmittelalterlichen Rechtsauffassung in MItteleuropa konnten die weitgehend rechtlosen „Heiden“ und Juden gegen Christen kein Zeugnis ablegen. Generell war die – unzutreffende - Vorstellung weit verbreitet, dass sich die Juden jährlich zum Versöhnungsfest von ihren Nicht – Juden gegebenen Eiden lossprechen ließen. So kam es zu Sentenzen wie: „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid“.  

 

In seinem Roman „Ulysses“ verwechselt James Joyce das „weiße Fasten“ (mit möglichst weißer Kleidung) zu Jom Kippur mit dem „schwarzen Fasten“ am Trauertag  Tischa be-Aw, anläßlich des Gedenkens an die Zerstörung Jerusalems und des Tempels durch die Babylonier 586 v. Chr. (vgl. Joyce 2004, S. 217. a.a.O.).

 

 

(variabel, nach dem jüdischen gebundenen Mondkalender am 10. Tag des 1. Mondmonats, Tischri)

 
© Christian Meyer


[1] Der „Versöhnungstag“ wird auch „Joma“ (hebr. „der Tag“) oder Jom ha-kippurim = hebr. „Tag der Sühnungen“.

[2] Der Sabbat (oder Schabbat, hebr. = „Ruhe“) ist der geheiligte wöchentliche Ruhetag, beginnend mit dem Sonnenuntergang am Freitag, bis zum Sonnenuntergang am Sonnabend.

Nach der Überlieferung hielt der erste Tempel zu Jerusalem sog. Tempelgois, nichtjüdische, fremde junge Männer, die zum Dienst während der strengen Feiertage und am Sabbat gebraucht wurden, weil dann ja kein Jude eine Arbeit verrichten durfte. 

Im heutigen Israel ruht am Sabbat das gesamte öffentliche Leben; auch Busse und Züge fahren nicht, am Freitagabend abend gibt es auch keine Theater- oder Kinoaufführungen.

[3] Der Riech- oder Bisamapfel war ein uraltes weit verbreitetes Universalheilmittel, dessen erhoffte Wirkung mit dem Wohlgeruch der verwendeten Gewürze und Kräuter verbunden war. Arme und Reiche konnten einen Riechapfel verwenden, in Holzdosen getragen oder in Seide gehüllt in kostbaren Goldbehältern. Der Riechapfel sollte gegen verschiedenste Beschwerden helfen, von der Verdauung, der Stärkung der männlichen Potenz, generell die Abwehrkräfte stärken, sein Duft sollte Dämonen und giftige Dämpfe vertreiben und das Herz stärken. Je nach Beschwerdeart konnte man ihn an Hals, Nase oder vor das Gesicht halten oder auch an den Puls anlegen (vgl. Smollich, a.a.O.).

Verwandt mit dem Riechapfel sind die jüdischen Besaminbehälter zum Sabbatritual.