Abb.: „Die trauernde Barbarin“, Rom, ca. 2. Jhdt. n. Chr., Marmor, wird traditionell als Darstellung der Thusnelda interpretiert; Heute befindet sich die Statue in der Loggia dei Lanzi an der Piazza della Signoria in Florenz.  

In der Bildenden Kunst schufen antike Künstler die Typen des „besiegten Barbaren“ und der „besiegten Barbarin“, die der Sieghaftigkeit Roms gegenübergestellt wurden. Der Typus des besiegten Barbaren ist schon sehr alt, so mit Besiegten aus den Keltenkriegen, aus dem pharaonischen Ägypten oder aus dem altorientalischen Babylon. Das Bildkonzept „besiegte Barbarin“ ist gekennzeichnet durch die demütige Haltung der Frau, ihre aufgelösten Haare, ihre Niedergeschlagenheit, ihre entblößte Brust etc. 

Zum Namen Thusnelda

 

Etymologie

Die genaue Herkunft und Bedeutung des Namens sowie der alternative Varianten Tusnelda, Thusnelde, Nelde, Tursinhilda oder Tussinhilda - ist unklar

Eine mögliche Deutung ist eine Zusammensetzung aus dem germanischen *þūs  Kraft und dem  althochdeutschen snel  schnell, tapfer (vgl. Kohlheim, S. 395 oder Naumann 1988, S. 88, a.a.O.).

Der Germanist und Namensforscher Ferdinand Khull (1854-1942) vermutete (unter Berufung auf Jacob Grimm), dass „Thusnelda“ von Thursinhilda abgeleitet wurde und damit auf die Wörter „thurs“  von unmäßiger Gier erfüllt; Riese  und „hiltja“  Kampf, Schlacht) zurückgehe (vgl. Khull. S. 73, a.a.O.).

Der Name Thusnelda ist nur bei Strabon überliefert (Strabon 7, 1, 4.).

Zum Leben der historischen Thusnelda

 

Thusnelda (ca. 10 v. Chr. - nach dem 26. Mai 17 n. Chr.) war eine Tochter des Cherusker-Fürsten Segestes und Ehefrau des Arminius, eines Sohns des cheruskischen Gaugrafen Segimer.

Segestes wird in den antiken Quellen am ausführlichste in den „Annalen“ des Tacitus (vgl. 1, 55–59, a.a.O.) angesprochen. Weitere Hinweise gibt es auch bei Velleius Paterculus, Florus, Strabo und Cassius Dio.

Segestes kooperierte mit Rom und war ein politischer Gegner des Arminius. Im Jahre 9 n. Chr. – vor der Schlacht - warnte er den römischen Statthalter Varus vor den Aufstandsplänen des Arminius, er bot sogar an, ihn zusammen mit den anderen germanischen Führern gefangen zu setzen. Varus aber glaubte ihm nicht und schlug die Warnungen Segestes in den Wind.

Nach der römischen Niederlage (vgl. Varusschlacht) war Segestes genötigt, zeitweise doch am Aufstand teilzunehmen.

Seine Tochter Thusnelda hatte er einem anderen cheruskischen Mann versprochen. Ungefähr um die Jahreswende 14/15 entführte Arminius – sehr wahrscheinlich mit ihrem Einverständnis – Thusnelda und heiratete sie. Wahrscheinlich aber unternahm Arminius nach der Entführung Thusneldas keine Schritte, die Ehe nach germanischem Recht abzusichern (so durch nachträglichen formellen Brautkauf sowie den Austausch von Gaben und Gegengaben).

So kam es zu verschärften Spannungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Familien Dabei gelang es Segestes, nach eigener Aussage, Arminius und Thusnelda in seine Gewalt zu bekommen und gefangen zu halten. Beide kamen schließlich wieder frei, Thusnelda ging nicht zu ihrem Vater zurück. Sie war inzwischen schwanger und Segestes ließ sie noch im Jahre 15 entführen in seinem befestigten Gaugrafensitz festhalten. Arminius belagerte daraufhin Segestes dort, ohne jedoch Erfolg. Segestes sandte nun eine Botschaft durch seinen Sohn Segimundus an die Römer, woraufhin deren neuer Feldherr Nero Claudius Germanicus (15 v. – 19 n. Chr.) mit seinen Legionen den Belagerungsring um Segestes durchbrach. Segestes übergab die schwangere Thusnelda an Germanicus, der sie nach Ravenna bringen ließ.

Triumphzug und Ende

In Gefangenschaft gebar Thusnelda  Arminius’ Sohn Thumelicus, der seinen Vater nie kennenlernte.

Germanicus wurde wegen der großen Verluste aus Germanien abberufen, aber mit einem Triumphzug geehrt. Thusnelda, ihr Sohn Thumelicus und ihr Bruder Segimundus wurden am 26. Mai 17 n. Chr. im Triumphzug des Germanicus durch Rom geführt (erwähnt bei Tacitus und Strabo). Segestes war im Jahre 17 Zuschauer beim Triumph des Germanicus. Germanicus wies ihm danach einen Wohnsitz „in der alten Provinz“ (d.h. wohl in Gallien) an.

Entgegen der üblichen Praxis und vermutlich wegen politischer Verpflichtungen dem Vater Thusneldas, Segestes, gegenüber, wurden die Drei nach dem Triumphzug nicht ermordet, sondern kamen zurück ins Exil nach Ravenna. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts überliefert.

Tacitus kündigte einen Bericht über das weitere Schicksal Thusneldas und  ihres Sohnes Thumelicus an, aber er wurde nicht geschrieben oder ist nicht erhalten.

Bekannte Namensträgerinnen

·         Thusnelda (* um 10 v. Chr.; † nach 17), Tochter des Cheruskerfürsten Segestes und Ehefrau des

·         Cheruskerfürsten Arminius.

·         Thusnelda Henning-Hermann (1877–1965), österreichische Dichterin

·         Thusnelda Kühl (1872–1935), deutsche Schriftstellerin

·         Thusnelda Lang-Brumann (1880–1953), deutsche Lehrerin und Politikerin (BVP, CSU)

·         Thusnelda von Saldern (1837–1910), deutsche Diakonisse und Schriftstellerin

 

Sonstiges

 

Georg Philipp Telemann komponierte 1704 eine Oper „Germanicus“, in der Ereignisse von dessen Germanien-Feldzug als Paardrama (zwischen Germanicus und Agrippina auf der einen sowie Arminius und Claudia - Telemanns Name für Thusnelda - auf der anderen Seite) thematisiert wurden. Die Oper wurde 1710 von Telemann überarbeitet und in der Leipziger Brühl-Oper aufgeführt.

Die Partitur galt lange als verschollen, bis in einem Frankfurter Archiv von dem Musikwissenschaftler Michael Maul (*1978) 45 Arien der Oper wiederentdeckt wurden. Daraufhin wurde die Oper mit gesprochenen Texten zwischen den Arien auf dem Bachfest Leipzig 2007 und dem Magdeburger Telemann Festival 2010 unter der Leitung von Gotthold Schwarz (*1952), dem 17. Thomaskantor seit J. S. Bach, wiederaufgeführt. 

 

Eine besondere Bedeutung für das Bild Thusneldas erlangte das Stück „Hermannsschlacht“ von Heinrich von Kleist, in dem sie eine herausragende, wenn auch unerwartete Rolle spielt. Zum einen gibt es einige überraschende Zeitfremdheiten, so klingelt z.B. in dem Stück Thusnelda nach ihren Zofen, - wie es eben im 18./19. Jhdt. weit verbreitet war.

Auf Hermanns (i.e. Arminius) Wunsch hin beginnt in dem Stück Thusnelda - unwillig - den (unhistorischen) jungen römischen Legaten Ventidius „anzumachen“, „„. das Herz des Jünglings … mit falschen Zärtlichkeiten zu entflammen“ (vgl. Kleist o.J., Bd. 2, S. 21, a.a.O.). Dieser verliebt sich auch prompt in die blonde Schönheit, heimlich schneidet er ihr eine Locke ab (vgl. Kleist o.J., Bd. 2, S. 29, a.a.O.).

Hermann nimmt das jedoch gelassen hin: „Ei, Thuschen, was! So sind wir glückliche Geschöpfe ja, so wahr er die anderen dir gelassen hat“ (vgl. Kleist o.J., Bd. 2, S. 21, a.a.O.).

Hermann versucht Thusnelda zu beruhigen, denn er meint, Römer seien zu wahrer Liebe gar nicht fähig_

„Nun, Thuschen, ich versichere dich, Ich liebe meinen Hund mehr, als er dich. … Um einen Dienst ersucht, er thut ihn dir: Doch wenn er die Orange ausgesaugt, Die Schale, Herzchen, wirft er auf den Schutt“ (vgl. Kleist o.J., Bd. 2, S. 22, a.a.O.). Hier noch kritisiert Thusnelda diese Einschätzung Hermanns als Folge seines „blinden Römerhasses“.

Ins Zweifeln gerät Thusnelda, als eine Gruppe römischer Soldaten Hally, eine junge Germanin, vergewaltigen. Das (als entehrt angesehene) Mädchen wird darauf hin von ihrem eigenen Vater erdolcht. Er fragt dann noch die Leiche seiner Tochter: „Hally, mein Einz’ges! hab ichs recht gemacht!“ (vgl. Kleist o.J., Bd. 2, S. 49, a.a.O.).

Hermann befiehlt die Leiche Hallys in 15 Teile zu zerlegen und sie als Symbol des Rachekampfes den 15 germanischen Stämmen zuzusenden.

Ventidius aber sandte die Locke Thusneldas nach Rom an die Kaiserin Livia, als Beispiel für die Vielzahl blonder Haare, die bald für sie geschnitten würden.

Der Brief jedoch wurde abgefangen – Thusnelda las ihn – voller Enttäuschung, die sich in Hass verwandelte und plante ihre Rache, noch vor der Schlacht. Sie lockte Ventidius zu einem angeblichen Stelldichein, wo ihn allerdings eine wilde, hungrige Bärin erwartete, die ihn zerriss (vgl. Kleist o.J., Bd. 2, S. 74 f., a.a.O.).       

 

Eine nicht erwartbare Spätwirkung des Dramas ist in der Koseform zu sehen, mit der Hermann seine Frau mehrfach in dem Stück bezeichnet, „Thuschen (z.B. vgl. Kleist o.J., Bd. 2, S. 21, a.a.O.).

 

Der österreichische Astronom Johann Palisa (1848-1925) entdeckte am 30. September 1880 an der österreichischen Marine-Sternwarte Pola (heute: Pula/Kroatien) einen Asteroiden (Kleinplaneten) des Asteroiden-Hauptgürtels, den er Thusnelda benannte. Thusnelda bewegt sich auf einer exzentrischen, knapp 11° gegen die Ekliptik geneigten Bahn in ca. 3,6 Jahren um die Sonne. Thusnelda hat einen Durchmesser von nur 41 km.  

 

Tussi / Tusse

Besonders in Zeiten nationaler Begeisterung war der Name Thusnelda – auch in den Varianten Tusnelde, Rinelde und Nelde -  beliebt und nicht äußerst selten, wie heute.

Der Name Thusnelda war im 19. Jahrhundert noch positiv besetzt, wurde aber gegen Ende des 20. Jahrhunderts massiv umgedeutet. 

Mitverantwortlich könnte dabei Heinrich von Kleists Drama „Hermannsschlacht“ sein, das bis 1945 als Schullektüre mehrerer Generationen diente. Hermann bezeichnet in dem Drama seine Frau mehrfach mit dem Kosenamen „Thuschen“.

Es entstanden vermutlich aus dem Kosewort zuerst (wohl ab ca. 1900) eine Bezeichnung für „nervige“ Ehefrauen und weibliche Dienstboten und schließlich ab ca. 1980 Tussi oder Tusse als Schimpfwort für Frauen bzw. als Klischeebegriff eines oberflächlichen, eitlen „Dummchens“, einer auf ihr Äußeres bedachten, attraktiven, selbstbezogenen weiblichen Person. Bis heute ist „Tussi“ ein gängiger Begriff nicht nur der Jugend- und Gaunersprache.

 

Die Journalistin Theresa Bäuerlein (*1980) und die Literaturwissenschaftlerin Friederike Knüpling (*1981) veröffentlichten 2014 ein Buch, dessen Titel sich von Tussi ableitet: Tussikratie. Warum Frauen nichts falsch und Männer nichts richtig machen können“ (Heyne Verlag, München 2014). 

Die Autorinnen fragen u.a., ob und wie viel emanzipatorische Kraft weiblicher Karrierewille eigentlich habe?  Ist der Bevölkerung Deutschlands tatsächlich geholfen, wenn ein paar hundert Frauen Top-Positionen einnehmen? Auch zeigen die Autorinnen, dass nur wenig gewonnen sei, wenn Frauen für alles nicht klappende, nur die Männer verantwortlich machen. Gesellschaftlich habe man es nicht mit einem Genderproblem, sondern mit einem Klassenproblem zu tun.

 

© Christian Meyer

 

Abb.: Titelseite der Zeitschrift „Thusnelda“  

 

Zwischen mindestens von 1840 bis 1899 gab es eine Zeitung „Thusnelda - Zeitschrift zur Bildung und Unterhaltung der Jugend, insbesondere der weiblichen“, herausgegeben von Heinrich Ernst Pöschl in Wien.  Bisher sind drei Jahrgänge (1840, 1841 und 1843) digitalisiert worden

Abb.: Detmolder Thusnelda-Bier

 

Seit 2009, zum 2000jährigen Jubiläum der Varus-Schlacht im Teutoburger Wald“ wird in Detmold ein feinherbes Thusnelda-Bier gebraut. Es war das Bier des Jahres 2013.