Tamilischer Kalender

 

Der tamilische Kalender ist ein traditioneller Kalender Indiens, ein Sonnenkalender, der allerdings gänzlich anders aufgebaut ist als der Gregorianische Kalender. Er wird v. a. in den südindischen Staaten Tamil Nadu und Kerala sowie von den Tamilen in Sri Lanka und weltweit verwendet.

Astronomisches Wissen aus dem Alten Orient und dem antiken Griechenland beeinflussten die indischen Kalender und wurde in astronomischen Lehrbüchern aufgezeichnet; u. a. auf den Schriftensammlungen Arya-Siddhanta und Surya Siddhanta (beide 5./6. Jhdt.), auf denen auch der tamilische Kalender basiert.

Das tamilische Jahr ist ein siderisches Jahr, d.i. die Zeitspanne, die benötigt wird, bis die Sonne von der Erde aus gesehen nach einem „Umlauf“ wieder die gleiche Stellung zu den Sternen am Himmel erreicht hat. Nach den Surya Siddhantas wird die Jahreslänge traditionell mit 365 Tagen 6 Stunden 12 Minuten 36,5 Sekunden aufgefasst, der tatsächliche Wert beträgt allerdings 365 Tage 6 Stunden 9 Minuten 9,5 Sekunden. Das Siddhanta-Jahr ist von daher um 3 Minuten und 26 Sekunden länger als das siderische Jahr. Deshalb verschiebt es sich in ca. 400 Jahren um einen Tag gegenüber den Fixsternen.

 

Das Siddhanta-Jahr ist mit 365,2587558 Tagen um 0,01656528 Tage (23 Minuten und 51 Sekunden) länger als das tropische Jahr (1) mit 365,24219052 Tagen. Damit verschiebt es sich in rund 60 Jahren um einen Tag gegenüber den Jahreszeiten. Gegenwärtig beginnt das Tamilische Jahr rund 23 Tage nach der Frühlingstagundnachtgleiche.

Der tamilische Jahresbeginn ist nur langfristig veränderlich, das Jahr beginnt beim Übergang der Sonne vom Sternbild der Fische in das Tierkreiszeichen mêsha (Widder), am 1. Tag des Monats Chithirai, nach dem Gregorianischen Kalender in Gemeinjahren am 14. April.

Der Monatsanfang wird im tamilischen Kalender durch den Eintritt der Sonne in ein neues Tierkreiszeichen bestimmt. Der scheinbare Weg, den die Sonne in einem siderischen Jahr zurücklegt, wird traditionell in 12 Tierkreiszeichen zu jeweils 30° unterteilt. Da jedoch die Umlaufbahn der Erde um die Sonne nicht kreisförmig, sondern elliptisch ist, durchläuft die Sonne unterschiedlich lange die einzelnen Tierkreiszeichen. Deshalb haben die tamilischen Monate unterschiedliche Länge, sie werden von 1 bis 29, 30, 31 oder 32 gezählt.

 

Die Monate nach dem tamilischen Kalender sind:

Chittirai April/Mai;

Vaigâśi Mai/ Juni

Âni Juni / Juli 

Âḍi Juli / August

Avaṇi August / September

Puraṭṭâdi September / Oktober

Aippaśi Oktober / November

Kârttigai November / Dezember

Mârgaḷi Dezember / Januar

Tai Januar / Februar

Mâśi Februar / März

Paṅguni März / April

 

Das tamilische Jahr hat entweder 365 oder 366 Tage, wobei es kein festes Schaltschema gibt.  Ob ein Jahr 365 oder 366 Tage hat, ergibt sich aus den astronomischen Daten. Tamilische Jahre mit 366 Tagen sind z.B. die Gregorianischen Jahre 2012 – 2013, 2016 – 2017, 2020 – 2021, 2023 – 2024 oder 2027 – 2028.

Ein festes Schaltschema für Jahre mit 366 Tagen gibt es nicht, da der Jahresanfang durch den Eintritt der Sonne in das Tierkreiszeichen Widder bestimmt wird.

 

Die Tamilen benutzen mehrere Jahreszählungen, so u.a. die Kali-Ära (Kali yuga, skrt. „Streitzeit“), das Eiserne Zeitalter, das schlechteste Weltzeitalter, das an dem mythischen Datum der Mitternacht des 23. Januar 3102 v. Chr. – als Krishna die Welt verließ -  begann und 432 000 Jahre dauern soll. Das Gregorianische Jahr 2016 entspricht dem Jahr 5116/17 der Kali-Ära.  

Mit dem Neujahrsfest beginnt jeweils ein neues Jahr der Shaka–Jahreszählung (auch Shalivahana Ära, SE, beginnend mit dem Jahr 78 n. Chr.). der von den Tamilen meist verwendeten Jahreszählung. 

Das Gregorianische Jahr 2016 entspricht 2046 / 47 nach der singhalesischen und tamilischen SE-Ära; in dem 60-Jahreszyklus des tamilischen Kalenders ist es das 30. Jahr, es trägt den Namen „Manmadha“, einem hinduistischen Liebesgott, verwandt mit Cupido oder Amor. Jedes Jahr des Zyklus trägt dabei einen eigenen Namen.

Der sehr alte und in vielen ostasiatischen Kalendern verwendete 60-Jahreszyklus geht zurück auf die antike Beobachtung, dass der Jupiter (skrt. „Guru“) in 60 Jahren 5 Mal die Sonne umkreist (in der Realität benötigt der Jupiter nicht 12 Jahre sondern 11 Jahre, 315 Tage und 3 Stunden), und der Saturn (skrt. „Shani“) in sechzig Jahren zweimal die Sonne umkreist (in der Realität benötigt der Saturn nicht 30 sondern 29, 47 Jahre, d.h. ungefähr 29 Jahre und 166 Tage). Nach sechzig Jahren hätten beide Planeten wieder dieselbe Position erreicht.

 

Die Regierung von Tamil Nadu benutzt seit 1981 (z-T. schon seit 1971) offiziell die Tiruvalluvar-Ära (TE). Die Ära ist nach dem tamilischen Dichter Tiruvalluvar  benannt; seine Verssammlung „Tirukkural“ (i.E. tamil.  „heilige Doppelverse“) gilt als  eine der bedeutendsten tamilischen Dichtungen.

Als Beginn der Ära wurde das Jahr 31. v. Chr. postuliert,  das z. T. als Geburtsjahr Tiruvalluvars angenommen wurde, obwohl seine Lebensdaten ungesichert, ca. 3. bis 1. Jhdt. v. Chr., sind. Im Jahr 2000 begann  das Jahr 2031 der Tiruvalluvar-Ära, das Gregorianische Jahr  2016 entspricht dem Jahr 2047 TE. 

 

Das tamilische (und singhalesische) Neujahrsfest (Aurudu; auch: Puthandu ) findet am Ende der Erntezeit statt, wenn sich die Sonne (scheinbar) vom Sternbild der Fische (Meena Rashiya)  in das des Widders (Mesha Rashiya) bewegt. Anders als das Gregorianische Silvester und Neujahr, die nahtlos in einander übergehen, liegt auf Sri Lanka zwischen den Jahren eine Periode von einigen Stunden, die „nona gathe” (neutrale Periode) genannt wird. Die Länge dieser Zeitspanne, wie auch der genaue Termin, werden aufgrund astrologischer Kriterien festgelegt.

 

Das Pongal-Erntedankfest liegt unveränderlich zu Beginn des tamilischen Monats Tai, nach dem Gregorianischen Kalender am 14. Januar.

 

 

© Christian Meyer

 

 

(1) Das tropische Jahr (vom gr. „τρόπος“ (tropos) Drehung, Wendung) ist der Zeitraum zwischen zwei gleichen Zeitpunkten im Verlauf der Jahreszeiten, so z. B. von einem Frühlingsanfang zum nächsten. Da die Präzession des Frühlingspunktes leicht beschleunigt erfolgt, ist die Länge des tropischen Jahres leicht veränderlich: Gegenwärtig nimmt sie um etwa eine halbe Sekunde pro Jahrhundert ab.

Zu Beginn des Jahres 2000 betrug die Länge des tropischen Jahres 365,242.190.52 Tage 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten, 45,261 Sekunden. Das tropische Jahr ist geringfügig kürzer als das siderische Jahr.

 

 

 

Abb. Polnische Briefmarke mit dem Sternzeichen Widder