2. September

 

Grundtvig-Gedenktag in Dänemark

Am 2. September 1872 starb der in Dänemark hochverehrte dänische protestantische Theologe, Bauernlehrer, nordische Mystiker und Dichter Nicolai Frederik Severin Grundtvig in Kopenhagen. Als Bischof trat er für die Volkskirche mit freien Wahlgemeinden ein und gründete in Rødding die erste dänische Volkshochschule. Grundtvig war auch Verfasser von Kirchenliedern und Historiker. Nach der dänischen Niederlage auf den Düppeler Schanzen 1864 rief er die dänische Bevölkerung zu einem Neuanfang auf: „’Was wir draußen verloren haben, müssen wir drinnen gewinnen!’ Der Satz hallt bis heute nach. Grundtvigs Volkskirche und Volkshochschule gelten als Wurzeln des dänischen Sozialsystems“ (zit. n. Christian Wernicke, in „Die Zeit“, Nr. 39 /2000, S. 3).  

Zu seinem Gedächtnis wurde von 1921-40 im Kopenhagener Stadtteil Bispebjerg nach Plänen von P. V. Jensen - Klint die Grundtvigskirche errichtet. Ihr Turm hat eine eigenartige, wie eine überdimensionierte dänische Dorfkirche wirkende, auch an ein Orgelprospekt erinnernde Fassade.

 

(Abb. Grundtvigskirche – Im Vergleich zu einer seeländischen Dorfkirche ??)

 

Ebenfalls am 2. September wurde während des deutschen Kaiserreiches der „Sedanstag“ gefeiert, zur Erinnerung an die „siegreiche“ Schlacht von Sedan [1] .

Am 1./2. September 1870 besiegten die vereinigten deutschen Armeen bei der Festung Sedan die eingekesselte kaiserlich französische Armee. Napoleon III. und die Armee kapitulierten schließlich und wurden gefangen genommen, - das war das Ende des Zweiten Kaiserreiches. Bereits am 4. September 1870 wurde in Paris die Dritte Republik ausgerufen.   

Lily Braun (1865 – 1916) berichtete in ihrer Autobiographie, dass sie als Fünfjährige 1879 „… mit Hurra schrie bei jeder Siegesnachricht und die Illuminationskerzen nach dem Fall von Sedan mit in die sandgefüllten Gläser steckte“ (Braun, 1909, S. 25, a.a.O.).

Im Juni 1892 veröffentlichte Émile Zola – nach intensiven Vorstudien [2] -  seinen Roman „La débacle“ („Der Zusammenbruch“, a.a.O.), in dessen Zentrum die Schlacht von Sedan steht.

Zola beschrieb das sinnlose Grauen des Krieges, auch aus der Perspektive der leidenden, gequälten, zu Tode geängstigten Soldaten, desgleichen jedoch auch die Unorientiertheit und Unfähigkeit der Generale oder die Planlosigkeit des Stabes.

Vielfach wurde Zolas Beschreibung der Schlacht von Sedan hoch gelobt, als umfassender als die Schilderung der Schlacht von Waterloo in Stendhals „Kartause von Parma“ oder der Schlacht von Borodino in Tolstois „Krieg und Frieden“.

 

Rasch nach der Reichsgründung am 18. Januar 1871 in Versailles wurde vielfach die Einrichtung eines gemeinsamen, nationalen Feiertags gefordert. Es lag nahe, den Tag der Schlacht von Sedan als Gedenktag, als Stiftungstag des Reiches vorzuschlagen. Im Juni 1872 schlug z. B. der westfälische Pastor und Gründer von Bethel Friedrich Wilhelm Bodelschwingh den 2. September als Datum für ein nationales Dank- und Friedensfest vor.

Kaiser Wilhelm I. zögerte jedoch: Er strebte statt verordneter Feiern spontane Gedenkfeiern innerhalb der Bevölkerung an, ähnlich wie die Feiern zur Erinnerung an die Völkerschlacht bei Leipzig (vgl. 18. Oktober). Der Sedanstag erlangte so nie deutschlandweit amtlichen Charakter, da Wilhelm I. ihn nicht zum offiziellen Feiertag machen wollte. Diese Strategie hatte auch gewissen Erfolg, denn bereits bis 1873 setzte sich der Sedantag mehr und mehr als Feiertag durch. 

Gefeiert wurde mit dem Singen „patriotischer“ Lieder, mit Freudenfeuern, Volksbelustigungen verschiedenster Art, Glockengeläut, mit Umzügen der Turner, Veteranen und Kriegervereine. Die Straßen und öffentlichen Gebäude waren festlich geschmückt, in vielen (v.a. protestantischen) Kirchen wurden Lobreden, Dankesgebete und Predigten gehalten.

Kaiser Wilhelm I. ließ ab 1873 alljährlich anlässlich des Sedantages eine aufwändige Militärparade des Gardekorps veranstalten, für ihn war der 2. September vor allem ein „Ehrentag“ der (preußischen) Armee.

Vor allem in der Zeit des chinesischen „Boxeraufstandes“ wurde der Sedanstag z.T. für unzeitgemäß gehalten, denn in China kämpften französische und deutsche Truppen gemeinsam.

 

Auf Anordnung des preußischen Kultusministeriums wurde der Sedantag seit 1873 durch Festveranstaltungen an Schulen und Universitäten gefeiert. In Preußen besaß er den Charakter eines offiziellen Erinnerungstages an den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71.

Seither war nicht nur in Preußen für viele Schüler der Sedanstag ein Höhepunkt des Schuljahres. Gedenkfeiern mit erinnernden Reden, „vaterländischen“ Liedern, Sedansfeuer und Tanzveranstaltungen wurden organisiert, sportliche Wettspiele etc. Vielfach wurde der Ablauf der Schlacht an Schulen nachgespielt, - häufig war das eine Art vormilitärische Übung.  Oft wurden auch sog. Sedansbrezeln verteilt, die in großen Behältern bereitgestellt wurden.

In vielen deutschen, insbesondere preußischen Städten wurden am Sedanstag Kriegsdenkmäler oder Bismarcktürme etc. eingeweiht.

Viele deutsche Juden waren begeisterte Reichsbürger. Am Sedanstag hingen vielfach an jüdischen Häusern Flaggen, außerdem wurden in Synagogen wie in den evangelischen Kirchen Gedenkgottesdienst gehalten.

 

Allerdings gab es auch heftige Abwehr und Ablehnung des Sedanstages, und das nicht nur bei den Sozialdemokraten, die in dem Feiertag eine Manifestation des aggressiven Militarismus und Hurra – Patriotismus sahen.

Welfisch gesinnte Kreise in Hannover lehnten den Tag als preußisch ab, viele Katholiken sahen in dem Sedanstag v.a. während der „Kulturkampfes“ ein Symbol des Borussismus und boykottierten die Feiern.

Der Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler verbot im Jahre 1874 deshalb sogar das Glockenläuten am 2. September.

 

Der „glänzende“ Sieg bei Sedan wurde im Deutschland des Zweiten, Wilhelminischen Kaiserreiches zu einer Art Gründungsmythos des neuen deutschen Kaiserreiches. Fritz Fischer schrieb zur Bedeutung des militärisch – dynastischen Faktors im Nationalbewusstsein des deutschen Kaiserreiches: „Die Reichsgründung selbst erschien im Bewusstsein des Volkes fast ausschließlich als die Frucht dreier ‚siegreicher Kriege’. Die Staatsfeiertage, der Sedanstag als Symbol des Sieges über Frankreich und Kaisers Geburtstag (Wilhelm II., 27. Januar 1859), waren lebendiger Ausdruck dieses Selbstverständnisses des Kaiserreiches“ (Fischer, 1962, S. 16, a.a.O.).

Die Schlacht von Sedan fand nicht nur in allen damaligen deutschen Schulbüchern Eingang, sie war z.B. auch als Panoramabild auf dem Berliner Alexanderplatz anzusehen.

Herfried Münkler betonte, dass der Gründungsmythos von Sedan „….entscheidend zur inneren Militarisierung Deutschlands beitrug…. Der Gründungsmythos von Sedan ….. stellte heraus, dass in schwierigen Zeiten nur militärisches Agieren politisch erfolgreich sei. Die Orientierung der bürgerlichen Schichten am Militär, das Reserveleutnantspatent als Zugangsvoraussetzung für Karrieren im Staatsdienst, schließlich das Ausgreifen der militärischen Disziplin bis in die Organisationsstrukturen der Sozialdemokratie hinein – das alles spiegelte sich im Gründungsmythos von Sedan“ (Münkler, 2007, S. 165, a.a.O.).    

Hermann Hesse beschrieb in seiner 1903 in Calw entstandenen Erzählung „Unterm Rad“ einen damaligen Sedanstag: „Es war der Vorabend vor dem Sedansfest; August war zu ihm gekommen und hatte Efeu mitgebracht, nun wuschen sie ihre Fahnenstangen blank und befestigten den Efeu an den goldenen Spitzen, von morgen redend und sich auf morgen freuend. …… sie waren beide so voll von Festahnung und großer Freude gewesen, die Fahnen hatten in der Sonne geglänzt, die Anna hatte Zwetschgenkuchen gebacken, und zu Nacht sollte auf dem hohen Felsen das Sedansfeuer angezündet werden“ (Hermann Hesse, 1974, S. 141, a.a.O.).  

 

Das Ende für die Sedansfeiern kam am 27. August 1919: das Innenministerium der Weimarer Republik erklärte, es werde keine offiziellen Sedansfeiern mehr geben, sie entsprächen nicht mehr den Zeitverhältnissen.

 

(unveränderlich, nach dem Gregorianischen Kalender)

 

© Christian Meyer



[1] Auf deutscher Seite gab es ca. 9000, auf  französischer ca. 17000 Tote. In deutsche Gefangenschaft gerieten ca. 104 000 französische Soldaten.

[2] Wie immer studierte Zola die vorliegende Fachliteratur, die Memoiren, besuchte die entsprechenden Örtlichkeiten etc. In Sedan blieb er allein 15 Tage lang, inspizierte das Schlachtfeld und sprach mit Einwohnern und Zeitzeugen.